Verbot der Gruppe „Collectif Palestine Vaincra“ in Frankreich: Was bedeutet das und wie geht es weiter?

„Der Kampf für Palästina wird weitergehen“

Leon Wystrychowski

Während in der Bundesrepublik bereits seit 1972 wiederholt palästinensische und pro-palästinensische Strukturen verboten wurden, ist das Verbot des „Collectif Palestine Vaincra“ (Kollektiv Palästina wird siegen) für Frankreich ein Novum. UZ sprach mit Tom Martin, der seit Jahren in der französischen Palästina-Solidaritätsbewegung aktiv ist.

UZ: Wer war das „Collectif Palestine Vaincra“?

Tom Martin: Das „Collectif Palestine Vaincra“ war eine Organisation zur Unterstützung des palästinensischen Widerstands, die von 2019 bis 2025 im südfranzösischen Toulouse existierte. Es wurde nach zehn Jahren lokaler antiimperialistischer und antizionistischer Arbeit gegründet, in der Aktivisten mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenkamen. Die Gruppe befürwortete die Befreiung Palästinas vom Mittelmeer bis zum Jordan als Teil des antiimperialistischen Kampfes und verstand den zionistischen Staat als Vorposten des westlichen Imperialismus in der arabischen Welt. In diesem Rahmen führte die Organisation wichtige Mobilisierungskampagnen durch, insbesondere gegen die Städtepartnerschaft von Toulouse mit Tel Aviv, die seit 1962 besteht, oder für die Freilassung des libanesischen Kommunisten Georges Ibrahim Abdallah, der seit 1984 in Frankreich inhaftiert ist.

UZ: Wie kam es zu dem Verbot und wie lautet die offizielle Begründung?

Tom Martin: Die Auflösung des Collectif wurde vom Innenminister durchgeführt und dann im März 2022 auf Antrag des Staatspräsidenten Emmanuel Macron im Ministerrat verabschiedet. Diese erfolgte nach einer großen Kampagne gegen die Organisation, die von der israelischen extremen Rechten und verschiedenen französischen Politikern geführt wurde. Die offizielle Begründung lautete, dass die Positionen des Collectif „zu Hass, Diskriminierung und terroristischen Handlungen“ anstiften würden, wobei in diesem Fall die Kampagnen zum Boykott Israels oder für die Freilassung palästinensischer Gefangener – insbesondere Georges Abdallah und Ahmad Saadats, dem Generalsekretär der PFLP – genannt wurden.

Im April 2022 setzte das oberste französische Verwaltungsgericht die Entscheidung zunächst aus, bestätigte sie allerdings nach drei Jahren Wartezeit am 20. Februar 2025. Die Institution widersprach jedoch den Argumenten der Regierung, indem sie erklärte, dass die Stellungnahmen des Collectif durch die Meinungsfreiheit geschützt seien. Sie benutzte stattdessen eine andere, juristisch sehr fragliche Argumentation, um die Entscheidung zu bestätigen: Sie begründete die Auflösungsmaßnahme nämlich damit, dass unter den Beiträgen des Collectif in sozialen Netzwerken Hasskommentare von Drittpersonen zu finden seien, und nutzte dabei die Bestimmungen eines freiheitsfeindlichen Gesetzes aus dem Jahr 2021.

UZ: In Deutschland können Vereine relativ leicht verboten werden. Dennoch ist dies selbst für einen bürgerlich-liberalen Staat ein extremer Eingriff in die Grundrechte. Was die Verbote palästinensischer und pro-palästinensischer Organisationen betrifft, sind die Verbote der „Generalunion Palästinensischer Arbeiter“ (GUPA) und der „Generalunion Palästinensischer Studenten“ (GUPS) 1972, von „Samidoun“ 2023 und der „Palästina Solidarität Duisburg“ (PSDU) 2024 besonders erwähnenswert. Wie ist die Situation in Frankreich? Sind Verbote von Organisationen ein gängiges Mittel der Repression? Und wurden bereits pro-palästinensische Gruppen verboten?

Tom Martin: Das Verbot von Organisationen wurde 1936 in Frankreich eingeführt, angeblich um gegen die faschistischen Ligen vorzugehen, die die Französische Republik bedrohten. In Wirklichkeit war es eine Bestimmung, die sehr schnell gegen Regimegegner eingesetzt wurde, wie die Auflösung der „Étoile Nord-Africaine“ (eine von algerischen Arbeitern in Frankreich gegründete antikolonialistische Organisation, Anmerkung UZ) im Jahr 1937 oder mehrerer Organisationen der revolutionären Linken nach dem Mai 1968.

Seit dem Amtsantritt von Emmanuel Macron wurde dieses äußerst seltene Repressionsmittel erheblich ausgeweitet: Während alle seine Vorgänger seit Charles de Gaulle zusammen insgesamt 66 Mal davon Gebrauch gemacht haben, wurde es unter Macron 41 Mal angewandt. Was allerdings die Solidaritätsbewegung mit Palästina betrifft, ist das Collectif Palestine Vaincra die erste Organisation, die verboten wurde.

UZ: Was war der Grund für diese traurige Premiere?

