„Zuma must fall“ brachte die internationale Presse schon mehrmals in die Schlagzeilen. Südafrikas Präsident Jacob Zuma steht zurzeit vor allem wegen der geldverschlingenden Renovierung seines Hauses auf Staatskosten und die Studentenproteste gegen Studiengebühren in der Kritik. Im März brach das eiserne Gesetz innerhalb des Regierungsbündnisses, keine Kritik an die Öffentlichkeit zu tragen: Dem stellvertretenden Finanzminister Mcebisi Jonas habe der millionenschwere Gupta-Clan den Posten des Ministers angeboten. „State capture“, die an einer Person aufgehängte Debatte um die generelle Abhängigkeit der Regierung vom kapitalistischen System, führte zu sichtbaren Rissen im Bündnis. Und die größte Einzelgewerkschaft des in die Regierung eingebundenen Gewerkschaftsverbandes Cosatu forderte am 2. November den Staatspräsidenten auf, „in allen Ehren zurückzutreten“. Damit wäre automatisch sein Stellvertreter neuer Staatspräsident: Cyril Ramaphosa, Chef der Shanduka-Holding, einer der reichsten Männer Südafrikas.
Aber die weiteren Rücktrittsforderungen aus der Mitte der Regierung – von Tourismus-Minister Derek Hanekom, Gesundheitsminister Aaron Motsoaledi und Thulas Nxesi, dem Minister für öffentliche Arbeiten, Wissenschaftsministerin Naledi Pandor und Finanzminister Pravin Gordhan sowie dem ANC-Sprecher Jackson Thembu –, begleitet von heftigem Medienlärm, aber auch von Tausenden Demonstranten auf der Straße, beschäftigten nunmehr die Spitze des Bündnisses. Auf der dreitägigen Sondersitzung des Nationalen Exekutivkomitees (NEC) des ANC am letzten Novemberwochenende wurde heftig gestritten, aber dem ANC-Vorsitzenden und Staatspräsidenten der Rücken gestärkt. „Die Einheit des ANC und unseres Bündnisses ist die beste Ehrung für Genossen Fidel Castro“ schrieb der Vorsitzende der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP), Bildungsminister Blade Nzimande, am 1. Dezember in der Parteizeitung „Umsebenzi“.
Jacob Zuma ist gewählter Präsident bis 2019. Im Dezember 2017 wird die neue ANC-Spitze gewählt, und der Weg für den zukünftigen Präsidenten freigemacht, vorausgesetzt die Wähler spielen dann mit. Die ANC-Frauen- und die Jugendliga machen sich für die scheidende Kommissionsvorsitzende der Afrikanischen Union, Nkosazana Dlamini-Zuma, stark. Bündnispartner Cosatu hat sich auf Cyril Ramaphosa festgelegt. Die SACP hat sich noch nicht definitiv erklärt, hat zu beiden Kandidaten Vorbehalte. Bei der AU-Politikerin und mehrmaligen Ministerin Dlamini-Zuma wird eine Zuma-Dynastie befürchtet. Und der aktuelle Vizepräsident Ramaphosa hat viel Sympathie verloren. Ihm hängt seine bislang nicht aufgeklärte Rolle im Vorstand der britischen Bergbaugesellschaft Lonmin nach, die 2012 die Polizei gegen streikende Arbeiter rief. Der Polizeieinsatz führte zu einem Massaker, 34 Streikenende kamen ums Leben.
Jetzt steht Cyril Ramaphosa erneut im Feuer öffentlicher Kritik. Sie bezieht sich auf den am 20. November veröffentlichten Bericht der von Ramaphosa eingesetzten Kommission zum Nationalen Mindestlohn (NMW). Ihm wird vorgeworfen, die Anpassung des Mindestlohns den Interessen des Monopolkapitals unterzuordnen und dabei den Großgrundbesitzern mit Ausnahmeregelungen entgegenzukommen. Ramaphosa sei „ein Feind der Arbeiterklasse, der die Interessen der ausbeutenden Kapitalistenklasse verteidigt“, so die Nahrungsmittelgewerkschaft FAWU. Es sei ein Hohn, einen Mindestlohn von 3 500 Rand vorzuschlagen, wo doch die Armutsgrenze bei 4 317 Rand (etwa 288 Euro) liege. Die vorgesehenen Ausnahmen für die 800 000 Landarbeiter und 1,2 Millionen Hausgehilf(inn)en erbittern zusätzlich die Kritiker.
