Im Baltikum wird besonders deutlich, dass all die von der EU beschworenen Werte das Papier nicht wert ist, auf dem sie geschrieben stehen. Die baltischen Länder verstoßen gegen alle Gleichbehandlungsgrundsätze. Diskriminierende Sprachgesetzgebung und Gesetze, die sich gegen die russischen Minderheiten richten, akzeptiert die EU seit Jahrzehnten. Mit dem Ukraine-Krieg hat die ohnehin schon stark ausgeprägte Russophobie im Baltikum noch einmal deutlich zugenommen.
So wurde im vergangenen Jahr in Lettland das Einwanderungsgesetz verschärft. In Lettland lebenden Russen wurde die bestehende Aufenthaltserlaubnis annulliert. Um weiter im Land bleiben zu können, müssen sie diese neu beantragen und nun einen Sprachtest bestehen, mit dem sie Kenntnisse des Lettischen nachweisen. Können sie das nicht, droht die Ausweisung.
Dass es sich dabei nicht um eine leere Drohung handelt, wurde Mitte Januar deutlich, als der 82-jährige Rentner Boris Katkow ausgewiesen und mit einem Rückkehrverbot belegt wurde. Die Ausweisung wurde drastisch umgesetzt. Katkow wurde über Nacht von seiner Frau, seinen Kindern und Enkeln getrennt und an die Grenze verbracht. Katkow war Vorsitzender der Lettisch-Russischen Gesellschaft – sein Engagement für Verständigung und Völkerfreundschaft half ihm nicht. Im Gegenteil wurde er vom lettischen Innenministerium als Gefahr für die innere Sicherheit eingestuft. Beweise für die Gefährlichkeit des über 80 Jahre alten Mannes wurden nicht vorgelegt, eine Widerspruchsmöglichkeit gibt es nicht.
Der Fall zieht in Russland weite Kreise. Das Außenministerium Russlands spricht von „Deportation“ und geht davon aus, dass in nächster Zukunft noch weit über tausend in Lettland lebende Russen auf die gleiche Weise wie Katkow zum Verlassen des Landes gezwungen werden.
Im Baltikum leben zwei unterschiedliche Gruppen russischstämmiger Menschen. Da ist zum einen eine jüngere Generation, die sich aus geschäftlichen Gründen im Land aufhält. Und dann gibt es eine große Gruppe von älteren, aus Russland stammenden Menschen, die zu Sowjetzeiten nach Lettland kamen und dort seit Jahrzehnten leben. Vor allem gegen sie richtet sich die Gesetzesverschärfung, vor allem ihnen droht die Ausweisung, sollten sie den notwendigen Sprachtest nicht bestehen. Eine Härtefallregelung ist ganz offensichtlich nicht vorgesehen, wie einzelne Fälle belegen, über die in den russischen sozialen Netzwerken diskutiert wird. Dort kursieren beispielsweise Bilder von der 74-jährigen Rentnerin Natalija Kotschegarowa, die von ihren Angehörigen im Rollstuhl zum Sprachtest gebracht wurde. Da das Gebäude, in dem die Tests abgenommen wurden, nicht barrierefrei ist, musste Natalija von ihren Verwandten zum Test getragen werden. Sie bestand den Test übrigens nicht. Sie leidet unter Diabetes und zahlreichen weiteren Erkrankungen und verlässt kaum das Haus. Ihr soziales Umfeld besteht ausschließlich aus russischsprachigen Personen, mit denen sie sich problemlos verständigen kann. Auch ihr droht in den nächsten Wochen die Ausweisung.
Ähnlich isoliert lebt ein 73 Jahre alter Mann, der den Sprachtest ebenfalls nicht bestand und dem nun ebenfalls die Ausweisung droht. Eine Krebsdiagnose sowie die Tatsache, dass er schlecht hört und sieht, hat ihn nicht von der Pflicht zum Sprachtest befreit.
Das russische Außenministerium nennt das, was in Lettland vor sich geht, „Barbarei“ und „Diskriminierung“. Es verspricht, die aus Lettland Ausgewiesenen zu unterstützen und hat entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Präsident Wladimir Putin äußerte, die diskriminierenden Maßnahmen würden auch Russland betreffen.
Unterdessen gab Estland den Plan bekannt, Bürgern mit russischem Migrationshintergrund das Wahlrecht zu entziehen. Die baltischen Länder scheinen sich in einer Art Überbietungswettbewerb hinsichtlich der Diskriminierung von Menschen mit russischen Wurzeln zu befinden. Die EU und Deutschland, in anderen Fällen stets darauf bedacht, auf Missstände in anderen Ländern hinzuweisen und die Achtung von Minderheiten anzumahnen, schweigen zu den Vorgängen im Baltikum. In Russland wertet man dieses Schweigen als weiteren Beweis für die im Westen herrschenden doppelten Standards und die mangelnde Glaubwürdigkeit westlichen Einsatzes für die Menschenrechte.