US-amerikanische Medien rufen nach Intervention

Der Abgesang auf Venezuela

Von Ramiro S. Fúnez, TeleSUR

Die venezolanische Opposition im Straßenkampf auf der Brücke von Las Mercedes in Caracas geschützt durch Helme und ein Schutzschild am 7. Juni 2017. Auf der Wand Parolen wie „Weg mit der Diktatur!“, „Freiheit“ oder „Wir sind mehr.“

Die venezolanische Opposition im Straßenkampf auf der Brücke von Las Mercedes in Caracas geschützt durch Helme und ein Schutzschild am 7. Juni 2017. Auf der Wand Parolen wie „Weg mit der Diktatur!“, „Freiheit“ oder „Wir sind mehr.“

( Jamez42 / Lizenz: CC BY-SA 4.0)

Die Mainstream-Medien wollen uns glauben machen, hinter den Protesten gegen die Regierung in Venezuela, die mittlerweile mehr als fünfzig Leben gekostet haben (laut venezuelaanalysis.com sind es inzwischen 82 Menschen, die seit Beginn der Proteste Opfer politischer Gewalt wurden), stünde folgende Geschichte:

Da wird zum einen die Story von David und Goliath nacherzählt, eine von den Nachrichtensendern immer wieder gern aufgewärmte Buchstabensuppe: Auf der einen Seite harmlose, friedliebende Demokraten, die politische Freiheiten fordern. Auf der anderen eine mächtige, brutale und autoritäre Regierung, welche diese Freiheiten nicht gewähren will.

Diese hübsche Erzählung, die in den Mainstream-Medien immer wieder wiederholt wird, soll noch mehr Unterstützung für einen „Regime Change“ produzieren. Die Fernsehkanäle und Zeitungen wie z. B. CBS, CNN, NBC, ABC, Fox News und die „New York Times“ gehören Mitgliedern der reichen globalen Elite, die zugleich Kapitalbesitzer im militärisch-industriellen Komplex sind und ihren Gewinn aus dauernden Kriegen ziehen.

Ihre lauten Rufe nach einer Intervention der USA gegen Venezuela erinnern an ähnliche Aufrufe gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen, bevor diese Länder 1999, 2001, 2003 und 2011 angegriffen wurden. Wer die damaligen Kriegsexpeditionen verfolgt hat, wird bestätigen, dass auch damals die gezielte falsche Berichterstattung der Mainstream-Medien viel dazu beigetragen hat, dass es zum desaströsen Resultat gekommen ist.

Die Opposition hat sich für die Straßenkämpfe mit Molotow-Cocktails ausgerüstet. Als Mainstream-Medium könnte man auch schreiben: „Friedliche venezolanische Opposition verteilt Getränke an notleidende Bevölkerung.“

Die Opposition hat sich für die Straßenkämpfe mit Molotow-Cocktails ausgerüstet. Als Mainstream-Medium könnte man auch schreiben: „Friedliche venezolanische Opposition verteilt Getränke an notleidende Bevölkerung.“

( Jamez42 / Lizenz: CC BY-SA 4.0)

Die Art und Weise, wie die Proteste in Venezuela analysiert werden, ist das Hauptproblem in der Berichterstattung der Mainstream-Medien. Wenn man sich die Artikel oder bewegten Bilder genauer ansieht, welche von den etablierten Medien produziert werden, erkennt man eine durchgehende Tendenz. Der aktuelle Aufruhr im Land wird ohne jeden historischen Zusammenhang präsentiert.

Diese Medien unterschlagen nicht nur bewusst die dauernden wirtschaftlichen und politischen Angriffe, die gegen die Bolivarische Revolution seit ihrem Antritt 1999 geführt wurden und die Regierung daran gehindert haben, Frieden und Stabilität im Land zu fördern. Sie vermeiden auch bewusst jeden Hinweis darauf, in welchem Zustand sich das Land vor 1999 befand, als Hugo Chávez die Präsidentschaft übernahm und sich daran machte, die Lebensbedingungen der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung Venezuelas radikal zu verbessern.

Schon in den frühen 2000ern begannen die Eigner von Supermarktketten, die mit der Opposition im Lande kooperierten, Lebensmittel zu horten, um sie anschließend zu höheren Preisen zu verkaufen und gute Gewinne einzufahren. Lebensmittelimporteure, ebenfalls aus den Reihen der rechten, reichen Elite, manipulierten Importstatistiken, um so die Preise für die entsprechenden Waren anheben zu können.

Der Chef der venezolanischen Zentralbank, Edmee Betancourt, berichtet 2013, dass das Land im Jahr zuvor wegen der Hortungen und Preismanipulationen zwischen 15 und 20 Mrd. Dollar verloren hatte. Die Sabotageaktionen von rechts gegen die sozialistische Wirtschaft Venezuelas, die seit 1999 auf den verschiedensten Feldern unternommen worden sind, haben das Ziel, den politischen Protest anzuheizen. Diese Destabilisierungstaktik, wie sie der US-Politikwissenschaftler Gene Sharp darlegt, wird schon seit langem gegen Regierungen eingesetzt, die sich gegen die Herrschaft der Wall Street richten.

