UZ: Anfang November entschied das Berliner Finanzamt, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) die Gemeinnützigkeit abzuerkennen und zigtausende Euro Steuern nachzufordern. Wie bewertest du diese Entscheidung angesichts des Rechtsrucks, der Drohungen von Rechts auch gegen bürgerliche Politikerinnen und Politiker und der Gefahr des Rechtsterrorismus in Deutschland?
Ulrich Sander: Faschistische Netzwerke in Polizei und Bundeswehr bleiben gemeinnützig, bleiben sogar bei Straftaten straffrei. Die neofaschistische NPD bleibt unbehelligt. Kein Prepper, Hanibal, Uniter-Aktivist, KSK-Terrorist und ultrarechter Reservist wurde bisher rechtskräftig verurteilt. Rechtsterrorismus wird beklagt, aber nicht bekämpft, Haftbefehle werden nicht vollstreckt.
Die Unschuldsvermutung wurde der VVN-BdA genommen, sie soll nun nachweisen, dass sich nicht verfassungsfeindlich ist. All das ist sehr alarmierend.
UZ: Gemeinnützigkeit bedeutet, dass Organisationen und deren Spender steuerrechtlich begünstigt werden. Wie bedrohlich ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die VVN-BdA?
Ulrich Sander: Wir erleben den Widerspruch, dass in manchen Ländern und Kreisen die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA bestätigt wurde, in anderen jedoch nicht – die Behörden warten dort ab. Und in Berlin kam es zu der bekannten Entscheidung, ihr Vollzug wurde jedoch zunächst ausgesetzt. Zudem wurde in Thüringen und dem Saarland der dortigen VVN-BdA verboten, Beiträge an die Bundesorganisation abzuführen; das ist zusätzlich existenzbedrohend.
Die Bedrohung bleibt, denn wenn die Bundesorganisation ihren Status verliert, dann können auch die Länder und Kreise auf Dauer gefährdet sein. Doch die Bedrohung gilt nicht nur für die VVN-BdA.
UZ: Aber die Lage der VVN-BdA ist dennoch speziell?
Ulrich Sander: Ja, sie ist die einzige Organisation, der die Gemeinnützigkeit entzogen wird, weil sie im bayerischen Verfassungsschutzbericht steht. Der VS Bayern spielt sich als Ordnungsmacht für ganz Deutschland auf – und der sogenannte „rot-rot-grüne“ Senat in Berlin schluckt es. Der Wirtschaftshistoriker Thomas Kuczynski meinte, dass die Linkspartei unmöglich in einer Landesregierung bleiben kann, in der so etwas möglich ist. Dem schließe ich mich an.
UZ: Im Verfassungsschutzbericht Bayern steht, die VVN-BdA verfolge einen „kommunistisch orientierten Antifaschismus“. Wie bewertest du diesen „Vorwurf“? Die Logik des Landesamts für Verfassungsschutz scheint ja zu sein, dass jeglicher Antifaschismus gegen die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ verstößt, weil er sich gegen den Kapitalismus richtet.
Ulrich Sander: In einer Antwort an die Linksfraktion im Bundestag hat die Bundesregierung erklärt, antifaschistische Kapitalismuskritik sei zulässig, nicht aber, wenn sie von Linksextremisten geübt wird. Der VVN-BdA wird unterstellt, sie bekämpfe die parlamentarische Demokratie, hielte den Faschismus für eine notwendige Folge aller nicht marxistischen Systeme; deshalb müssten alle nicht marxistischen Systeme gleichermaßen bekämpft werden.
Unsere Zeit: Das ist also die bayerische Linie, die ferner besagt, man verstoße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, wenn man als Antikapitalist gegen die Neonazis vorgehe.
Ulrich Sander: Es ist jedoch die Lehre der Geschichte, dass alle Antifaschisten gemeinsam handeln müssen, dass sie Grund- und Menschenrechte, auch die antifaschistischen Aussagen des Grundgesetzes – so Artikel 26 und 139 und andere – verteidigen. Sie dürfen keine Vorbedingungen stellen, was das Verhältnis zum Kapitalismus anbelangt. Entscheidend ist, den Faschismus zu verhindern.
UZ: Die VVN-BdA hat in den letzten Wochen und Monaten viel Solidarität erfahren und dadurch auch neue Mitglieder gewonnen. Ist damit die Bedrohung der Existenz der VVN-BdA durch den Entzug der Gemeinnützigkeit abgewendet?
Ulrich Sander: Die Mitgliederzahl stieg bis Ende 2019 um 1.500 – und die Solidaritätsbewegung hält an. Der SPD-Parteitag, der DKP-Parteivorstand und der Vorstand der Linkspartei haben sich an die Seite der VVN-BdA gestellt. Der Parteivorstand der Linkspartei rief alle Mitglieder auf, der VVN-BdA beizutreten. Es solidarisieren sich viele Gewerkschaftsgremien, die Friedensbewegung, große Bündnisse wie „Aufstehen gegen Rassismus“, das Internationale Auschwitzkomitee und viele weitere. Aber die Gefahr ist nicht gebannt. Und die rechten und konservativen Kräfte im parlamentarischen wie außerparlamentarischen Bereich geben nicht auf, auch unser Land dem Trend Ungarns, Polens, den Bewegungen à la Salvini und Trump anzupassen. Sie sehen nur so eine Möglichkeit, ihre militaristische und rassistische Politik fortzusetzen, die Flüchtlingsbewegung in Schach zu halten und die demokratischen und gewerkschaftlichen Bewegungen im Innern auszuschalten.
UZ: Wie kann man die VVN-BdA derzeit am besten unterstützen?
Ulrich Sander: Indem man in ihr mitwirkt, auch im Bündnisbereich, so in „Aufstehen gegen Rassismus“ sowie bei der antirassistischen Stammtischkämpferausbildung, die besonders auch von ver.di unterstützt wird. Diese generationsübergreifende und überparteiliche VVN-BdA, diese besonders auch die Nachfolge des Arbeiterwiderstandes verkörpernde Bewegung gilt es, mit Mitgliedschaft und Mitwirkung vor Ort zu unterstützen.
Unsere Zeit: Du bist noch bis zum Bundeskongress im Mai Bundessprecher der VVN-BdA. Was ist dir besonders wichtig?
Ulrich Sander: Sozialisten, Kommunisten und Sozialdemokraten fanden erst als Verfolgte nach 1933 zusammen. Ihr Vermächtnis war: Schafft die Einheit. Heute gilt: Schluss mit Sektierertum. Es ist ja schon beachtlich, dass die Führungen von SPD, DKP und Linkspartei gleichgerichtete Erklärungen für die VVN-BdA abgeben. Wann gab es das schon mal? Der konservative Bundespräsident von Weizsäcker sagte 1985 – und die heutige Union sollte das nicht vergessen –: „Wir ehren den Widerstand der Kommunisten!“ Erich Kästner mahnte: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten.“
Die Fragen stellte Lars Mörking
Aus dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2017
„Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus. Sie arbeitet mit offen linksextremistichen Kräften zusammen. In der VVN-BdA wird nach wie vor ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt. Diese Form des Antifaschismus dient nicht nur dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Vielmehr werden alle nicht-marxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt.“