Friedenskampf oder NATO-Lager? Opposition oder mit Merz verhandeln?

„Den Protest auf die Straße bekommen“

Nach einem überraschend starken Ergebnis bei der Bundestagswahl muss „Die Linke“ tun, was sie im Wahlkampf vermieden hat und sich zum Kriegs- und Hochrüstungskurs positionieren. Als Reaktion auf die Auseinandersetzungen zwischen US-Präsident Donald Trump und Wladimir Selenski hat der „Linke“-Parteivorstand den Beschluss „Ukraine unterstützen – China einbinden – Schuldenbremse abschaffen – UNO statt Trump“ gefasst. Darin wird nicht nur die sofortige Abschaffung der Schuldenbremse gefordert, sondern auch die Alleinschuld Russlands am Ukraine-Krieg beschworen. UZ sprach mit Naisan Raji, die im Parteivorstand gegen den Beschluss gestimmt hat.

UZ: Als kurz nach der Wahl deutlich wurde, dass die kommende Regierung zuerst die Frage der Kriegsfinanzierung lösen will, forderten einige prominente Mitglieder deiner Partei bereits, mit CDU und SPD über die Aufhebung der Schuldenbremse zu verhandeln. Hat sich „Die Linke“ innerhalb weniger Wochen vom parlamentarischen Wackelkandidaten zur gefühlten Regierungspartei gewandelt?

Naisan Raji: Im Wahlkampf hat die Frage der Aufrüstung kaum eine Rolle gespielt. Dadurch konnten die bürgerlichen Parteien ihre eigentlichen Vorhaben verschleiern. Schon die Ampel ist ja nicht an der Frage zerbrochen, ob weiter aufgerüstet werden soll, sondern daran, wie das passieren kann. Das stand auch in engem Zusammenhang mit der Wahl von Trump. Der hatte schon im Wahlkampf angekündigt, die militärische Unterstützung für die Ukraine zurückzufahren, und es war klar, dass die EU einspringen wollte.

„Die Linke“ hätte die Aufrüstung im Wahlkampf stärker thematisieren müssen. Die offizielle Plakatkampagne hatte ein Plakat zum Thema. Einige Landesverbände, Direktkandidaten und Leute an der Basis haben daraufhin eigene Materialien erstellt. Die bundesweiten Bemühungen waren aber nicht ausreichend. Direkt nach der Wahl wurde „Die Linke“ unter Druck gesetzt, sich zu positionieren und möglichen Grundgesetzänderungen zuzustimmen.

Ich glaube nicht, dass wir zur Regierungspartei geworden sind. Aber tatsächlich müssen wir aufpassen, dass wir dieses tolle Wahlergebnis von fast 9 Prozent nicht als Auftrag interpretieren, aus der Opposition heraus Regierungspolitik zu machen. Wir haben ja gerade unter den jungen Leuten sehr hohe Zustimmungswerte bekommen. Das sind Menschen, die wirklich gebeutelt sind von den vielen Krisen, die sie in ihren jungen Leben bereits erlebt haben. Jugendstudien zeigen, dass die Angst vor Krieg und Sozialabbau weit verbreitet ist. Ich interpretiere unser Wahlergebnis daher so, dass wir auch als Alternative zu dieser Kriegspolitik gewählt worden sind. Und ich denke, wir sollten auch eine entsprechende Politik machen.

UZ: Wie du schon sagtest, hat das Friedensthema in eurem Wahlkampf nur wenig Raum eingenommen. Der Schwerpunkt lag eher auf der Sozialpolitik. In der aktuellen Situation muss man sich aber schon anstrengen, um diese beiden Bereiche zu trennen, oder?

Naisan Raji: Ja, ich glaube auch, dass der Zusammenhang unmittelbar auf der Hand liegt. Im Wahlkampf hat Merz damit geworben, dass er eine Agenda 2030 einführen will. Wir hatten die ganze Debatte über die Erhöhung des Rentenalters oder auch den Wegfall der Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag. Es ist also ziemlich eindeutig, wohin die Reise geht. Nun soll es eine unbegrenzte Aufhebung der Schuldenbremse für Rüstungsausgaben über 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes geben. Gleichzeitig wird ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastrukturausgaben verhandelt. Da muss man genau hinschauen: Soll das Geld in zivile Investitionen fließen oder in die Kriegsertüchtigung der Infrastruktur? Für alles weitere bleibt die Schuldenbremse ohnehin bestehen. Das zeigt schon, dass es in der Hauptsache um Aufrüstung geht.

UZ: Die Abschaffung der Schuldenbremse war lange eine überzeugende linke Forderung. Die politische Wahrheit ist aber konkret. Die kommende Regierung will einen noch schärferen Kriegskurs fahren als die Ampel. Müsste eine linke Opposition es denen nicht so schwer wie möglich machen?

Naisan Raji: Seit der Einführung im Jahr 2009 haben wir gesagt, dass wir die Schuldenbremse abschaffen wollen, weil das eine Investitionsbremse gewesen ist und weil sie zur Ausweitung von Privatisierungen geführt hat. Jetzt wollen die bürgerlichen Parteien die Schuldenbremse reformieren, um die Aufrüstung und die umfassende Militarisierung der Gesellschaft zu ermöglichen. Das kann man nicht voneinander trennen. Der aktuelle Vorstoß von Union und SPD zeigt, dass sie diese Ziele mit allen Mitteln durchsetzen werden – im Zweifel eben auch mit der abgewählten Bundestagsmehrheit. Ich glaube, dass da keine parlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten bestehen. Deshalb streite ich dafür, dass wir den Protest gegen die Militarisierung auf die Straße bekommen.

