Der US-amerikanische Spionagedienst NSA und das Bundeskanzleramt sind jeder auf seine Weise ein rechtsfreier Raum. Die NSA spioniert seit Jahrzehnten die Regierungsspitze aus, und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt, ohne etwas dagegen zu tun: „Das darfst Du aber nicht!“ Wikileaks hatte aufgedeckt, dass nicht nur „Mutti“ abgesogen wurde. Zuvor waren bereits die Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) und Helmut Kohl (CDU) angezapft worden.
Insgesamt geht es aktuell um weitere 56 Anschlüsse. Damit wurden die 69 der vorangegangenen Woche noch einmal aufgestockt. Die elektronische Kanüle wurde unter anderem direkt ins politische Herz der Spionageabwehr eingeführt: Im Kanzleramt wurden die Koordinatoren der Geheimdienste, Ernst Uhrlau(SPD), und jetzt aktuell Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche (CSU) und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) abgeschöpft, also die Beamten, die die Spionageabwehr hätten so einstellen müssen, dass die „Hacker“ jenseits des Atlantiks hätten auffliegen müssen. Sind sie aber nicht. Der Bundesnachrichtendienst schlief, gab vor zu schlafen, oder kooperierte bereits mit der NSA. Die Kooperation bestätigt die NSA nicht. Sie bestätigt gar nichts. Auch Bodo Hombach (SPD), damals Kanzleramtsminister, hatte nichts gemerkt.
Die anhaltende Verschwiegenheit der Dienste ist für Merkel und Staatsanwaltschaft von hilfreichem Vorteil: Wir wissen überhaupt nicht, wer abgehört hat. Generalbundesanwalt Harald Range(FDP) hatte erst vor wenigen Wochen ein Verfahren eingestellt. Auf seiner Jahrespressekonferenz stellte er fest: „Unsere Erkenntnisfragen haben bislang keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die NASA und das GCHQ den deutschen Telefon- und Internetverkehr systematisch überwacht haben.“ – Kein Beweis der Justiz – keine Aufkündigung des Vertrauensverhältnisses zur US-Administration.
Nach dem neuerlichen Anschlag auf die geheimen Aktionen der NSA – auch der damalige Kanzleramtsminister Ronald Profalla (CDU) und CDU-Fraktionschef Volker Kauder waren angezapft worden – ging es härter zur Sache: Der US-amerikanische Botschafter, John B. Emerson, wurde gemäß einer Formulierung der FAZ „zu einem Gespräch ins Kanzleramt gebeten.“ Auch danach war der Bundesregierung eine abschließende Beurteilung des Abhörskandals nicht möglich. Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU), ging mit den USA ebenfalls außerordentlich „scharf“ ins Gericht: Nach seiner Meinung mache es „jetzt keinen Sinn, jede Woche, wenn neue Veröffentlichungen an den Tag kommen, wieder den Botschafter einzubestellen.“ Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann (SPD) gibt sich verärgert: „Aber es bringt nichts, immer wieder neue Empörungsstufen zu erklimmen.“
Der Jurist MdB Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Grüne) scheint eher auf Harald Range zu bauen, den er auffordert, ein Ermittlungsverfahren wegen Spionage einzuleiten. „Die Linke“ forderte eine Sondersitzung des NSA-Ausschusses. Sie will wissen, „was die Bundesregierung jetzt unternimmt, um die Spionage unter Freunden zu beenden.“ Und die geheime Selektorenliste mit den Anhörstichwörtern muss auf den Tisch des geheim tagenden Untersuchungsausschusses. Die Machtinteressen der USA und die freundschaftliche Verbundenheit der Bundesregierung mit diesem Regime dürften dem allerdings entgegenstehen.
Die Geheimdienste gehören, selbst gemessen an ihren eigenen Ansprüchen, abgeschafft. In seiner Selbstdarstellung behauptet der Bundesnachrichtendienst (BND), er habe die Befugnis und die technischen Möglichkeiten zur strategischen Erfassung internationaler Datenverkehre. Cyber-Spionage werde erfasst. Diesen Aufgaben wird er offensichtlich nicht gerecht. Hier paart sich Nichtkönnen und Nichtwollen unter der Käseglocke globaler Hegemonialansprüche.
Der Chaos-Computer-Club (CCC) greift diese Unfähigkeit auf: „Zwei Jahre nach den Snowden-Enthüllungen ist es längst überfällig, dass der Generalbundesanwalt die Erkenntnisse aus den Geheimdienstaffären für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Spionage und Massenüberwachung nutzt, um sich nicht dem Vorwurf der Strafvereitelung im Amt auszusetzen.“ Der CCC hat deshalb selber am 3. Februar 2014 eine Strafanzeige gegen die Bundesregierung gestellt und sie anschließend erweitert. Aber Herr Range leitet kein Verfahren ein. Der CCC kommt daher zu dem Schluss: „Doch die wahren Opfer sind wir, ist unsere Gesellschaft, ist unsere Demokratie.“
Zbigniew Brzezinski, 1977 bis 1981 „sicherheitspolitischer“ Berater von US-Präsident Jimmy Carter, plädierte 1997 in „The Grand Chessboard“ („Das große Schachbrett“/„Die einzige Weltmacht“) noch einmal für die „unipolare Welt“, die alleinige Vorherrschaft der USA auf diesem Globus. Ohne NSA wird Merkels Sicherheitslücke auch nicht kleiner.