Weiter geht es mit den Enthüllungen über das Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden in der Causa Anis Amri. Nach Informationen des Focus wurde ein mit Amri befreundeter Tunesier am 7. Februar dieses Jahres abgeschoben. Er wurde als Zeuge und Verdächtigter im Fall des Attentats am Berliner Breitscheidplatz geführt. Im Februar 2016 soll er Bilder vom späteren Tatort gemacht haben. Amri wird für den Tod von 12 Menschen und fast hundert Verletzte auf dem dort stattfindenden Weihnachtsmarkt verantwortlich gemacht. Die (vor)schnelle Abschiebung Ben Ammars veranlasste den innenpolitschen Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zu der Aussage: „Diese Nacht- und Nebelaktion lässt eigentlich nur einen Schluss zu. Ben Ammar sollte als Zeuge weder den Ermittlern noch dem Parlament zur Verfügung stehen.“
Ebenfalls im Februar 2017 wundert sich Hans-Christian Ströbele in einer Plenarsitzung des Bundestages über die Einstellung von Strafverfahren gegen Amri, trotz des Verdachts auf eine nicht unerhebliche Anzahl begangener Straftaten. „Offenbar war ein guter Geist über ihm, der die Strafverfolgungsbehörden davon abgehalten hat, ihres Amtes in Deutschland zu walten.“
Bruno Jost, Sonderbeauftragter des Senats für die Aufklärung des Handelns der Berliner Behörden im Fall Amri, hält in seinem Abschlussbericht vom 10. Oktober 2017 vorab fest, dass er gewissen Beschränkungen ausgesetzt war. Im Folgenden führt er aus, dass „abgelegtes und [dort] verfügbares und abrufbares Wissen über Amris BTM-Aktivitäten absichtlich verschwiegen wurden. Und verfälscht wurde, um die Untätigkeit zu verschleiern.“ Zur Beteiligung der Geheimdienste heißt es in dem Bericht „Soweit aus den hier vorliegenden Akten ersichtlich, spielten die deutschen Nachrichtendienste (hier BfV, LfV Berlin und BND) sowohl im Vorfeld des Anschlags vom 19.12.2016 als auch bei der Aufklärung und Aufarbeitung des Verbrechens eine bemerkenswert bedeutungslose Rolle.“
Aus alldem geht hervor, dass diverse Sicherheitsbehörden Amri im Blick hatten und sich in ihrem Vorgehen absprachen. Im LKA Berlin werden mangelnde Fachaufsicht, falsche Entscheidungen und missglückte Einsätze mit den zu dieser Zeit chaotischen Verhältnissen im LKA begründet. Auch die Generalstaatsanwaltschaft schlampte, beobachtete die Fristen nicht, eine Hand wusste nicht was die andere tat. Die Berichte im NRW-Untersuchungsausschuss legen nahe, dass weitere Strafverfolgung nicht möglich gewesen sei. Dass es sich um Lappalien gehandelt hätte oder eine Tatbeteiligung Amris nicht nachzuweisen gewesen wäre. Konkrete Vorwürfe waren: Urkundenfälschung, Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln, Verdacht des unerlaubten Aufenthaltes ohne Pass bzw. Passersatz, Verdacht des unerlaubten Aufenthaltes ohne Aufenthaltstitel, Verdacht des Versuches der Beteiligung an einem Tötungsdelikt.
Eine lange Liste, aber Ralf Jäger, damaliger NRW-Innenminister betonte „Gefährder heißt nicht Straftäter. Wir können in einem Rechtsstaat Gefährder nicht einfach präventiv und vorsorglich wegsperren. Um jemanden in Haft zu nehmen, braucht es einen Haftgrund. Es braucht Tatsachen, nicht Hörensagen, sondern Tatsachen, die einen Richter überzeugen, Haft anzuordnen. Wir haben in Deutschland aus gutem Grund kein Gesinnungsstrafrecht. Eine falsche Gesinnung zu haben, rechtfertigt nicht, jemanden einzusperren. Ich finde, das ist auch gut so, weil man nämlich Unrecht nicht mit Unrecht bekämpfen sollte.“ Wenn unser Rechtssystem so funktionieren würde, müssten die Bürger dieses Landes sich keine Sorgen machen. Die noch inhaftierten, die verurteilten und die noch vor Gericht stehenden G20-Gegner machen andere Erfahrungen.