UZ: Beim letzten Parteitag wurde viel Wert auf die Einigkeit nach außen gelegt, strittige Fragen eher abgetan. Fällt das der „Linken“ jetzt auf die Füße?

Naisan Raji: Ich finde, dass sich der Parteitag in Halle ziemlich klar antimilitaristisch positioniert hat. Viele Anträge, die dort beschlossen worden sind, hatten einen antimilitaristischen Schwerpunkt. Da ging es zum Beispiel um die Unterstützung des Berliner Appells gegen die Stationierung von neuen US-Mittelstreckenraketen. Es gab mehrere Anträge, die das Primat von Diplomatie und Verhandlungen in den Mittelpunkt gestellt haben. Und auch in der Frage des Ukraine-Krieges ist es uns immer wieder gelungen, Parteitagsmehrheiten zu finden, die sich nicht auf der Seite einer Kriegspartei positionieren, sondern auf der Seite der Menschen. Das ist natürlich auch immer noch Teil unserer Beschlusslage und das Primat der Diplomatie findet sich auch im neuen Parteivorstandsbeschluss wieder. Schade ist, dass wir mit dieser Haltung nicht offensiv umgegangen sind.

UZ: Der aktuelle Parteivorstandsbeschluss wirbt für Diplomatie. Aber er zeigt auch, dass eine außenpolitische Orientierung ebenso fehlt wie ein Verhältnis zum deutschen Imperialismus. Da heißt es: „Es ist seit drei Jahren ein großer Fehler der EU, die Unterstützung für die Ukraine ausschließlich an militärischer Hilfe festzumachen.“ Das klingt für mich so, als würde man sagen: Im Grunde ist die deutsche Außenpolitik und die der meisten EU-Staaten richtig, weil man sich gegen den „Aggressor Russland“ wehrt. Aber man tut es mit den falschen Mitteln …

Naisan Raji: Seitdem die Verhandlungen zwischen den USA und Russland laufen, von denen die Ukraine und die EU-Staaten ausgeschlossen sind, hören wir von den Medien und den bürgerlichen Parteien, dass wir jetzt die eigene Stellung stärken müssen. Da ist dann immer von Verteidigungsfähigkeit die Rede. Unsere zentrale Aufgabe wäre es, aufzuzeigen, dass es in Wahrheit um ökonomische Inte­ressen geht. Gerade jetzt wird doch wie unter einem Brennglas deutlich, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg handelt. Die EU versucht mit einer enormen Hochrüstung die eigene Position zu stärken – und zwar mit Ankündigung. Baer­bock hatte sich ja schon nach der Münchner Sicherheitskonferenz verplappert und von einem Paket in Höhe von 700 Milliarden Euro gesprochen. Jetzt sind es 800 Milliarden geworden. Bezeichnenderweise heißt das dann auch noch „ReArm Europe“.

Das alles passiert nicht, weil Trump sich tölpelhaft verhält oder weil er die Spielregeln des „demokratischen Westens“ gebrochen hat. Das ist einfach imperialistische Politik. Und auch die Bundesrepublik ist natürlich ebenso wie die USA und die EU ein Akteur in diesem Kampf um die globale Neuordnung. Und ich glaube, das muss man viel deutlicher sagen.

UZ: Aber kann „Die Linke“ das derzeit leisten? Im „Deutschlandfunk“ hat Jan van Aken gesagt: „Deutschland wird nicht am Hindukusch, Deutschland wird an der Grenze zu Russland verteidigt.“ Das klingt nicht nach Aufklärung über die Inte­ressenlagen, sondern mehr nach einer Übernahme der NATO-Narrative …

Naisan Raji: Ich glaube, so falsch wie die Aussage war, dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, genauso falsch ist auch die Aussage, dass Deutschlands Sicherheit in der Ukraine verteidigt wird. Die Ukraine wurde in einen Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland geworfen – auch von der EU und natürlich von den USA. Die Bundesrepublik hat ihren Teil dazu beigetragen. Sich nun auf die Seite einer Kriegspartei zu stellen, das widerspricht unseren Parteitagsbeschlüssen, die von einer breiten Mehrheit getragen werden.

UZ: Wie geht es jetzt weiter mit der „Linken“?

Naisan Raji: In der Partei gibt es eine große Verunsicherung. Wir waren immer gegen die Schuldenbremse und nun soll sie für eine grenzenlose Aufrüstung gelockert werden. Dazu kommen strukturelle Herausforderungen und andere Aufgaben. Innerhalb von wenigen Wochen und Monaten hat sich unsere Mitgliederzahl fast verdoppelt und wir haben gerade erst einen extrem kräftezehrenden Wahlkampf geführt. Gleichzeitig überschlagen sich die Nachrichten und die geopolitische Lage verändert sich täglich. Viele Genossinnen und Genossen sind sehr verunsichert und gleichzeitig merke ich, dass sich in der Partei total viel regt. Die Leute wollen sich beteiligen und sie wollen protestieren. Am 18. März soll der Bundestag über die Vorstöße von Union und SPD abstimmen. Es gibt ganz viele Überlegungen, wie man da mit Protesten eingreifen kann. Viele unterstützen auch die bundesweite Demonstration der Friedensbewegung am 29. März, bei der in Wiesbaden gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen protestiert werden soll.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"„Den Protest auf die Straße bekommen“", UZ vom 14. März 2025



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flugzeug.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit