Schon im jetzigen Kliniksystem, in dem die meisten Beschäftigten der Psychiatrie in mittleren oder großen Krankenhäusern mit Betriebs- bzw. Personalräten und zumeist einem Tarifvertrag arbeiten, sind die Arbeitsbedingungen katastrophal. Im Februar 2015 veröffentlichte der Landesbezirk NRW der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die Ergebnisse einer Befragung zur Belastungssituation der Beschäftigten in Psychiatrischen Kliniken in NRW („Belastungsbarometer Psychiatrie“). Insgesamt nahmen 1000 Beschäftigte aus 26 Kliniken daran teil, die zu den beiden Landschaftsverbänden Westfalen-Lippe (LWL) und Rheinland (LVR) gehören. Insbesondere haben sich Pflegekräfte beteiligt.
So sind lediglich 27 Prozent der Befragten der Auffassung, „gute Arbeit am Patienten“ leisten zu können. 73 Prozent haben ein Problem mit der Arbeitsdichte. Nur 26 Prozent geben an, „Angehörigengespräche“ durchführen zu können. Ausreichende professionelle Entscheidungsspielräume sehen lediglich 44 Prozent der Befragten.
Auch die reine Arbeitsorganisation belastet die Beschäftigten: 56 Prozent geben an, keine verlässlichen Dienstpläne zu haben, und immerhin noch 47 Prozent empfinden die Anzahl der Überstunden als belastend. „Verbale Patientenübergriffe“ werden für 56 Prozent und körperliche „Patientenübergriffe“ für 48 Prozent der Befragten zu einem Problem.
Der Handlungsbedarf wurde allenthalben erkannt. Die Bundesregierung brachte – als ihre Art der Problemlösung – das Auslaufen lassen der Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) sowie die Finanzierung über Fallpauschalen auf den Weg.
Diese als DRGs (Diagnosis Related Groups) bekannten Fallpauschalen nannten sich für die Psychiatrie PEPP (Pauschalierendes Entgeltsystem Psychiatrie und Psychsomatik) und sollten die Fehlsteuerungen aus den somatischen Krankenhäusern auf die psychiatrische Versorgung übertragen. Wäre dieser Plan so umgesetzt worden, wären die Personalmindestgrenzen aufgegeben und analog zum DRG-System ökonomische Fehlanreize in den Pauschalen eingebaut worden. Die Konsequenz wäre gewesen, dass es für Krankenhausträger immer wichtiger würde, PatientInnen nach den Pauschalen aufzunehmen, zu behandeln und zu entlassen, und nicht nach medizinischer und therapeutischer Notwendigkeit.
Deshalb kämpft die Gewerkschaft ver.di mit dem Bündnis „PEPP stoppen – Für eine humane Psychiatrie“ gegen die Einführung von PEPP und für einen Erhalt und die Anpassung der Psych-PV auf die aktuellen Personalbedarfe.
Die Antwort der Fachwelt und Beschäftigten: PEPP stoppen!
Der erste Erfolg dieser kontinuierlichen Arbeit war der am 8. Januar 2016 von der Bundestagsfraktion des SPD getroffene Beschluss „PEPP muss endgültig weg“, der Bewegung in die parlamentarische Arbeit gebracht hat. Im Januar und Februar fanden weitere örtliche Aktionen gegen PEPP und Besuche von Beschäftigten in der Psychiatrie bei den Bundestagsabgeordneten in ihren Bürgersprechstunden statt mit dem Ziel, ihnen die katastrophalen Auswirkungen von PEPP aus der Praxis zu berichten.
All dies führte dazu, dass am 18. Februar 2016 ein sogenannter strukturierter Dialog des Bundesgesundheitsministers mit den Fachgesellschaften und Beschäftigtenvertretern stattgefunden hat, auf dem Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zurückrudern musste und neue „Eckpunkte zur Weiterentwicklung des Psych-Entgeltsystems“ vorgelegt hat. Diese orientieren sich am Finanzierungsentwurf der Fachgesellschaften und schwenken um von einem Pauschalsystem zu einem Budgetsystem, was vor Ort verhandelt wird und stärker die individuellen Bedürfnisse und Rahmenbedingungen abbilden kann. Zudem wird der Gemeinsame Bundesausschuss, ein Organ, in dem die Krankenhäuser, Krankenkassen und Berufsverbände sitzen, beauftragt, verbindliche Mindestvorgaben für die personelle Ausstattung der stationären Einrichtungen zu erarbeiten.
Das Umschwenken des Bundesministeriums für Gesundheit mit diesem Eckpunktepapier ist ein deutlicher Erfolg der PEPP-Gegner und von ver.di. Es zeigt, dass es sich lohnt, in breiten Bündnissen immer dann zu mobilisieren, wenn die Bundesregierung noch mehr Markt in die Daseinsfürsorge bringen will. Im vorgelegten Eckpunktepapier sind zudem so viele schwammige Formulierungen, dass es weiterer Auseinandersetzungen bedürfen wird, um perspektivisch wirklich zu einer Gesetzgebung zu kommen, die die psychiatrische Versorgung an den Bedarfen der Patientinnen und Patienten ausrichtet und zeitgleich gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten sicherstellt.
Unabhängig davon, wie der konkrete Kampf um die Finanzierung ausgeht, wird die zentrale Herausforderung der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft in den nächsten Jahren sein, die zunehmende Ambulantisierung und wahrscheinlich Verkleinerung und Aufspaltung der Betriebe in der Psychiatrie zu begleiten und für gute Arbeitsbedingungen und Tarifverträge zu kämpfen sowie wirkungsvolle Betriebs- und Personalratsarbeit in den neuen Strukturen sicherzustellen.
Die Beschäftigten und die PatientInnen haben das verdient, genauso, wie sie es verdient haben, das wir KommunistInnen aufzeigen, das in einem anderen System gute Versorgung und gute Arbeitsbedingungen für PatientInnen in allen Bereichen des Gesundheitssystems möglich sind.