Das im Widerstand gegen die Apartheid geschweißte, seit 1994 regierende Bündnis zeigt Risse, die über die Person Jacob Zuma hinausweisen. Der Gewerkschaftsbund Cosatu ist sogar in seiner Existenz bedroht: Nach dem Ausschluss der größten Gewerkschaft des Landes, der Metallgewerkschaft Numsa, im November 2014 haben 2015 die kämpferischen „Nine Plus“-Gewerkschaften Cosatu verlassen. Wie das öffentliche TV-Programm SABC meldete, werden die „9+“ einen neuen Gewerkschaftsbund gründen, „charakterisiert durch Militanz, Demokratie und Unabhängigkeit“, so Stephen Faulkner, Sprecher der oppositionellen Gewerkschafter.
16,3 Millionen Menschen leben in Südafrika unter der Armutsgrenze, davon die Hälfte in prekären Jobs. Bei auf 30 Prozent gestiegener Arbeitslosigkeit sind nur 8,1 Prozent männliche Weiße und 12,5 Prozent weiße Frauen arbeitslos, aber 30,5 Prozent schwarze Männer und 41,5 Prozent schwarze Frauen. Im Lohngefälle ist nach über 20 Jahren Ende der Apartheid die Rassendiskriminierung, aber auch die Frauenbenachteiligung offensichtlich. „Business Tech“ veröffentlichte am 13. Juli die Ergebnisse der „Analytico Salary Analysis“ von 692 704 Befragten – die Fakten sprechen für sich: Qualifizierte weiße männliche Arbeiter verdienen durchschnittlich 30453 Rand, weiße Frauen 17700 Rand. Schwarze qualifizierte Männer hingegen nur 9 244 Rand, schwarze Frauen 11155 Rand. Dabei werden qualifizierte schwarze Frauen mit einer um 19 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit arbeitslos als weiße Frauen. Oder wie Verne Harris, Direktor der Nelson-Mandela-Stiftung, sagte „Die große Mehrheit der Südafrikaner lebt in einer Welt, die noch sehr stark von Apartheid geprägt ist.“
Der dritte Bündnispartner SACP hatte auf dem Parteitag 2015 beschlossen, eine zweite stärkere Phase der demokratischen Umgestaltung anzugehen. Es mehren sich Stimmen, die eine Trennung von ANC befürworten. So hat der Eastern Cape Congress der SACP am 2. November für die kommenden Wahlen eine Eigenkandidatur vorgeschlagen. Selbst die bislang regierungstreuen traditionellen Stammesfürsten haben sich im Oktober auf ihrem Kongress „Contralesa“ vom ANC distanziert und überlegen, eine eigene Partei zu gründen. Jeremy Cronin, stellvertretender Generalsekretär der SACP, sieht drei Hauptaufgaben, die er als Lehren aus dem Leben von Fidel zog, nämlich die Volkskräfte wieder zu mobilisieren, Kritik und Selbstkritik zu vertiefen und „gegen falschen Antiimperialismus wachsam zu sein“ (Umsebenzi vom 4.12.2016).
Bei aller Widersprüchlichkeit: „Zuma must not fall“. Jacob Zuma darf nicht fallen. Bis 2019 hat er noch drei Jahre, um im und mit dem Bündnis die Lage der schwarzen Bevölkerung tiefgreifend zu verbessern. Die SACP wird auch weiterhin die Kampagnen gegen die Studiengebühren wie auch gegen „state capture“ mittragen und die kämpferischen Gewerkschaften unterstützen. Es ist sicher Zufall, zeigt aber die Brisanz, dass das Zentralkomitee der SACP am gleichen Wochenende (vor Weihnachten) tagt, an dem auch das Exekutivkomitee der Metallarbeitergewerkschaft Numsa zusammenkommt.