Ein zweiter Fall für Enola Holmes

Der Kampf der Streichholzmädchen

„Einiges von dem, was folgt, ist wahr, zumindest die wichtigen Teile“ steht zu Beginn des zweiten Films um die junge Detektivin Enola Holmes. Die ist auch sofort in der ersten Szene wieder in ihrem Element, liefert sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei, um kurz stehen zu bleiben und – wie schon in Teil 1 (siehe UZ vom 2. Oktober 2020) – die vierte Wand zu durchbrechen und zu den Zuschauern zu sagen: „Vielleicht sollte ich das erklären.“

In der Rückblende erfahren wir dann, wie es Enola seit Teil 1 gegangen ist: Sie hat ihr eigenes Detektivbüro eröffnet, aber das läuft schlecht, alle fragen immer nur nach dem berühmten großen Bruder – und wenn sie das nicht tun, dann ist sie, na ja, halt immer noch nur ein Mädchen. Ihre Mutter befindet sich immer noch im Untergrund und wirft für Frauenrechte Bömbchen in Briefkästen. Unglücklich verliebt (weil, starke Frauen brauchen niemanden) ist Enola auch noch.

Als sie gerade ihr Detektivbüro schließt und die Buchstaben ihres Namens schon vom Schaufenster abgekratzt werden, taucht ein junges Mädchen bei ihr auf. Deren Schwester wird vermisst und sie beauftragt Enola, sie zu finden.

Enola folgt ihrer Auftraggeberin in die Teile Londons, in denen die Ärmsten der Armen wohnen, Ratten, Warnungen vor Typhus und fünf junge Frauen pro Zimmer – sie alle arbeiten, wie die verschwundene Sarah Chap-man, in der Streichholzfabrik, sie sind „Match Girls“. In diese Fabrik, an deren Eingang alle Frauen und Mädchen auf Typhus kontrolliert werden, begibt sich auch Enola. Wer sich ein bisschen auskennt in der Geschichte der Klassenkämpfe weiß, dass es nicht der Typhus ist, der die Match Girls entstellt und schließlich tötet. Und dass Sarah Chapman keine fiktionale Figur ist.

Enola bei den Ermittlungen zwischen Arbeiterviertel und High-Society-Ball zu folgen ist ein Vergnügen, nicht nur dank der Schauspielleistung von Millie Bobby Brown. Es liegt auch an den von Jack Thorne geschaffenen Dialogen und nicht zuletzt an den Bildern (Kamera: Giles Nuttgens). Gehen in der einen Szene noch Frauen sittsam im Gefängnishof im Kreis, über ihnen drohend der Galgen, sind Enola, ihre kurzzeitig aufgetauchte Mutter (Helena Bonham Carter) und deren Kampfgefährtin Edith (Susan Wokoma) in der nächsten in viktorianischen Kleidern in einen Nahkampf mit der Staatsmacht verwickelt. Vieles ist dem Team um Regisseur Harry Bradbeer besser gelungen als im Teil 1, die Geschichte hat die nötige Balance zwischen Witz und Ernst, die Figuren die passende Tiefe, und selbst Henry Cavill hat es geschafft, sich von Benedict Cumberbatchs Darstellung des berühmtesten Detektivs der Geschichte zu emanzipieren und seinen eigenen Sherlock Holmes gefunden.

Zu der Darstellung der viktorianischen Gesellschaft zwischen Arbeiterelend, Anstandswauwaus für Gespräche zwischen Unverheirateten der Bourgeoisie und Theatern mit leicht frivolen Programmen bietet „Enola Holmes 2“ auch eine durchaus einfallsreiche Deutung des ewigen Feindes von Sherlock Holmes, Moriarty. Auf eine Fortsetzung darf man hoffen, immerhin hat die Buchserie um Enola Holmes aus der Feder von Nancy Springer inzwischen acht Teile.

Am Schluss von Teil 2 retten trotz aller Ermittlungsbemühungen weder Meisterdetektiv noch Meisterdetektivin die Match Girls aus der Streichholzfabrik. Das können sie nur selber tun. Wie gesagt: Einiges der Geschichte ist wahr. Zumindest das Wichtigste.

Enola Holmes 2
Regie: Harry Bradbeer
Drehbuch: Jack Thorne
Unter anderem mit: Millie Bobby Brown, Helena Bonham Carter, David Thewils, Susan Wokoma und Hannah Dodd

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"Der Kampf der Streichholzmädchen", UZ vom 18. November 2022



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