Deutschland schließt sich ökonomisch und militärisch enger mit Japan zusammen – gegen China. Gemeinsame Manöver in Nordjapan nahe russischen Territoriums sind geplant. Tokio rüstet so massiv auf wie nie zuvor

Der Euro-Indo-Pazifik

Deutschland verbündet sich im Machtkampf gegen China wirtschaftlich enger mit Japan und intensiviert die gemeinsamen Kriegsübungen. Wie Bundeskanzler Olaf Scholz und Japans Ministerpräsident Fumio Kishida am Freitag in Berlin mitteilten, werden sich beide Länder künftig abstimmen, um die jeweilige Abhängigkeit von Lieferungen aus China nach Kräften zu reduzieren. Auf einigen „strategischen Sektoren“ habe man bereits Fortschritte erzielt, teilten Scholz und Kishida mit. Am Freitag ist außerdem ein Abkommen in Kraft getreten, das die Durchführung gemeinsamer Manöver erleichtert. So können etwa Kampfjets der deutschen Luftwaffe in Kürze ohne große Umstände mit den japanischen Luftstreitkräften Kriegsübungen abhalten – auf Hokkaido, der nördlichsten der japanischen Hauptinseln, die nicht nur nahe an China, sondern zudem nahe an Russland liegt. Auch werden japanische Kriegsschiffe in Deutschland erwartet. Japan rüstet – ganz ähnlich wie die Bundesrepublik – massiv auf, erhöht seinen Militärhaushalt jährlich in Rekordhöhen, exportiert Patriot-Raketen in die USA, damit diese die Ukraine beliefern können, und zieht eine Beteiligung an etwaigen Kriegen um Taiwan und die Philippinen in Betracht.

Rekordsummen fürs Militär

Japan stockt zur Zeit seinen Militärhaushalt in hohem Tempo auf. Der Streitkräfteetat für das aktuelle Haushaltsjahr, das am 1. April begonnen hat, beträgt 55,9 Milliarden US-Dollar; das sind 16,5 Prozent mehr als im Haushaltsjahr zuvor. In den nächsten Jahren soll er weiter steigen, bis er im Jahr 2027 rund 62,5 Milliarden US-Dollar erreicht. Dies ist mehr, als Tokio jemals in seine Armee investiert hat. Die Mittel sind unter anderem für Kriegsschiffe, für Kampfjets sowie für Raketen vorgesehen und nicht zuletzt für US-Marschflugkörper vom Typ Tomahawk, die von 2025 an einsatzbereit sein sollen. Parallel hat Tokio begonnen, seine bisher strikten Rüstungsexportregeln zu lockern. Ende 2023 hat es die Ausfuhr von Patriot-Flugabwehrraketen in die Vereinigten Staaten genehmigt – mit dem Argument, man habe aus den USA ja die Lizenz zum Bau der Raketen erhalten. Faktisch füllt Tokio damit aber nur US-Bestände auf, aus denen Washington vorher die Ukraine beliefert hatte; Japan ermöglicht also der Sache nach den Export von Waffen in ein Land im Krieg, was ihm selbst nach japanischer Gesetzeslage nicht erlaubt ist. Im März hat Tokio darüber hinaus bereits vorab den künftigen Export von Kampfjets gestattet, die es gemeinsam mit Großbritannien und Italien bauen will.

Kriegsteilnahme möglich

Während Japan seine Streitkräfte in hohem Tempo aufrüstet und seine Rüstungsindustrie stärkt, bereitet es sich zunehmend auf einen Krieg gegen China vor – in offener Abkehr von seinem offiziellen Grundsatz, lediglich Landesverteidigung zu betreiben; die japanischen Streitkräfte etwa heißen bis heute Selbstverteidigungsstreitkräfte. Bereits vor Jahren hat das japanische Kabinett den Beschluss gefasst, einen Angriff auf einen Verbündeten als einen Angriff auf sich selbst zu werten und damit sein Recht auf Selbstverteidigung als Recht auf kollektive Selbstverteidigung zu interpretieren. Sollten die Vereinigten Staaten in einem Krieg um Taiwan gegen China auf taiwanischer Seite intervenieren, dann werde das mit japanischer Unterstützung geschehen, heißt es in Tokio schon seit Jahren. Denkbar seien nicht nur direkte Unterstützungsleistungen für die US-Streitkräfte, sondern auch eigene japanische Angriffsoperationen. Am Montag vergangener Woche unterzeichneten darüber hinaus Japan und die Philippinen ein Abkommen, das etwa die Entsendung von Truppen zu Manövern in das jeweils andere Land erlaubt. Die Militärkooperation soll ausgebaut werden. Die Philippinen befinden sich in einem ernsten Konflikt mit China um einige Riffe im Südchinesischen Meer; der Konflikt eskalierte zuletzt immer mehr.

