Proteste gegen EU-Flüchtlingsabwehr

Der erbärmliche Tiefpunkt

Von german-foreign-policy.com

Scharfe Kritik an der EU hat zum Weltflüchtlingstag der Europarat geübt. Dass die Union und ihre Mitgliedstaaten sich im Mittelmeer überwiegend auf die Flüchtlingsabwehr konzentrierten anstatt „auf humanitäre Aspekte und Menschenrechte“, habe „tragische Konsequenzen“, urteilt die Menschenrechtsbeauftragte des Europarats, Dunja Mijatovic. Seit 2014 – damals wurde vor allem auf Drängen Berlins die italienische Seenotrettungsoperation „Mare Nostrum“ beendet – seien auf der Flucht vor „Krieg, Verfolgung und Armut Tausende Menschen im Mittelmeer gestorben“, stellt Mijatovic fest. Tatsächlich kamen von 2015 bis 2018 laut Zählung der International Organization for Migration (IOM) mindestens 11897 Menschen ums Leben. Hinzu kommen in diesem Jahr laut Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks „UNHCR“ bislang mindestens 559 Todesopfer. Trotz des Massensterbens seien die Rettungsoperationen noch reduziert worden, konstatiert Mijatovic. Die EU kooperiere zudem weiter mit Ländern, die eine desaströse Menschenrechtsbilanz aufwiesen, während NGO, die „das Vakuum füllen, das durch den Rückzug der Staaten aus der humanitären Hilfe entsteht“, mit „administrativen und juristischen Verfahren schikaniert werden“.

Protest äußern auch große internationale Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen. Vor einem Jahr habe man die Regierungen der EU angefleht, „Menschenleben über die Politik zu stellen“, konstatiert Annemarie Loof, Leiterin der Hilfseinsätze von „Ärzte ohne Grenzen“: „Wir baten um eine menschliche Antwort, um ein Ende der Entmenschlichung verletzlicher Menschen auf See.“ Stattdessen habe „die europäische Antwort erbärmliche neue Tiefpunkte erreicht“: Die EU sei mit Blick auf die „humanitäre Krise im Mittelmeer“ in eine Art „Unterbietungswettbewerb“ eingetreten.

Angeprangert wird insbesondere das Vorgehen mehrerer EU-Staaten gegen private Seenotretter und gegen andere Unterstützer von Flüchtlingen. Italien prescht unter der Führung von Innenminister Matteo Salvini vor, hat seine Häfen für Rettungsschiffe geschlossen und Personen, die Flüchtlinge vor dem Tod auf dem Meer bewahren, vor Gericht stellen lassen. Vor zwei Wochen hat die italienische Regierung zusätzlich ein Dekret auf den Weg gebracht, das Schiffseignern sowie Kapitänen, die „ohne Genehmigung in italienische Hoheitsgewässer eindringen“, eine Geldstrafe von bis zu 50000 Euro androht. Schiffe, die wiederholt gegen das Dekret verstoßen, sollen beschlagnahmt werden. In der Bundesrepublik hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) schon im vergangenen Sommer strafrechtliche Schritte gegen Seenotretter verlangt. Flüchtlingshelfer sind auch in weiteren EU-Staaten gerichtlich belangt worden, so etwa in Frankreich. In Deutschland wiederum sieht ein neues Gesetz vor, die Weitergabe von „Informationen zum konkreten Ablauf einer Abschiebung“ unter Strafe zu stellen. Dies richtet sich ebenfalls gegen Personen und Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen.

Parallel zu den wachsenden Protesten beschäftigt die EU-Flüchtlingsabwehr zunehmend die internationale Justiz. Zu Monatsbeginn haben Menschenrechtsanwälte beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Anzeige wegen des Flüchtlingssterbens im Mittelmeer erstattet. Bereits zuvor hatten Anwälte, die sich unter dem Namen „Global Legal Action Network“ (GLAN) zusammengeschlossen haben, ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strasbourg angestrengt. Gegenstand ist das Vorgehen der griechischen Behörden gegen den dänischen Seenotretter Salam Kamal-Aldeen, der im Herbst 2015 begonnen hatte, von der griechischen Insel Lesbos aus Flüchtlinge zu retten, die hilflos in ihren Booten auf dem Meer trieben. Kamal-Aldeen wurde im Januar 2016 festgenommen und für seine Rettungsaktivitäten in einem Strafverfahren mit zehn Jahren Haft bedroht. GLAN will nun eine Klärung des Falles zugunsten von Kamal-Aldeen vor dem EGMR erreichen, dies auch stellvertretend für andere Seenotretter, die in der EU verfolgt werden, weil sie Flüchtlinge vor dem Tod bewahren.

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"Der erbärmliche Tiefpunkt", UZ vom 28. Juni 2019



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