Im Erdgeschoss der Torstraße 6, Berlin-Mitte, dem Redaktionssitz der Tageszeitung „junge Welt“, ist seit einigen Monaten die Maigalerie zu finden. Vielen UZ-Lesern werden die Räume als „junge Welt“-Ladengalerie bekannt sein, die sich seit 2007 unter der Leitung von Michael Mäde als ein Ort für praktizierte linke Gegenkultur etabliert hat. In der Ladengalerie wurden bis Anfang 2022 – inmitten eines gut sortierten Angebots linker Literatur und Medien – 75 Ausstellungen und mehr als 600 Veranstaltungen mit fast 50.000 Besuchern durchgeführt. Anfang des Jahres entschloss sich der Verlag 8. Mai, unter veränderten Marktbedingungen Shop und Galerie zu trennen und auf 175 Quadratmetern eine Verkaufsgalerie für bildende Kunst mit regelmäßigen Veranstaltungen einzurichten. Demnächst wird auf der anderen Seite des Einganges zum Bürogebäude Torstraße 6 dann auch der neue jW-Shop den Betrieb aufnehmen.
Die Maigalerie will durch ihre Arbeit einen Denk- und Fühlraum für engagierte Kunst als ästhetische, rationale und ethische Einheit schaffen. Es geht um Realismus in der Kunst, seine Möglichkeiten und auch seine Grenzen als Erkenntnismittel. In enger und auch langfristiger Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden will sich die Galerie solidarisch mit denen zeigen, die um künstlerische Wahrheit ringen. Wenn die unterstützten Künstler auch keine marktkonforme Kunst schaffen, so können wir die Warenförmigkeit der Kunstwerke im real existierenden Kapitalismus nicht leugnen. Somit gehört es auch zur praktizierten Solidarität, den Künstlerinnen und Künstlern zu helfen, auf dem Kunstmarkt sichtbar zu sein. Demzufolge agiert die Maigalerie als Verkaufsgalerie, in der vier Ausstellungen pro Jahr stattfinden, die jeweils von einem Katalog begleitet werden. Daneben bauen wir zurzeit ein Dauerangebot von guter Kunst zu kleinen Preisen auf, die es erlauben, auch mit geringen Geldmitteln Originalkunstwerke zu erwerben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Druckgrafik und Kleinplastik, selbstverständlich sind auch die bisher zehn erschienenen Grafiken der jW-Kunstedition für jeweils 28 Euro im Angebot. Von den Ausstellungskatalogen erscheint jeweils eine Vorzugsausgabe mit einer Originalgrafik für 60 Euro.
Die Maigalerie eröffnete am 8. Mai 2022, dem 77. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus durch die Sowjetarmee, mit der Ausstellung „Tatorte, Tatsachen“ der Malerin Heike Ruschmeyer. In ihrem Werk beschäftigt sich Ruschmeyer seit fast 50 Jahren mit dem Thema Tod durch Gewalt, ein Schwerpunkt der letzten Jahre sind politische Attentate. In Zeiten anschwellenden Kriegsgeschreis gemahnten ihre Arbeiten an die Ursachen jeglicher Gewalt: Ungerechtigkeit – soziale, gesellschaftliche, systemimmanente.
Am 8. Juli, dem 155. Geburtstag von Käthe Kollwitz, eröffnete die zweite Ausstellung der Maigalerie, die unter dem Titel „Inspiration Käthe Kollwitz“ Arbeiten von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern zeigt und diese mit Originalgrafiken von Käthe Kollwitz in einen Dialog bringt. Die Idee zur Ausstellung hatten die Bildhauerinnen Eva Backofen und Anna Franziska Schwarzbach, beide auch tätig im Bereich der Medaillenkunst, die ursprünglich an verschiedenen Orten, Stiftungen und Museen, die Bezug zu Kollwitz haben, mit Kunst gefüllte Vitrinen aufstellen wollten. Da die meisten im Herbst 2021 angeschriebenen Institutionen absagten, brachte ich die noch in Planung befindliche Maigalerie ins Spiel. Aus der kleinen Vitrine als „Geburtstagsbukett“ wurde über die Monate eine recht umfangreiche Kunstschau, die alle räumlichen Möglichkeiten der Galerie ausnutzt.
Letztendlich folgten zweiundzwanzig Künstlerinnen und Künstler der Einladung von Anna Franziska Schwarzbach, die als Kokuratorin der Ausstellung und Mitherausgeberin des Kataloges fungiert. Mit Druckgrafiken, Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen präsentieren die Teilnehmer aus Berlin, Dresden, Leipzig und Potsdam sowie dem Umland der Metropolen eine große Bandbreite an künstlerischen Positionen und stellen explizit wie implizit Bezüge zum Werk der großen Realistin Kollwitz her. Die Schau ist auch ein Treffen der Generationen mit Künstlerinnen und Künstlern der Jahrgänge 1936 bis 1978. Es werden Arbeiten von Eva Backofen, Rolf Biebl, Marguerite Blume-Cárdenas, Manfred Butzmann, Bärbel Dieckmann, Marianne Dietz, Christine Düwel, Konstanze Feindt Eißner, Adelheid Fuss, Marcus Golter, Sylvia Hagen, Heidrun Hegewald, Eva Niemann, Sebastian Paul, Gabriele Reinemer, Heike Ruschmeyer, Frank Schauseil, Ulf Schüler, Anna Franziska Schwarzbach, Bianca Seidel, Erik Seidel und Alex Weise gezeigt.
Ein besonderer Schwerpunkt der Präsentation liegt auf der figurativen Plastik und der Medaillenkunst, beides Gebiete, die auf aktuellen Kunstschauen kaum Beachtung finden und hier mit herausragenden Exponaten vertreten sind. Parallel dazu sind im „Kabinett“ der Maigalerie einige Hauptwerke aus dem grafischen Schaffen von Käthe Kollwitz zu sehen, wobei der komplette Zyklus „Bauernkrieg“ mit sieben großformatigen Radierungen in hervorragenden, signierten Abzügen unter den Besuchern die größte Beachtung findet.
Unser Autor ist Künstlerischer Leiter der Maigalerie der „jungen Welt“.
Die Ausstellung wird während des UZ-Pressefestes durchgängig geöffnet sein. Auf der kleinen Bühne der Maigalerie werden in der Ausstellung außerdem Podiumsgespräche mit Kunst- und Medienarbeitern und Liveauftritte von Künstlern stattfinden.
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Die Ausstellung „Inspiration Käthe Kollwitz“ ist bis zum 24. September zu sehen, die Maigalerie ist von Mittwoch bis Samstag von 13 bis 18 Uhr geöffnet. Der Katalog kostet 8,50 Euro, der Vorzugsausgabe für 60 Euro liegt ein Prägedruck von Anna Franziska Schwarzbach bei. Mehr Infos zur Maigalerie und zur jW-Kunstedition unter
jungewelt.de/ladengalerie