Ein Weltkonflikt

Das ist der Hintergrund, vor dem nun auch Deutschland seine Zusammenarbeit mit Japan intensiviert. Bundeskanzler Olaf Scholz kam dazu am vergangenen Freitag in Berlin mit Ministerpräsident Fumio Kishida zusammen. Beide hatten sich kurz zuvor, am Donnerstag, auf dem NATO-Jubiläumsgipfel in Washington getroffen. Dort hatte das Militärbündnis die Staats- und Regierungschefs Japans, Südkoreas, Australiens und Neuseelands zu einem Austausch geladen. Auf der Tagesordnung standen gemeinsame Strategien einerseits gegen Nordkorea, andererseits gegen China, die das nordatlantische Militärbündnis gemeinsam mit seinen asiatisch-pazifischen Verbündeten realisieren will. In Vorbereitung auf den Gipfel hatte Japans Ministerpräsident Kishida behauptet, „die geographische Grenze zwischen dem ‚Euro-Atlantik‘ und dem ‚Indo-Pazifik‘“ sei in Zukunft für die NATO und ihre Verbündeten „nicht mehr relevant“. Die Abschlusserklärung des Gipfels enthielt schärfere Angriffe gegen China denn je; so warf das Militärbündnis der Volksrepublik vor, ein „entscheidender Ermöglicher“ des Ukraine-Kriegs zu sein. Die NATO ging zudem auf ihrem Gipfel in Washington zunehmend dazu über, den Ukraine-Krieg als Konflikt nicht nur mit Russland, sondern mit „Russland, China, Iran und Nordkorea“ einzustufen.

Strategische Sektoren

Entsprechend hatten Scholz und Kishida, als Letzterer am Freitag auf dem Heimweg aus Washington einen Zwischenstopp in Berlin einlegte, insbesondere gemeinsame Maßnahmen gegen China auf der Tagesordnung. So werden Deutschland und Japan in Zukunft enger ökonomisch kooperieren, um die Abhängigkeit von der Volksrepublik zu reduzieren. Auf „strategischen Sektoren“ habe man bereits Fortschritte erzielt, hieß es anschließend; dies gelte zum Beispiel für Wasserstoff, Halbleiter und Bodenschätze. Beobachter weisen darauf hin, dass Japan über eine eigenständige Chipindustrie verfügt und zur Zeit dabei ist, diese nach Kräften auszubauen. Deutschland bemüht sich ebenfalls darum, dies allerdings mit bislang lediglich durchwachsenem Erfolg. Am vergangenen Freitag trat außerdem, wie Scholz im Anschluss an das Treffen hervorhob, ein im Januar geschlossenes Abkommen zwischen Berlin und Tokio in Kraft (Acquisition and Cross-Servicing Agreement, ACSA), das die logistische Unterstützung der Truppen des jeweils anderen Staates bei gemeinsamen Manövern regelt. Entsprechende Vereinbarungen hat Japan bereits mit den USA, mit Großbritannien und mit Frankreich geschlossen. Jetzt sind Kriegsübungen auch der Bundeswehr auf japanischem Territorium leichter möglich als zuvor.

Gemeinsame Manöver

Derlei Manöver stehen unmittelbar bevor. So werden Kampfjets der deutschen Luftwaffe, die sich gegenwärtig auf einer Manöverreise in der Asien-Pazifik-Region befinden, schon in wenigen Tagen gemeinsam mit den japanischen Luftstreitkräften den Krieg üben – und zwar auf Hokkaido, der nördlichsten der japanischen Hauptinseln. Dies ist insofern von Interesse, als sie damit nicht nur so nahe an China den Krieg üben wie in dieser Form wohl noch nie zuvor. Der Manöverschauplatz liegt außerdem in relativer Nähe zu den Kurilen, einer Inselkette, die zu Russland gehört, deren südliche Teile aber von Japan beansprucht werden. Bereits zuvor hatten sich die deutschen Kampfjets an Übungen in Alaska beteiligt, unter anderem an Arctic Defender, einem Manöver, mit dem die Kriegführung gegen Russland in der Arktis geprobt wurde. Gegenwärtig operieren die deutschen Militärflugzeuge noch bei Hawaii, wo zur Zeit – unter Beteiligung auch deutscher Kriegsschiffe – „Rimpac 2024“ abgehalten wird, das US-geführte größte Marinemanöver der Welt. Davon abgesehen soll, wie Kishida in Berlin mitteilte, schon in naher Zukunft eine Flottille der japanischen Marine im Hamburger Hafen einlaufen. Auch die Marine gehört zu den japanischen Selbstverteidigungsstreitkräften, die offiziell lediglich der Verteidigung japanischen Territoriums dienen.

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