Die Mainstream-Medien vermeiden es tunlichst, darauf hinzuweisen, dass vor der Bolivarischen Revolution von 1999 die Inflationsrate sowie Arbeitslosigkeit und Armut im Land weit höher waren als heute.

Denn Phänomene wie die Unruhen in Venezuela werden als statische, unzusammenhängende Momente erfasst, statt sie als zusammenhängende Ereignisse zu begreifen, die einen sich ständig verändernden Prozess bilden. Diese Analysemethode trennt die „relevante“ Gegenwart von der „irrelevanten“ Vergangenheit und blendet so den Gesamtzusammenhang der Phänomene aus.

Marxisten leugnen nicht, dass die Inflation in Venezuela steigt und dass die Warenknappheit zunimmt. Aber sie lehnen es ab, diese Tatsachen ohne den dazugehörenden Zusammenhang darzustellen, sich auf die Erscheinungen zu beschränken und die Realität damit zu entstellen. Der Marxismus setzt darauf, die Analyse über die aktuellen Fakten hinaus auszuweiten, die wirtschaftlichen Ursachen für beispielsweise die Inflation zu untersuchen und somit Vorschläge zur Lösung machen zu können.

Ein weiteres Problem bei der Berichterstattung der Mainstream-Medien ist die falsche Darstellung der Protestierer und der Regierung. Wie eingangs gesagt, präsentieren die Nachrichtensender die Protestierer als harmlose, friedliebende Demokraten, die Regierungsfunktionäre dagegen als mächtige und gewalttätige Potentaten. Wenn zum Beispiel über Demonstrationen berichtet wird, sieht man meist Bilder von Demonstranten, die scheinbar fortschrittliche Parolen tragen wie „Weg mit der Diktatur“ und „Gerechtigkeit für die politischen Gefangenen“. Protestierer werden auch gerne gezeigt, wie sie den Polizisten Blumen überreichen und sie weinend anflehen, „die Gewalt zu beenden“.

Auf der anderen Seite werden die Polizei und die Bolivarische Nationalgarde dabei gezeigt, wie sie Wasserwerfer einsetzt und die Protestierer mit Schilden zurückdrängt. Äußerst selten zeigen diese Medien Bilder von den Tausenden linken Pro-Regierungs-Demonstranten, die beinahe täglich friedlich für die Bolivarische Revolution auf die Straße gehen.

Diese oberflächliche Darstellung der Medien verführt die Menschen zu der Überzeugung, dass die rechten Protestierer revolutionär, die linke Regierung aber reaktionär wäre. Entsprechend bringen die Fernsehzuschauer erstere in Zusammenhang mit Bewegungen wie „Occupy Wall Street“ oder „Black Lives Matter“, letztere aber mit Regierungen wie dem Apartheid-Regime in Südafrika.

Vom marxistischen Standpunkt aus ist diese Gegenüberstellung eine perverse Umkehrung der wirklichen Verhältnisse.

In kapitalistischen Gesellschaften wie in den USA, wo die Reichen die herrschende Klasse darstellen, nutzen die reichen Eliten den Staat zur Herrschaft über die Armen. Man kann das daran erkennen, wie Unternehmen in den USA die Polizei dazu einsetzen, um die Arbeiter zu unterdrücken und benachteiligte gesellschaftliche Gruppen am Protest für bessere Lebensbedingungen zu hindern.

In Gesellschaften, die sich wie Venezuela in Richtung Sozialismus bewegen, wo die Regierung die Armen vertritt, bekämpfen Arbeiter und unterdrückte Schichten noch immer die reiche Elite, aber sie haben sie schon besser unter Kontrolle. Im März dieses Jahres zum Beispiel ordnete Präsident Nicolas Maduro die Übernahme von Bäckereien an, die Eigentum rechter Eliten waren und bewusst Mehl gehortet hatten. Später wurden diese Bäckereien unter die Kontrolle von Arbeiterkollektiven gestellt.

Der Marxismus wendet sich auch gegen die Behauptung, die viele Anarchisten immer noch vertreten, dass nämlich alle Staaten dem Wesen nach bourgeoise Einrichtungen sind. Es ist vielmehr so, dass der jeweilige Charakter des Staates von der Klasse abhängt, die über ihn bestimmt. Ganz auf dieser Linie des Staatsverständnisses stellen Marxisten fest, dass nicht jeder Protest gegen eine Regierung schon revolutionär sein muss, was viele Liberale und viele Anarchisten einfach nicht begreifen.

Die Anführer der rechten Opposition in Venezuela behaupten, dass das sozialistische Modell der Bolivarischen Revolution an fast allen Problemen des Landes schuld ist. Sie käuen völlig unkritisch ökonomische Theorien wieder, die ihnen die Thinktanks von der Wall Street eingetrichtert haben, und behaupten, dass der Kapitalismus des freien Marktes alle Probleme Venezuelas lösen werde.

