Der „freie“ Wohnungsmarkt regelt nichts

Lars Mörking im Gespräch mit Siw Mammitzsch

UZ: Die Unterbringung von Flüchtlingen sorgt in den Kommunen für Diskussionen wie kaum ein anderes Thema. Wie bzw. wo werden Flüchtlinge untergebracht?

Siw Mammitzsch kandidierte für die DKP zur Oberbürgermeisterwahl 2015 in Essen.

Siw Mammitzsch kandidierte für die DKP zur Oberbürgermeisterwahl 2015 in Essen.

Siw Mammitzsch: Das ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich. In Essen gibt es derzeit sieben Flüchtlingsdörfer mit Zelten, drei weitere sind im Bau. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Gebäuden, die zur Unterbringung genutzt werden. Zudem wird demnächst eine Erstaufnahmeeinrichtung eröffnet mit 800 Plätzen.

Kritik entzündet sich derzeit an der Verteilung der Standorte, vor allem jenen, die noch kommen sollen. Essen hat schon ewig ein eklatantes Süd-Nord-Gefälle, was die finanziellen Mittel der dort ansässigen Menschen angeht. Verkürzt heißt das: armer Norden, reicher Süden. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund und derjenigen, die von sozialen Leistungen abhängig sind, ist im Norden hoch. In dieser Situation wirkt die Ankündigung, dass genau in jenen Stadtteilen drei weitere Standorte mit jeweils bis zu 800 Plätzen gebaut werden sollen, wie ein Brennglas.

UZ: Teile der SPD haben gegen die ungleiche Verteilung von Flüchtlingen in den ärmeren Stadtteilen protestiert und wollten sogar gegen Flüchtlingsunterkünfte demonstrieren. Was ist da los?

Siw Mammitzsch: Sie haben sich total im Ton vergriffen. Das kann man nur ablehnen. Denn rechtsradikale Parolen wie „Der Norden ist voll“ dienen Nazis und Rechtspopulisten. Die SPDler mussten ihre Demo absagen, weil NPD und AfD sie unterstützen wollten, gegen die dann wiederum Antifaschisten demonstrieren wollten. Selbst die eigene Jugend, die Jusos, hatten zur Blockade der SPD-Demo aufgerufen.

Trotzdem darf man nicht übersehen, dass die SPD offenbar einen Nerv getroffen hat, sie hat nicht nur Befürworter unter den Radikalen. Wir müssen deshalb deutlich dagegenhalten, dass die Sozialdemokraten Ursache und Wirkung verwechseln. Waren doch in dieser Stadt die längsten Jahre die Sozialdemokraten die bestimmende Partei im Rat der Stadt. Und trotzdem hat sich am Süd-Nord-Gefälle nichts geändert. Der reiche Süden hat sich stets gegen die sozialen Probleme des Nordens abgeschottet. Alleine die Verteilung des sozialen Wohnungsbaus spricht eine deutliche Sprache.

Es sind ja vor allem die Kriege, welche die Fluchtbewegungen verursachen. Die massiven Waffenexporte der Bundesregierung, die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Ausbeutung der Rohstoffe in vielen Ländern der Welt auch durch deutsche Konzerne befeuern kriegerische Auseinandersetzungen und vertiefen schlimmste Armutszustände. Alles unter Beteiligung der SPD zu Gunsten des großen Kapitals. Die Verschärfung der Armut im eigenen Land haben wir u. a. der Einführung von Hartz IV durch die SPD zu verdanken. Ein nationales „WIR“ gibt es nicht in einer Klassengesellschaft, nur ein Oben und Unten. Den 62 Superreichen dieser Welt muss endlich etwas weggenommen werden, dann ist genug für alle da … das gilt auch für bezahlbaren Wohnraum!

UZ: Gibt es denn Alternativen zur Unterbringung von Flüchtlingen in Zeltdörfern?

Siw Mammitzsch: Es gibt noch eine Reihe leerstehender Gewerbeimmobilien, also größere Bürogebäude, die genutzt werden könnten. Ein Problem ist oft, dass die Besitzverhältnisse und Verwertungsabsichten der Eigentümer unklar sind. Wenn die nicht wollen, geht da nix. Aus der Vorlage zur Ratssitzung in der letzten Woche geht hervor, dass 150 städtische Immobilien und Flächen geprüft wurden, nochmal 82 private Objekte zur Anmietung und nochmal 45 Grundstücke und Gebäude, die in der Ratssitzung im Dezember 2015 vorgeschlagen wurden. Sicherheit und Brandschutz müssen gewährleistet sein. Allerdings schaut die Stadt bei ihren eigenen Flächen nur auf Grundstücke, die eine Unterbringung von mindestens 200 Geflüchteten zulassen. Die kleineren sind alle bei der Prüfung durchgefallen.

Aber es gibt auch richtig schöne Flecken, die genutzt werden könnten. So fordert die DKP Essen die Unterbringung von Flüchtlingen in der Villa Hügel im Stadtteil Bredeney. Sie wurde 1870–1873 von Alfred Krupp errichtet und ist das ehemalige Wohn- und Repräsentationshaus der Industriellenfamilie Krupp. Die Villa verfügt über 8 100 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche, 269 Räume und einen 28 Hektar großen Park. Hier dürfte genug Platz für Hunderte Flüchtlinge sein.

UZ: Wo kommen diejenigen, die „bleiben dürfen“, derzeit unter?

Siw Mammitzsch: Sie machen das, was jeder machen würde: Sie suchen sich eine Wohnung. Sobald der Aufenthaltsstatus genehmigt ist, bekommen die Flüchtlinge die üblichen Sozialleistungen, inklusive der Kosten der Unterkunft. Das heißt aber auch, dass die günstigen Wohnungen knapp werden.

UZ: Wie hoch ist der Bedarf an neuen Wohnungen? In welchem Maß hat er sich durch die Aufgabe, Geflüchtete unterzubringen, verändert?

Siw Mammitzsch: Der Bedarf ist riesig. Er liegt um ein Vielfaches höher als derzeit tatsächlich gebaut wird. Bei den großen Wohnungsunternehmen liegen die Leerstandsquoten nahe oder sogar unter der Fluktuationsreserve von 3 Prozent – so viel Leerstand wird z. B. für Renovierungen und Umzüge benötigt. Lediglich die privaten Vermieter haben noch Reserven. Die Stadt spricht von einem Leerstand von ca. 10 000 Wohnungen. Davon sind aber einige derart heruntergekommen, dass eine sofortige Vermietung nicht möglich ist. Eigentlich müsste die Stadt die alle kaufen.

Für uns ist das jedoch keine neue Entwicklung, wir kritisieren den Rückgang günstigen Wohnraums schon länger. Das sind die Nachwirkungen des Wegfalls der Wohnungsgemeinnützigkeit und vor allem des mangelnden sozialen Wohnungsbaus. Die Politik ist ja größtenteils immer noch der Meinung, Angebot und Nachfrage regele der „Markt“ – tut er aber nicht.

UZ: Wie sieht es mit den Möglichkeiten der Kommunen aus, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen?

Siw Mammitzsch: Die Möglichkeiten wären schon da, werden aber mit Verweis auf fehlende Investitionsmittel nicht genutzt. Das „Argument“ lautet dann immer, dass die Kommunalaufsicht den Haushaltssicherungskommunen die Kredite nicht genehmigt. Also selbst wenn Städte noch über kommunale Wohnungsgesellschaften verfügen, hat man sich abhängig gemacht von privaten Investoren. Trotzdem verweigerte sich die Politik in Essen der Einführung einer Quote für den sozialen Wohnungsbau.

Damit überhaupt günstige Wohnungen gebaut werden, müssen sie genug Rendite abwerfen. Deshalb hat jetzt z. B. die Landesregierung NRW die Wohnungsbauförderung noch einmal deutlich aufgestockt, sowohl für den sozialen Wohnungsbau als auch zur Flüchtlingsunterbringung. Ehrlich, ich finde das bescheuert: Erst hat der Staat den sozialen Wohnungsbau praktisch abgeschafft, damit den Wohnungsmarkt verknappt und verteuert, um nun den Privaten das Geld wieder in den Rachen zu werfen. Diejenigen die diesen Staat lenken sollen, haben leider den Kapitalismus nicht verstanden und wundern sich nun, dass sie ausgenommen werden wie Weihnachtsgänse. Wer den Wohnungsbau dem „freien“ Markt überlässt, der lenkt das Geld in private Taschen. Davon haben die Mieter nichts.

Deshalb müssen sämtliche Schuldenbremsen weg, die Kommunen müssen selber investieren können, sie müssen wieder über große eigene Wohnungsbestände verfügen können. Letzten Endes ist der private Grundbesitz das Grundübel beim Geschäft mit der Wohnung. Ist das Land bzw. sind die Flächen einmal weg, gibt es keine sozialen Steuerungsmittel mehr für die Versorgung mit Wohnraum. Das zeigt sich auch in Essen. In den letzten Jahren wurde ausschließlich im hochpreisigen Segment gebaut. Dort winkten die höchsten Renditen.

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"Der „freie“ Wohnungsmarkt regelt nichts", UZ vom 5. Februar 2016



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