Mit dem „Green Deal“ soll die EU klimaneutral werden

Der „Frau auf dem Mond“-Moment

Eine große Bühne hatte die neue Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, gewählt, als sie am 11. Dezember vor dem Europäischen Parlament das Ziel verkündete, bis zur Mitte des Jahrhunderts wolle die EU „zum ersten klimaneutralen Kontinent“ werden. Der „Green Deal“, wie sie es nannte, sei der „Mann auf dem Mond“-Moment für Europa, und vereinnahmte Nicht-EU-Länder wie üblich gleich mit in ihre Reise zu den Sternen. Unverkennbar sind drei Anleihen in ihrer Rede: „Erster Mann auf dem Mond“, das sagte US-Präsident John F. Kennedy, als er die als Niederlagen für die USA empfundenen Erfolge der sowjetischen Raumfahrt im Mai 1961 verkündete: „Wir sollten uns dazu verpflichten, noch vor dem Ende dieses Jahrzehnts das Ziel zu erreichen, einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen und ihn dann sicher wieder zur Erde zurückzubringen.“

Zweitens bemühte von der Leyen in ihrer Rede die Aufbruchstimmung, die Frankling D. Roosevelt – noch ein US-Präsident – erzeugt hatte, als er im Kampf gegen die Weltwirtschaftskrise 1933 den „New Deal“ verkündete. Dieser sah im Kern vor, Reichtum über den Staat so umzuverteilen, dass damit Programme zur Verbesserung der amerikanischen Infrastruktur und der Entfaltung der Kultur finanziert werden konnten, die Millionen Arbeitslose wieder in Lohn und Brot brachten.
Und schließlich greift sie in ihrer Begrifflichkeit eine jahrzehntelang mit genau diesem Zauberwort „Green Deal“ vorgetragene Forderung der „Grünen“ auf.

Die Reaktion der Mächtigen in diesem Land war gelassen abwartend. Denn anders als 1961 gibt es keinen konkreten Fahrplan zur Umsetzung des Ziels. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat recht, wenn sie schreibt, dass das „Narrativ“ stimme. Entscheidend ist nun, wie von der Leyen ihre Pläne verwirklichen will. In diesem Punkt blieb der „Green Deal“ vage. Konkrete Antworten, wie Klimaschutz und Wachstum versöhnt werden sollen, gibt er nicht.

Im Unterschied zu Roosevelt beinhaltet die Ankündigung der Kommissionspräsidentin keinen Fehdehandschuh an die Reichen. Sie beteuert, alles solle einvernehmlich mit der Wirtschaft passieren. Die so unvermeidlichen ersten begrifflichen Mogeleien sind auch schon jetzt erkennbar: In die beschworene „Klimaneutralität“ soll zwar der Energieausstoß und Mineralölverbrauch fahrender Kraftfahrzeuge eingerechnet werden, aber „auf CO2-Preise für Autos und Gebäude“ will die Kommission verzichten. Damit sind Elektroautos, die vor ihrem ersten gefahrenen Kilometer eine gegenüber herkömmlichen Verbrennern deutlich schlechtere Klimabilanz vorweisen, fein raus.

Funktionieren könnte Anleihe Nummer drei. Auch ihre Kanzlerin Angela Merkel ist seit langem bemüht, dem möglichen künftigen Koalitionspartner „Die Grünen“, die an die Stelle der verschlissenen Sozialdemokratie rücken sollen, durch Übernahme ihrer ökologischen Forderungen ähnlich energisch die Wählerstimmen abzujagen, wie das bei der SPD durch Übernahme von deren lauwarmen sozialen Forderungen gelungen ist. Aber auch hier gibt es eine Einschränkung: Dieses Programm wirkt wahlpolitisch wie ein Raketentreibsatz für Kräfte, die hinter Trump, Bolsonaro, Johnson und hierzulande der AfD stehen. Sie geben mit großem Erfolg vor, Verteidiger der Millionen zu sein, die die Rechnungen für solche vollmundigen Ankündigungsprogramme etablierter Regierungsparteien zahlen sollen.

Kennedy hat die Landung des ersten Menschen auf dem Mond bekanntlich auf tragische Weise nicht mehr erlebt. Aber selbst wenn von der Leyen – was ihr zu wünschen ist – noch drei Jahrzehnte lebt: Eher landet sie selbst auf dem Mond, als dass dieses Programm Wirklichkeit wird.

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"Der „Frau auf dem Mond“-Moment", UZ vom 20. Dezember 2019



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