Tom Martin: Die Organisation war aufgrund ihrer politischen Stellungnahmen und des Kontextes, in dem sie entstanden sind, Ziel eines Verbots. Obwohl es in Frankreich schon immer ein antiimperialistisches und antizionistisches Engagement für die Befreiung Palästinas und auch für die Befreiung vom Fluss bis zum Meer gegeben hat, hat das Kollektiv diese Positionen auf breiter Basis vertreten und ein relativ großes Publikum in einer politischen Landschaft gewonnen, die weitgehend von linken oder auch linksradikalen Organisationen dominiert wird, die mit ihren Forderungen nach „Frieden“, „Zweistaatenlösung“ oder „gleichen Rechte“ als einziger Perspektive letztlich doch dem zionistischen Grundkonsens auf den Leim gegangen sind. Dies führte dazu, dass pro-israelische Organisationen auf lokaler und nationaler Ebene in aggressiver Weise gegen sie hetzten und sie 2021 in Israel sogar als „terroristische Organisation“ eingestuft wurde.

Darüber hinaus entstand das Collectif 2019 in Frankreich am Ende einer politischen Phase, in der die Unterstützungsbewegung für Palästina in die Jahre gekommen war, und die neue Gruppe nahm eine wichtige Rolle in den Medien ein. Und schließlich ist eine autoritäre Radikalisierung in der gesamten französischen Gesellschaft zu beobachten, wie die brutalen Angriffe auf die Palästina-, aber auch auf die Ökologie- oder die antifaschistische Bewegung zeigen. Es ist also die Gesamtheit dieser Faktoren, die diese Entscheidung erklären.

UZ: Wie verlief der Kampf gegen das Verbot, und wie sahen die Aktivitäten der Gruppe in dieser Zeit der „vorübergehenden Legalität“ aus?

Tom Martin: Das „Collectif Palestine Vaincra“ hat einen politischen Kampf gegen das Verbot geführt. Von Anfang an hat es die Tatsache betont, dass die aus dem Verbot folgende Bedrohung das gesamte linke politische Feld betrifft, und in erster Linie antikolonialistische und antirassistische Organisationen. So solidarisierten sich mehr als 150 Organisationen mit der Gruppe, und Unterstützungsaktionen fanden in mehreren Dutzend Städten in Frankreich, aber auch in anderen europäischen sowie in arabischen Ländern statt.

Parallel dazu wurde ein juristischer Kampf mit einer Klage vor dem obersten Verwaltungsgericht in der Sache und einem aufschiebenden Eilverfahren geführt – ein Kampf, dem sich auch andere französische und teilweise explizit jüdische pro-palästinensische Organisationen als Mitkläger angeschlossen haben.

Während dieses Zeitraums von fast drei Jahren hat das Collectif eine beachtliche Arbeit geleistet, insbesondere gegen den laufenden Völkermord in Gaza, indem es unzählige Aktionen, Demonstrationen, Versammlungen, Filmvorführungen und so weiter organisiert hat.

UZ: Ist es nicht ungewöhnlich, dass das Gericht im Jahr 2022 zugunsten, 2025 aber gegen die Organisation entschieden hat?

Tom Martin: Es gibt ähnliche Fälle, in denen die Auflösung zunächst ausgesetzt und dann das Verfahren in der Sache bestätigt wurde, wie bei der „Groupe Antifasciste Lyon et Environs“. Dennoch ist die Dauer zwischen der Aussetzung und der endgültigen Entscheidung ungewöhnlich. Dies steht offensichtlich im Zusammenhang mit der Situation in Palästina.

UZ: Kann das Collectif noch Berufung gegen die Entscheidung einlegen?

Tom Martin: Nein. Aber die Gruppe hat entschieden, eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einzureichen, insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Auflösung der Organisation ausschließlich auf Kommentaren anderer Personen in den sozialen Netzwerken des Collectif beruht.

UZ: Die Organisation kündigte unmittelbar nach dem Urteil an, dass sie sich auflösen, der Kampf für Palästina aber weitergehen wird. Wie wird dieser Kampf für die ehemaligen Mitglieder aussehen? Welche Rechte und Möglichkeiten haben sie noch?

Tom Martin: Der Kampf für Palästina wird weitergehen, denn seit Oktober 2023 sind viele neue Leute in die Bewegung geströmt und sie hat sich erheblich erweitert. Heute wird sie von zahlreichen Organisationen und Aktivisten getragen, die immer offener für die einzige lebensfähige Perspektive für die Region eintreten: ein freies Palästina vom Meer bis zum Fluss. Tatsächlich haben sich die vom „Collectif Palestine Vaincra“ vertretenen Positionen in der politischen Linken in Frankreich erheblich normalisiert.

Dennoch ist es den ehemaligen Mitgliedern des Collectif bei Strafandrohung untersagt, erneut eine Gruppe mit ähnlichen Zielen zu gründen. Es handelt sich also in jedem Fall um eine schwerwiegende Entscheidung, die die Grundrechte der Betroffenen und letztlich der gesamten Bewegung und Gesellschaft einschränkt.

Das Fragen stellte Leon Wystrychowski

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