Die Hölle im Namen Gottes – Das Chaos im Namen der Ordnung – Der Krieg im Namen des Friedens

Den Irrationalismus als Politik verkaufen

Der Entwurf des Wahlprogramms von Bündnis 90/Die Grünen ist im Verhältnis zu seiner Umsetzung so relevant, wie es eben Parteibeschlüsse für diejenigen Parteigranden sind, denen – aus gutem Grund – in aller Regel die Mikrofone vorgehalten werden. Wichtige Beschlüsse der Partei per „Tagesschau“ oder „Heute“ in Frage zu stellen, zu verdrehen oder gar völlig umzukehren – darin unterschieden sich die Medienlinken Schröder, Fischer oder Gysi nicht; auch nicht darin, mit Rücktritt oder Nichtwiederkandidatur zu drohen, falls „die Partei“ auf der Beschlusslage bestünde. Gysi und Fischer wussten, dass ein wichtiges Amt in der Parteistruktur nicht nötig ist, um den Kurs der Partei zu bestimmen, sondern Fraktionsvorsitz oder Ministeramt.

Wer Regierung in einem imperialistischen Hauptland sein will, muss ein paar Regeln beachten. Die wichtigste lautet: Es gibt Übergeordnetes. Weshalb, wenn du Radwegebau, Krötenunterführungen und Windräder durchsetzen willst, du auch Bomben auf Belgrad abwerfen musst.

Bei Fischer hörte sich das bei der Bielefelder außerordentlichen Delegiertenkonferenz 1999, als der Wiedereintritt Deutschlands in die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu begründen war, so an: „Wir haben uns nun einmal entschieden, in die Bundesregierung zu gehen.“ Es lohnt im Hinblick darauf, welche Partei im Herbst den Kanzler stellt, sich dieser Sentenz zu erinnern.

130802 Gruene - Den Irrationalismus als Politik verkaufen - §dpa, Bundestagswahl, Grüne - Hintergrund
1999 bekam Joseph Fischer für seinen Kriegskurs noch einen Farbbeutel an den Kopf und musste Auschwitz bemühen. (Foto: picture alliance / Gero Breloer)

Es geht hier nicht darum, der These das Wort zu reden, in die Regierung käme man nur bei erhobenem Daumen „des“ Kapitals (das nämlich Fraktionen hat). Nicht undenkbar ist ja, dass es im Herbst auch „Die Linke“ hinbekommt; und trotz aller Anstrengungen der Parteirechten wäre sie gewiss nicht die Wahl des Kapitals. Unabdingbar dafür, eine Zeit lang die Schalthebel bewegen zu dürfen, ist vielmehr, die Nichtsteuerbarkeit der Maschine auf ihrem Höllen-, Chaos- und Kriegskurs zu akzeptieren – besser noch, wenn man den vom Kapital programmierten Autopiloten gar nicht bemerkt und felsenfest davon überzeugt ist, selbst zu lenken. Je irrationaler die Parteimitglieder und -wählerschaft, desto ruhiger schlafen die Besitzenden. Kapitalismus braucht Glauben als Denkersatz, staatliche Struktur als Antidot zur anarchischen Wirtschaftsweise und immer irgendwo in der Welt Krieg, mit dem zu Hause Hölle und Chaos demonstriert wird.

In dem Sinne ist Bündnis 90/Die Grünen mit dem höchsten Anteil an Irrationalen in Partei und Bundestagsfraktion der beste Kandidat. Nirgends finden sich mehr Dalai-Lama-Anhänger, Heilpraktiker, Impfgegner, Waldörfler, Esoteriker und Freikirchler. Ein Wesenszug des Irrationalismus ist dabei die überpubertär-dauerhafte Abgrenzung von eigentlich Nahem: Als ehedem linksradikale K-Gruppen-Opportunisten von Sowjetunion und DDR, als Ex-Maoisten von China, als Jugoslawienkrieger von Auschwitz, als Neoliberale von der FDP, im Irrationalismus von der AfD.

Im Programmentwurf erhält deshalb die Russische Föderation, mit der man auch nach dem Ende der UdSSR die historischen Feindseligkeiten von Kaiser, Nazis und Adenauer fortsetzt, besonderes Gewicht. Genannt wird sie nur indirekt, wenn der Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag der „Stärkung der Sicherheit und Rückversicherung unserer polnischen und baltischen Bündnispartner“ unterliegt: Russische Atomwaffen bedrohen „unsere Bündnispartner“. Bündnispartner, deren Innenpolitik aus grüner Sicht eigentlich ein Einschreiten verlangt, denn, um die „Schutzverantwortung“ (die schon Hitler für das Sudetenland spürte) möglichst weit zu fassen, erfinden „Die Grünen“ nun den Begriff der „menschlichen Sicherheit“; Frauen und marginalisierte Gruppen müssen besonders geschützt werden. Die grüne Kanzlerschaft müsste demnach die russischen Minderheiten in den drei baltischen Staaten sowie Polens Frauen unterstützen – Baltikum und Polen aber zuerst gegen ein Russland verteidigen, das solche Rechte nicht verletzt und dessen Militärhaushalt kaum ein Sechstel desjenigen der NATO-Staaten beträgt. Es muss dieses mächtige Sechstel sein, das diesen Gruß an Russland nötig macht: „Wenn das Vetorecht im Sicherheitsrat missbraucht wird, um schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu decken, steht die Weltgemeinschaft vor einem Dilemma, weil Nichthandeln genauso Menschenrechte und Völkerrecht schädigt wie Handeln.“

Gemeint ist Syrien und übersetzt heißt das: Handeln (Krieg) ist nicht schlimmer als Nichthandeln (Nichtkrieg). Eine grün geführte Bundesregierung wird das Pendant der Biden-geführten US-Regierung sein. Und sie werden es schaffen, dass wir Merkel und Trump noch vermissen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Den Irrationalismus als Politik verkaufen", UZ vom 2. April 2021



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit