„Nationale Industriestrategie 2030“ als Antwort auf China und die USA

Der Große Sprung des Peter Altmaier

Von Klaus Wagener

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat in der letzten Woche seine „Nationale Industriestrategie 2030“ vorgestellt. In einer 20-seitigen Broschüre sind die „strategischen Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik“ zusammengefasst. Es gehe darum, „schwere Nachteile für die eigene Volkswirtschaft und das gesamtstaatliche Wohl zu vermeiden“. Eine „deutsche und europäische Industriepolitik“ sei „ein Beitrag zur Gestaltung einer zukunftsfesten Marktwirtschaft und Basis einer ordnungspolitischen Debatte, die geführt werden“ müsse.

Nahezu zeitgleich mit Altmaiers Vorstoß hatte die EU-Kommission eine Fusion von Siemens und Alstom abgelehnt. Die geplante Verschmelzung von TGV und ICE, euphemistisch als „Airbus auf Schienen“ gepriesen, „sei nicht im Interesse der Kunden und Verbraucher“, begründete Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die Ablehnung. Nur durch Wettbewerb im Binnenmarkt und die dazu notwendigen Innovationen seien Unternehmen auch global konkurrenzfähig. Das hatten nicht alle so gesehen. Vor allem bei Siemens und Alstom war man entsprechend sauer. Dem Weltmarktführer, dem chinesische Eisenbahnkonzern CRRC (chinesisches Eisenbahnnetz 2018: 130000 km, davon High-Speed: 29000 km) dürfte mit der Zauberformel Marktwirtschaft plus Wettbewerb kaum beizukommen sein, das weiß man in München und Paris nur zu genau. Altmeiers Formel lautet daher: Nationale Champions.

Die Krise dieses Jahrzehnts hat die Welt tiefgreifend verändert. 2008, als Lehman Brothers zusammenbrach, schworen noch alle, ob G7 oder G20, diesmal sei alles anders, diesmal werde es keinen Protektionismus, keine nationale Abschottung geben wie in den 1930er Jahren. Die Freiheit des Handels und des Kapitalverkehrs sei heilig. Dem freien Unternehmertum verdanke man schließlich den größten Wohlstand, den die Welt je gesehen habe.

Zehn Jahre später, nach dem die Aufkaufprogramme des „Quantitative Easing“ die Bilanzsummen der großen Zentralbanken auf kulminiert rund 20 Billionen US-Dollar aufgeblasen haben und die Nullzinspolitik die globale Verschuldung auf den Rekordwert von 247 Billionen Dollar (318 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung) hat explodieren lassen, ist nichts mehr heilig. Wenn die Zeit des kostenlosen Kredits tatsächlich vorbei gehen sollte und Schulden wieder richtiges Geld kosten, dann, das ahnen die Nullzins-Junkies, kommt auch die große Zeit des Bankrotts. Die Fallhöhe ist größer denn je. „Wir wollen gestärkt aus der Krise hervorgehen“, sagt nicht nur Angela Merkel, sondern auch Donald Trump und inszeniert einen veritablen Wirtschaftskrieg gegen China, Russland und Iran. Das national gebündelte Profitinteresse fegt die wirtschaftsliberalen Treueschwüre locker beiseite. „Wir wollen gestärkt aus der Krise hervorgehen.“ Bei Donald Trump klingt es nur etwas schlichter: „America first!“. Und nun hat der Peter Altmaier eine „Nationale Industriestrategie 2030“ vorgelegt.

