Der Arsch der Welt ist braun, geht es mir spontan durch den Kopf, wenn ich über das Ergebnis der Bundestagswahl in Sachsen nachdenke: Mit 27 Prozent ist die AfD im Bundesland die stärkste Partei. Besonders im Osten hat der nationale Populismus die meisten Stimmen erhalten. Aber für einen gebürtigen Dresdner und Wahlleipziger verbietet es sich, derart über Mitmenschen zu spotten. Das ist intellektuelle Arroganz gegenüber Stimmungen, die man nicht hören möchte, sage ich mir – und es ist leicht, in einem Wahlkreis, der links gewählt hat, arrogant zu sein.
Das weist auf Widersprüche: Der einzige Direktkandidat der Linken außerhalb Berlins wurde im Leipziger Süden gewählt. In Sachsen bestätigt sich auch im Wahlverhalten die Dreifaltigkeit aus der Messestadt Leipzig, der Industriestadt Chemnitz und der Kulturstadt Dresden, die unterschiedliche Mentalitäten mit sich bringt. Als Materialist sollte man der Kulturprägung zwar nicht die erste Bedeutung beimessen, vernachlässigen darf man sie aber nicht. Dresden, die Heimatstadt der PEGIDA-Bewegung, war und ist eine Stadt mit hohem Snobismus. Der durchschnittliche Dresdner liebt seinen Barock, meckert gern, aber neigt nicht zu revolutionärem Aufruhr.
Einfache Schlüsse sollte man nicht ziehen. Zwar bestätigt sich einerseits, dass sowohl in Dresden als auch in Leipzig in den Neubaugebieten am Stadtrand die meisten AfD-Wähler wohnen. Und das weist auf einen Zusammenhang zwischen sozialer Ausgrenzung und der Entscheidung, die AfD zu wählen. Zum anderen lässt sich aus den Verhältnissen kaum die Gleichung ableiten: Arme Deutsche plus Ausländer gleich rechte Wähler.
Dem steht entgegen, dass Sachsen unter den ostdeutschen Bundesländern durchaus keine strukturschwache Region ist. Zwar vermisst man die blühenden Landschaften hier ebenso wie anderenorts, aber der überdurchschnittlich hohe AfD-Wähleranteil gegenüber weniger urbanen Bundesländern, wie Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg gibt Rätsel auf. Die Wahlergebnisse in Sachsen lassen zudem nicht darauf schließen, dass nur Arme die AfD gewählt haben. Auch mittelständisch geprägte Wahlbezirke, in denen die CDU die Mehrheit erringen konnte, weisen eine sehr hohe Zustimmung für die rechtspopulistische Partei auf, und in Stadtteilen Leipzigs, die von hoher Armut betroffen sind, dominiert die Linkspartei.
Auch die vielbeschworene Verunsicherung durch die Berührung mit Asylbewerbern steht in Sachsen in Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands auf tönernen Füßen und sollte kritisch hinterfragt werden. Besser zu sagen wäre wohl, dass gerade Menschen, die wenig persönlichen Kontakt zu Ausländern haben, empfänglicher sind für abstrakte Ängste und Populismus. Dresden ist nicht Köln, und die PEGIDA-Bewegung fand ihren Ausgang nicht dort, wo reale Berührungen mit Asylbewerbern Schlagzeilen machten. Man mag, wenn man den hohen Zustimmungsanteil für die AfD in Ostsachsen betrachtet, in Rechnung stellen, dass die Region an Tschechien und Polen grenzt und damit einen gewissen Nährboden für nationalem Chauvinismus aufweist – aber das gilt auch für den Osten Brandenburgs, in dem nicht die gleiche Zustimmung zur AfD zu verzeichnen ist.
Letzten Endes darf wohl tatsächlich angenommen werden, dass die Wahl der AfD in weiten Teilen Sachsen als ein Protest gegenüber etablierten bürgerlichen Parteien zu verstehen ist. Von den Bürgern eines Bundeslandes, die seit Jahr und Tag mehrheitlich CDU wählen, überrascht das zunächst. Plausibel wird das Argument allerdings, wenn man sich fragt, welche echten Alternativen in Sachsen zu wählen waren. Außer in Leipzig, wo die Linkspartei traditionell stark verankert ist, besitzt die sächsische Linke weder das Format einer Regierungspartei noch einer Opposition. Auch aus der DKP, der es in Sachsen leider nicht gelungen ist, für die Bundestagswahl zu kandidieren, hat es noch keinen Genossen weiter nach Osten verschlagen als nach Dresden. Dort dominiert die AfD, und das bestätigt, was Johannes R. Becher einmal schrieb: „Wo wir nicht sind, ist unser Gegenteil.“
Das benennt Aufgaben und Herausforderungen auch für die DKP in Sachsen. Diese können nur bewältigt werden, wenn die Ursachen für die Zustimmung zur AfD hierzulande tiefgehend analysiert und betrachtet werden.