Zum Parteitag der britischen Labour-Party

Den Kapitalismus retten

Am Mittwoch vergangener Woche endete im englischen Brighton der Parteitag der sozialdemokratischen Labour-Party. Es war ein Parteitag der Skandale und des weiteren „Aufräumens“ der rechten Führung. Ganz gelungen ist das nicht. Ein Antrag zu 15 Pfund Mindestlohn, den die Führung um den Labour-Vorsitzenden Keir Starmer verhindern wollte, wurde angenommen, aus Protest gegen die Haltung der Parteiführung in dieser Frage trat Andrew McDonald, im Schattenkabinett Starmers zuständig für Arbeitsrecht, zurück. Zuvor war eine Reihe von Delegierten, die zum linken Flügel gehören, zu Beginn des Parteitags vor Ort über ihren Ausschluss informiert worden.

Die Gewerkschaften, in Britannien traditionell Mitglieder der Labour-Party, zeigten der Parteiführung, was sie von ihrem Kurs halten. Das erste Mal nahm die Vorsitzende von Britanniens größter Gewerkschaft nicht am Parteitag teil. Sharon Graham, Generalsekretärin von „Unite“, besuchte stattdessen Streikposten. Die Nahrungsmittelgewerkschaft BFAWU trat kollektiv aus der Labour-Party aus.

Seine Abschlussrede musste Keir Starmer unter Polizeischutz halten.

Wir dokumentieren hier die Einschätzung des britischen „Morning Star“ zur Rede Starmers, übersetzt und redaktionell bearbeitet von Manfred Idler.

Keir Starmers Rede auf dem Labour-Jahrestreffen war ebenso unverschämt wie inhaltsleer: eine Aneinanderreihung von Plattitüden, gespickt mit Geringschätzung für die Mitglieder und Aktivisten, die die Arbeiterbewegung ausmachen.
Vor sechs Jahren, als Jeremy Corbyn die Führung der Labour-Partei übernahm – auch dank der großen Zahl von Sozialisten, die sich einer Partei anschlossen, die unwiderruflich an die neoliberale Rechte verloren schien –, sagte er diesen Sozialisten: „Willkommen zu Hause“.

Starmer richtete dieselben Worte an die Zerstörer, die die Labour-Chancen unter Corbyn sabotiert haben, als er in seiner Eröffnungsansprache die Blairistin Louise Ellman erwähnte. Es war eine Nebenbemerkung, umso beleidigender, als er sich nicht einmal die Mühe machte zu erwähnen, dass eine Mitgliedsgewerkschaft, die unterbezahlte Arbeiter der Lebensmittelindustrie vertritt, sich so unerwünscht fühlte, dass sie tags zuvor den Austritt beschloss.

Der Labour-Chef ist so unehrlich wie illoyal und seine kalkulierten Beleidigungen gegen Corbyn spiegeln diese Verlogenheit wider.

Wenn Angehörige der Arbeiterklasse sagen, dass ihre Großeltern sich eher im Grab umgedreht hätten statt 2019 Labour zu wählen, wie er behauptet: Wie viel hat das dann mit dem Verrat am Votum für den Austritt aus der Europäischen Union zu tun, hinter dem er in Corbyns Schattenkabinett steckte, und wie viel mit den fünf Jahren täglicher Medienattacken auf einen Labour-Führer, der für einen echten Wandel stand?

Starmer ist sich dessen klar. Er sprach von schändlicher Falschdarstellung Corbyns in den Medien, als er für dessen Nachfolge kandidierte und die Stimmen der Sozialisten brauchte. Das war ebenso substanzlos wie seine Haltung, als er 2019 mit einem Transparent der Bäckergewerkschaft posierte, auf dem er einen Stundenlohn von 15 Pfund für Fast-Food-Beschäftigte forderte – was er, wie wir diese Woche erfahren haben, bekämpft hat.

Die Linke und die Gewerkschaftsbewegung müssen den Fokus auf solche präzisen Forderungen beibehalten, denn dies ist ein Labour-Führer, der jede Lücke nutzen wird, um sich herauszuwinden – und seine „Politik“ hat viele Lücken.

Was nützt sein Aufruf an die Delegierten, „Zustimmung für die Beschäftigten des Gesundheitswesens zu signalisieren“, wenn er sich weigert, die Lohnforderungen der Gewerkschaften zu unterstützen, die diese Beschäftigten vertreten? Wenn die Labour-Party so jämmerlich gegen eine Lohnkürzung durch die Tories auftrat – sie schwafelte, dass Krankenschwestern mehr als eine einprozentige Erhöhung verdienten, weigerte sich aber zu sagen, wie hoch die Erhöhung sein sollte –, dass sie nur Wochen später von den Konservativen auf dem falschen Fuß erwischt wird, als diese beleidigende 3 Prozent anbieten, die immer noch besser sind als der Labour-Vorschlag?

Die Probleme in Starmers Rede sind bekannt. Labour fordert nicht mehr die Besitzverhältnisse und die Kontrolle über die britische Wirtschaft heraus. Die Partei ist „wieder im Geschäft“ – oder zurück in der Tasche des Großkapitals.
Man wolle in die Industrie und die Bekämpfung des Klimawandels investieren, beteuert Starmer – aber was ist daran Besonderes? Die Konservativen sind schon dazu übergegangen, staatliche Investitionen in die Industrie zu unterstützen, was zum Teil ein Ergebnis der Corbyn-Bewegung ist mit ihrer Feststellung, dass es eine Alternative zu Sparmaßnahmen und dem Fanatismus der „freien Marktwirtschaft“ gibt.

Wir wissen, dass die Tories Steuergeld in die Bereicherung privater Unternehmen auf Kosten aller „investieren“. Aber nichts anderes wird die Labour-Partei mit dieser Sichtweise auch tun.

Eine nationale Energiekrise, in der die Preise steigen und die Zapfsäulen leerlaufen, in Verbindung mit einem Beschluss, Verstaatlichungen zu unterstützen, und Umfragen, die zeigen, dass dies eine überwältigende öffentliche Unterstützung hat, veranlassen Starmer nicht dazu, öffentliches Eigentum in diesem oder einem anderen Sektor zu fordern. Nein, Labour ist „wieder im Geschäft“.

Dies ist ein Labour-Führer, der keine Antworten auf die Krisen hat, denen Britannien und die Welt gegenüberstehen. Sein stabiler Kapitalismus ist eine Sackgasse für Labour und die Arbeiterbewegung. Aber wir haben auf dem Jahrestreffen gesehen, dass in der Labour-Party immer noch eine große, kämpferische Linke existiert, die die Rechte schlagen kann.

Starmers langer Grabgesang mag die Stimmung drücken, aber unsere Aufgabe bleibt offensichtlich. Nicht jammern – organisieren.

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"Den Kapitalismus retten", UZ vom 8. Oktober 2021



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