„Sozialismus schafft Bürokratie“, sagen sie und schlagen als Lösung vor, dass Privatkapital das Gesundheitswesen, den Bildungssektor, die Nahrungsmittelverteilung und die Wohnungswirtschaft übernehmen soll. Der Oppositionsführer Leopoldo Lopez, der sich fragwürdiger Beziehungen zu multinationalen Erdölgiganten wie ExxonMobil erfreut, hat sogar vorgeschlagen, die staatliche Erdölgesellschaft Venezuelas PVSA zu privatisieren, die eine der wichtigsten Quellen des Reichtums des Landes darstellt.

Die Oppositionsführer haben auch vorgeschlagen, wichtige staatliche Institutionen wie die Ministerien für die indigene Bevölkerung und für Frauen und Gender-Fragen aufzulösen, um, wie sie sagen, „die Wirtschaft zu stabilisieren“.

Es ist unbestreitbar, dass Venezuela ernste ökonomische Probleme hat. Aber es ist falsch, wenn die Opposition die Ursache der Probleme dem Sozialismus anlastet. Sie stellt dabei nicht in Rechnung, dass alle Versuche, eine stabile Verwaltungswirtschaft aufzubauen, seit 1999 systematisch sabotiert worden sind. Die Oppositionellen reden andauernd über die „Mängel des Sozialismus“, greifen ihn aber ebenso dauernd an, um sicherzustellen, dass er nicht erfolgreich sein kann.

Es ist so, als wollte man einen Architekten dafür tadeln, dass er das Haus nicht schnell fertig gestellt hat, gleichzeitig aber nicht berücksichtigt, dass von Anfang an der Baugrund täglich geplündert und zerstört worden ist. Die Bolivarische Revolution hat enorme soziale Fortschritte erzielt, obwohl die von den Rechten betriebene Wirtschaftssabotage in ihrer 18-jährigen Geschichte keinen Tag ausgesetzt hat.

Die Opposition, die Mainstream-Medien und Wall Street sind sich in der Behauptung einig, dass es Venezuela besser gehen würde, wenn es zum Kapitalismus zurückkehren würde.

Will man wissen, wie es Venezuela ergehen würde, wenn es der Opposition gelänge, die Bolivarische Regierung abzusetzen und den Kapitalismus wieder herzustellen, kann man sich die neoliberalen Katastrophen in Brasilien und Argentinien ansehen. Seit Mauricio Macri in Argentinien das Präsidentenamt übernommen hat, sind alle Fortschritte rückgängig gemacht worden, die es unter seiner Vorgängerin Cristina Fernandez gegeben hatte. Der rechts gewirkte Macri, ein offener Gegner der venezolanischen Regierung, hat in vielen Sektoren der argentinischen Wirtschaft Spar- und Austeritätsprogramme installiert. Die Preise für Gas und Strom steigen. Arbeitsplätze werden gestrichen. Regierungsinstitutionen schrumpfen, während zugleich Privatfirmen, die sich guter Beziehungen zur Regierung erfreuen, Steuernachlässe bekommen. Diese Politik hat in Argentinien zu mehr Armut, Instabilität und Unruhen geführt.

Dasselbe gilt für Brasilien. Seit der amtierende Präsident Michel Temer 2016 das Amt übernommen hat, hat er alle Fortschritte rückgängig gemacht, die unter der forschrittlichen Präsidentin Dilma Rousseff erreicht worden waren. Entsprechend wurden Millionen Brasilianer in die Armut gestürzt, die Polizeirepression gegen Afro-Brasilianer und die indigene Bevölkerung wird wieder stärker, die Rechte der Landarbeiter werden nicht mehr beachtet. Stattdessen kehren wieder Zustände zurück, die nach dem Strafgesetzbuch des Landes als Sklaverei einzustufen sind.

Auch Temer ist ein lauter Kritiker der Bolivarischen Revolution. Auch er hat es mit wachsender Opposition der Brasilianer zu tun, die unter seiner neoliberalen Austeritätspolitik zu leiden haben.

Auch wenn die venezolanische Opposition wie Macri und Temer die Macht im Staate übernehmen würde, wären die Probleme des Landes nicht annähernd gelöst. Denn der von ihnen heiß geliebte Kapitalismus, ein System, das von der Aussicht auf Profit gesteuert wird, ist seinem Wesen nach instabil und selbstzerstörerisch.

Weil die Arbeiter auf dem gesamten Globus aufgrund der neoliberalen Austeritätspolitik weniger Lohn erhalten, können sie alle Produkte, die sie selber herstellen, nicht kaufen. Die Unternehmer haben Absatzprobleme, weil nicht genug Geld da ist, um ihre Produkte zu erwerben, was wiederum die Unternehmen daran hindert, Profit zu machen.

Das Ganze spielt sich auf globaler Ebene ab und ebnet den Weg für internationale Finanzkrisen. So geht es mit dem Kapitalismus weiter bergab, und im Lauf der Zeit verliert er an Glaubwürdigkeit als funktionierendes System.

Wie der Kapitalismus hat auch die Opposition in Venezuela dem Land wirklich nichts zu bieten. Beide sind am Ende.

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"Der Abgesang auf Venezuela", UZ vom 23. Juni 2017



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