Die Kosten des GAU in Fukushima werden auf über 200 Milliarden Dollar geschätzt

Der endlose GAU

Von Oliver Wagner

Am vergangenen Samstag jährte sich der Beginn der Nuklearkatastrophe in Fukushima an der japanischen Ostküste zum sechsten Mal. Während es dem sofort nach dem GAU verstaatlichten Betreiberkonzern TEPCO bis heute nicht gelungen ist, den in drei von insgesamt sechs Reaktoren geschmolzenen Kernbrennstoff zu bergen, und auf dem Gelände des havarierten Atomkraftwerks die höchste radioaktive Strahlung seit März 2011 gemessen wurde, droht Tausenden Flüchtlingen der Verlust ihrer bisher kostenlosen Wohnungen in anderen Teilen Japans.

Spätestens bis 2020, wenn in Tokio die Spiele der XXXII. Olympiade stattfinden sollen, will Shinzo Abe, der rechtskonservative Premierminister des Landes, den „größten anzunehmenden Unfall“ (GAU) irgendwie vergessen machen. Doch die letzten Nachrichten aus dem Katastrophengebiet nähren Zweifel, dass ihm oder einem seiner Nachfolger das gelingen kann.

So teilte TEPCO Anfang Februar mit, in der Umgebung des Reaktors 2 habe die radioaktive Strahlung bei geschätzten 530 Sievert pro Stunde gelegen. Die nach einem schwedischen Arzt und Physiker, der sich um die Einführung des Strahlenschutzes verdient gemacht hat, benannte Einheit dient der Bewertung radioaktiver Strahlung hinsichtlich ihrer biologischen Schädlichkeit.

Gravierende akute Strahlenschäden treten bereits auf, wenn ein Mensch in kurzer Zeit einer Strahlung von einem Sievert pro Stunde ausgesetzt ist. Bei sechs Sievert pro Stunde fällt ein Mensch sofort um. In Fukushima wurde also das 88-Fache von dem gemessen, was ein Mensch überhaupt ertragen kann. Verständlich, dass selbst die TEPCO-Ingenieure von den Ergebnissen ihrer Messungen schockiert waren. Die havarierten Reaktoren in Fukushima sind noch jahrzehntelang nicht einmal zu öffnen, weil die Strahlung viel zu hoch ist.

Dennoch haben die Behörden angekündigt, den rund 27 000 Menschen, die das Gebiet um die havarierten Reaktoren nach der Katastrophe am 11. März 2011 freiwillig verlassen hatten, ab Ende dieses Monats das Wohngeld zu streichen. Es gibt zwar eine Sperrzone um die Atomruine, die wird aber immer kleiner gemacht, damit die Regierung sich die Entschädigungszahlungen sparen kann. Vor allem junge Menschen und Familien mit Kindern weigern sich dennoch, in den Norden der Hauptinsel Honshu zurückzukehren. Sie wissen, dass Radioaktivität sich im menschlichen Körper ansammelt und über die Jahre zur Krebserkrankung führen kann.

Nach den schockierenden Messungen von Anfang Februar – ein paar Tage später wurden an der selben Stelle sogar 650 Sievert pro Stunde gemessen – gab TEPCO zu, dass der Zeitplan der „Liquidatoren“ zur Beseitigung der havarierten Reaktoren wahrscheinlich nicht eingehalten werden kann. Die unerwartet hohen Strahlungswerte machen nämlich nicht nur das Arbeiten von Menschen unmöglich, sondern begrenzen sogar die Einsatzzeiten der ferngesteuerten Roboter. Der Sanierungsplan sah bisher vor, die brüchigen Reaktorbehälter bis zum Jahr 2021 zu reparieren und sie dann mit Wasser zu füllen, um die Strahlung abzuschirmen. Bis 2025 sollten die Überreste der noch immer nicht gefundenen Brennstäbe entfernt werden, um die Reaktorgebäude dann endlich abreißen zu können. Ein Abschluss der Arbeiten in Fukushima, die vor allem von Zeitarbeitern bewältigt werden, wurde bislang für Mitte des Jahrhunderts erwartet.

Der „größte anzunehmende Unfall“ wird also noch viele Jahrzehnte weitergehen – und den japanischen Steuerzahler aktuellen Expertenschätzungen zufolge 201 Milliarden US-Dollar kosten.

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"Der endlose GAU", UZ vom 17. März 2017



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