Er weiß allerlei Erstaunliches zu berichten: „Es gibt viele Gewinner – aber eben auch große Verlierer.“ „Die Karten werden weltweit neu gemischt.“ Oder: „Die Konkurrenz schläft nicht und es steht viel auf dem Spiel.“ Und natürlich hat er auch eine finstere Drohkulisse: „Würden technologische Schlüsselkompetenzen verloren gehen und infolgedessen unsere Stellung in der Weltwirtschaft substanziell beschädigt, hätte das dramatische Folgen für unsere Art zu leben, für die Handlungsfähigkeit des Staates und für seine Fähigkeit zur Gestaltung in fast allen Bereichen der Politik. Und irgendwann auch für die demokratische Legitimität seiner Institutionen.“ Es droht also kaum weniger als der totale Zusammenbruch. Darum müsse Deutschland „den Anspruch haben, diese Entwicklung aktiv und erfolgreich mitzugestalten, anstatt sie passiv zu erdulden, zu erleiden und geschehen zu lassen.“

Nun, wie soll dieses „aktiv und erfolgreiche Mitgestalten“ aussehen? Das Ziel der „Nationalen Industriestrategie 2030“ bestehe darin, „gemeinsam mit den Akteuren der Wirtschaft einen Beitrag zu leisten zur Sicherung und Wiedererlangung von wirtschaftlicher und technologischer Kompetenz, Wettbewerbsfähigkeit und Industrie-Führerschaft auf nationaler, europäischer und globaler Ebene in allen relevanten Bereichen.“ Deutsche Champions eben.

„Industrielle Schlüsselbereiche, in denen Deutschland bereits heute und immer noch führend ist“, seien folgende:

•    die Stahl-, Kupfer- und Aluminium-Industrie

•    die Chemieindustrie

•    der Maschinen- und Anlagenbau

•    die Automobilindustrie

•    die optische Industrie

•    die Medizingeräteindustrie

•    der GreenTech-Sektor

•    die Rüstungsindustrie

•    die Luft- und Raumfahrtindustrie sowie

•    die additive Fertigung (3D-Druck).

Dies dürften die Wirtschaftsbereiche sein, die sich, nach Altmaiers Plänen, in Zukunft einer besonderen, protektiven Zuwendung des Staates erfreuen dürfen. Ziel sei es, den „schrittweisen Ausbau des Anteils der Industrie an der Bruttowertschöpfung auf 25 Prozent in Deutschland und 20 Prozent in der Europäischen Union bis zum Jahr 2030“ zu steigern.

Nun weiß auch Altmaier, dass seine industriepolitischen Ideen in krassem Gegensatz, nicht nur zu der EU-Kommission, sondern auch zum wirtschaftswissenschaftlichen, hart neoliberalen Mainstream stehen. Zu den Ideen, nicht so sehr zur staatsmonopolistischen Realität. In keinem anderen Land sind die neoliberalen Phrasen zu einem derartig unhinterfragbaren Dogmengebäude kanonisiert worden wie in Deutschland. Altmaier verbeugt sich entsprechend pflichtschuldig: „Wir brauchen mehr, nicht weniger Marktwirtschaft, wenn wir die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft bewahren wollen“, um sich danach für sein Sakrileg gegen die Heiligen Dogmen des Neoliberalismus als notwendige Ausnahme zu entschuldigen, „wenn es die Marktkräfte innerhalb der Volkswirtschaft eines Landes nicht vermögen, deren Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten“.

Als große Konkurrenten hat der Wirtschaftsminister die USA, Japan und natürlich China ausgemacht. Das strategische Infrastruktur-Konzept der neuen Seidenstraße, „Belt and Road Initiative“, und das Technologie-Entwicklungskonzept „Made in China 2025“ liegt ihm sichtlich schwer im Magen. Etwas Vergleichbares hat der im permanenten Kriegszustand lebende „Freie Westen“ nicht anzubieten. Mit Mini-Steuern für Reiche und Unternehmen, mit einer „Schwarzen Null“ und einer „Schuldenbremse“ ist Infrastruktur- und Industriepolitik nicht zu machen, wie man landauf landab besichtigen kann. Und wenn’s ums Geld geht, wird Herr Altmeier auch auffallend schmallippig. Ähnlich wie Herr Trump.

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"Der Große Sprung des Peter Altmaier", UZ vom 15. Februar 2019



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