Die Vorschusslorbeeren waren gewaltig: Mit Joseph Biden komme „Amerika zurück“ – besser und strahlender als je zuvor. Die alte Freundschaft mit Europa würde neu entstehen. Ein demokratisches, neues, LGTB-gerechtes „Amerika“ – farbig, bunt und antirassistisch – würde dem klapprigen Führungsanspruch des Westens neuen Schwung verleihen. Die unterirdische Phase des Trumpschen Narzissmus sei überwunden. Aus „Make America Great Again“ ist „Build America Back Better” geworden. Griffige Reklameschilder müssen her, sonst funktioniert der US-Politikbetrieb nicht.
Ja, in der Tat, Joseph Biden heißt nicht Donald Trump – und damit ist schon das zentrale seiner Wahlversprechen erfüllt. Aber was dürfen die arbeitenden Menschen in den USA und auch in der übrigen Welt darüber hinaus noch von ihm erwarten? Biden hatte seinen Wählern 2.000 US-Dollar (USD) und einen gesetzlichen Mindestlohn von 15 USD versprochen. Und momentan wird tatsächlich über sein „American Rescue Plan Act of 2021“ (Rettungsplan-Gesetz) diskutiert. Die versprochenen 2.000 USD sind zwischenzeitlich auf 1.400 geschrumpft und auch der Mindestlohn von 15 USD hat sich erst einmal diskret von der Bildfläche zurückgezogen.
Bidens „Rescue Plan“ soll ein Volumen von 1,9 Billionen USD haben und liegt damit etwas unterhalb des Niveaus des CARES Act von März 2020, der 2,2 Billionen USD an Hilfen und Finanzierungen vorsah. Der „Rescue Plan“ ist mittlerweile das achte größere Gesetzesvorhaben, mit dem die US-Bundespolitik der Krise Herr zu werden versucht. Geld gibt es reichlich. Die billionenschweren „Rettungspläne“ haben die US-Schulden auf 27 Billionen USD (135 Prozent/BIP) hochkatapultiert. Barack Obama hatte den US-Schulden 8,3 Billionen USD hinzugefügt, Donald Trump 6,7 Billionen, und Joseph Biden beginnt seine Amtszeit in der gleichen Weise. Dazu hat die US-Bundesbank ihre Bilanz im gegenwärtigen Krisenzyklus bislang um plus 3,8 Billionen USD auf 7,557 Billionen USD aufgeblasen. (Da sind wir noch nicht am Ende.) Im Zyklus 2007 bis 2015 waren es plus 4,5 Billionen USD. Wie leicht erkennbar ist, gibt es hier ein Strukturproblem: Die US-Ökonomie kann ohne massive Geldinjektionen nicht mehr funktionieren.
Es stellt sich die Frage, was mit diesen gewaltigen Summen passiert. Immerhin handelt es sich um über 25 Billionen US-Dollar, die in den letzten zwölf Jahren zusätzlich in die US-Ökonomie gepumpt worden sind. Man darf feststellen, dass sie bei den Arbeitenden und Bedürftigen nicht angekommen sind. Mittlerweile sind über 50 Millionen US-Bürger so arm, dass sie nicht einmal ihre Nahrungsmittelversorgung sicherstellen können. 38 Millionen US-Bürger haben 2020 um Arbeitslosenunterstützung nachgesucht. 29 Prozent der US-Bürger haben in der Pandemie ihre Krankenversicherung verloren. 50 Millionen US-Bürger sind unversichert, bis zu 100 Millionen unterversichert. 100.000 kleine Geschäfte haben für immer schließen müssen.
Bekanntlich geht es nicht allen schlecht. Die obersten 0,1 Prozent haben mehr Reichtum angehäuft als die gesamten unteren 80 Prozent. 75 Prozent aller aktuellen Einnahmen gehen an die reichsten 0,01 Prozent. Die dünne Schicht der 660 US-Milliardäre, jene 0,0002 Prozent der US-Bevölkerung, konnte ihren obszönen Reichtum inmitten des Chaos des ersten Krisenjahres um 1,1 Billionen auf 4,1 Billionen USD, 20 Prozent des US-BIP, steigern. Der „Wilshire 5000 Total Market Index“, der seit 1974 die Marktbewertung des gesamten US-Aktienmarktes in Milliarden USD abbildet, ist im Januar 2021 auf über 40.000 Punkte gestiegen und repräsentiert eine Marktkapitalisierung von über 40 Billionen USD. Der US-Aktienmarkt ist damit doppelt so groß wie die gesamte US-Wirtschaftskraft. 2009, auf dem Höhepunkt der damaligen Krise, lag der „Wilshire 5000“ noch bei 6.858 Punkten. Die Spekulanten konnten ein Plus von 33 Billionen USD oder 485 Prozent in elf Jahren verbuchen.
Am 8. Februar 2021 hatte das Budgetbüro des Kongresses (CBO) seine Bewertung der 15-USD-Mindestlohn-Forderung bekannt gemacht. Danach würde dieser Mindestlohn zwar 900.000 Menschen aus der Armut befreien, aber in den nächsten vier Jahren 1,4 Millionen Jobs kosten. Dazu würde er die US-Schulden um 54 Milliarden USD erhöhen.
Natürlich hat es im korrupten US-Establishment nicht an Stimmen gefehlt, welche das ganze Rettungspaket als überzogen und zu groß denunziert haben – und einen 15-USD-Mindestlohn ohnehin. Die Herausnahme des Mindestlohns aus dem „Rescue Plan“ ist daher ein schlechtes Zeichen. Einen zweiten Anlauf wird es so schnell nicht geben. Arbeiterinteressen sind bei der politischen Vertretung der US-Oligarchie, dem US-Kongress, schlecht aufgehoben, mögen deren Anführer nun Obama, Trump oder Biden heißen. An einer machtvollen und kämpferischen Selbstorganisation der arbeitenden Menschen in den USA und anderswo geht kein Weg vorbei.