Das Risiko einer neuen Eurokrise steigt

Der höhere Zins ist bereits da

Am 21. Juli wird die Europäische Zen­tralbank (EZB) ihren Leitzins von 0 auf 0,25 Prozent heraufsetzen. Der Zins für die Banken, wenn sie sich Geld von der EZB leihen, liegt seit März 2016, also seit mehr als sechs Jahren, bei 0,0 Prozent. Er wurde vor sechs Jahren im Gefolge der Finanzkrise 2007/08 und der daraus folgenden Euro-Krise notwendig und signalisiert auch nach Ansicht der das geltende Finanzsystem bejahenden Ökonomen einen Notstand der kapitalistischen Volkswirtschaften: fehlendes Wachstum und zu geringe Investitionen. Der Nullzins sollte durch niedrige verlangte Zinsen die Kreditvergabe an das Kapital ankurbeln. Die Zinsen sanken tatsächlich auf breiter Front und blieben lange niedrig. Aber lediglich die Kreditvergabe für Finanzspekulationen blühte, während das Wachstum der Realinvestitionen kümmerlich blieb. Dass der Zins der Zentralbank am 21. Juli die Nulllinie verlässt, markiert zwar eine Zinswende, aber es signalisiert nicht, dass der Notstand der Euro-Volkswirtschaften nach Ansicht der EZB-Führung beendet ist.

Lucas Zeise1 sw NEU - Der höhere Zins ist bereits da - Europäische Union, Finanzkapitalismus, Krise - Positionen

Offensichtlich ist vielmehr die kräftige Inflation als weiteres Problem dazugekommen, die in der Eurozone mittlerweile über 8 Prozent erreicht hat. Sie hat die unmittelbare Wirkung, dass die Bürger real weniger Geld in der Tasche haben und deshalb weniger kaufen. Die Inflation bremst also Nachfrage und Wachstum. Im Zuge der Inflation steigen außerdem die Zinsen auf breiter Front, lange bevor die Zentralbank überhaupt daran dachte, ihren Leitzins heraufzusetzen. Sowohl die Zinsen für Staatsschulden als auch die Zinsen für Bau-, Investitions- und Konsumkredite haben sich seit Mitte vergangenen Jahres deutlich erhöht, einfach weil die Banken die Entwertung des Geldes bei der Rückzahlung des Kredits mit in die Zinskalkulation aufnehmen.

Es ist deshalb ein wenig sonderbar, dass immer wieder verlangt wird, die Zentralbank solle durch die Anhebung des Leitzinses die Inflation bekämpfen. Das mag dann vielleicht gerechtfertigt sein, wenn überschäumende Investitionsnachfrage und/oder ein Bauboom die Preise anheizt, der gebrochen werden soll. Davon kann allerdings nicht die Rede sein. Vielmehr schwächen die stark steigenden Preise die Nachfrage ohnehin. Mit deutlich höheren Leitzinsen würde die EZB die ohnehin schwächer werdende konjunkturelle Entwicklung nur zusätzlich abwürgen. Erfreulich dabei ist lediglich, dass die EZB mit ihren angekündigten Maßnahmen den Zinsanstieg nicht anführt, sondern ihm lediglich folgt und damit den Anstieg der Zinsen in der Breite nicht auch noch beschleunigt.

Vor der Leitzinsanhebung am 21. Juli wird die Zentralbank mit Julibeginn den regelmäßigen Aufkauf von Anleihen der Eurostaaten beenden. Sie hatte damit 2015 begonnen und bis heute Staatsschuldpapiere im Wert von mehr als 3 Billionen Euro angesammelt. Die Dauernachfrage der Notenbank nach Schuldpapieren war in den vergangenen Jahren ein wichtiger Faktor dafür, dass das Zinsniveau generell in der Eurozone außerordentlich niedrig geblieben ist und sich, anders als während der Euro-Krise 2010 ff., nicht mehr nennenswert zwischen den Staaten unterschied. Das wird jetzt wieder anders. Schon sind die Zinsen für italienische Staatsschulden deutlich stärker gestiegen als für deutsche. Als die Finanzspekulation ernsthaft in Richtung einer neuen Eurokrise begann und die Rendite italienischer Staatsanleihen über 4 Prozent hochschoss, traf sich der EZB-Rat am 15. Juni zu einem Krisentreffen. Die Zinsen der italienischen Bonds gingen deutlich zurück. Gesagt wurde wenig. Aber diese erste Runde ging an die EZB. Es sieht so aus, dass sie (durch flexibles Agieren am Finanzmarkt) die Zinsdifferenz zwischen den Euroländern nicht über 2 Prozentpunkte anwachsen lassen und eine neue Eurokrise vermeiden wird.

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"Der höhere Zins ist bereits da", UZ vom 24. Juni 2022



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