Der rechte Sumpf in Thüringen und anderswo

Den Einstellungen folgen die Taten

Von Birgit Gärtner

Der „Thüringen-Monitor“ ist eine seit 2000 jährlich stattfindende repräsentative Bevölkerungsbefragung im Auftrag der Landesregierung des Freistaats Thüringen mit Fokus auf rechtsextreme Einstellungen sowie Demokratie-Akzeptanz. Der aktuellen Umfrage zufolge ist in Thüringen, dem Mutterland des NSU, ein Viertel der Bevölkerung rechtsex­trem, und ein Fünftel hält eine Diktatur für die bessere Staatsform. 2013 wurden noch 17 Prozent der Bevölkerung als rechtsextrem eingestuft. Die Daten wurden im Juni 2015 gesammelt, also vor der so genannten Flüchtlings„krise“.

Eine knappe Mehrheit der 1 000 Befragten stimmte schon im Juni 2015 der Aussage zu, die Bundesrepublik sei in „gefährlichem Maß überfremdet“. 40 Prozent zeigten sich überzeugt, Flüchtlinge kämen nur nach Deutschland, um den Sozialstaat auszunutzen. Eine „großzügige Prüfung“ von Asylanträgen durch den Staat lehnten 70 Prozent der Befragten ab. 55 Prozent stimmten der Aussage zu, dass Asylsuchende „keine Verfolgung im Heimatland“ zu befürchten hätten. Und 42 Prozent wollen der Studie zufolge keine Flüchtlingsunterkunft in der Nachbarschaft haben. Je kleiner der Ort, desto größer die Ablehnung.

61 Prozent lehnen es ab, sich an einer Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit zu beteiligen. 23 Prozent hingegen schlossen nicht aus, an Protesten gegen Islamisierung teilzunehmen. 24 Prozent bejahten die Frage, ob der „Nationalsozialismus auch seine guten Seiten hatte“. Das sind 7 Prozent mehr als in den vergangenen Jahren. Jede/r fünfte Befragte bejahte, dass „im nationalen Interesse“ und „unter bestimmten Umständen“ eine Diktatur „die bessere Staatsform“ sei.

Das sind keine bloßen Zahlen auf dem Papier, sondern sie werden durch eine rasant ansteigende Zahl von Übergriffen auf Flüchtlings- und Asylunterkünfte und Büros demokratischer Parteien, insbesondere der Partei „Die Linke“, bestätigt. Nicht nur in Thüringen.

Die Zahl rechtsextremer Straftaten war nach einem Bericht des „Tagesspiegel“ im Oktober 2015 so hoch wie in bislang keinem anderen Monat des Jahres zuvor. Die Polizei zählte bundesweit 1 717 rechte Delikte, darunter 759 Gewalttaten mit 582 Verletzten. Das ergab sich aus Antworten der Bundesregierung auf monatliche Anfragen von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau („Die Linke“). Den veröffentlichten Zahlen bis Ende Oktober 2015 zufolge hatte die Polizei zu dem Zeitpunkt nach vorläufiger Zählung bereits 11 312 Delikte von Neonazis registriert, darunter 759 Gewalttaten. Bei den Angriffen wurden 582 Menschen verletzt. Von den ermittelten 5 970 Tatverdächtigen wurden 151 vorläufig festgenommen – neun Haftbefehle wurden ausgestellt.

Bis einschließlich November 2015 wurden 12 650 Delikte mit rechtsex­tremem Hintergrund registriert, darunter 846 Gewalttaten. 637 Menschen wurden dabei verletzt. Bundesweit ermittelte die Polizei 6 615 Tatverdächtige, vorläufig festgenommen wurden jedoch nur 183. In 17 Fällen wurden mutmaßliche Täter in Untersuchungshaft genommen.

Damit lagen die von der Regierung veröffentlichten Zahlen für das laufende Jahr 2015 deutlich über den Vergleichswerten für das gesamte Jahr 2014. Damals gab es laut vorläufigen Monatsmeldungen der Polizei am Ende 10 541 Delikte mit rechtsextremem Hintergrund, davon 496 Gewaltdelikte mit 431 Verletzten.

Dem Bericht zufolge sind die fremdenfeindlichen Taten, d. h. tätliche Angriffe, besonders stark angestiegen. Bis Oktober 2015 zählte die Polizei laut Bericht 3 155 Straftaten, die sich gegen Personen tatsächlicher oder vermeintlicher nicht-deutscher Herkunft richteten. Das bedeutet einen Anstieg um mehr als 40 Prozent gegenüber 2014.

Laut Süddeutsche Zeitung konnten im vergangenen Jahr 450 Haftbefehle gegen 372 Neonazis nicht vollstreckt werden. Das ergab eine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic an die Bundesregierung. Ihnen werden Delikte wie Raub, Beschaffungskriminalität, tätliche Angriffe, Diebstahl, Betrug, schwere Körperverletzung, Bankraub bis hin zu Totschlag zur Last gelegt.

2012 waren es laut Bundesregierung rund 110 Neonazis, gegen die ein Haftbefehl vorlag, der nicht vollstreckt werden konnte, ein Jahr später 266, 2014 dann 268. Demnach ist die Zahl 2015 um satte 30 Prozent gestiegen.

In Thüringen fand 2015 an jedem dritten Tag mindestens eine rechte Zusammenkunft mit mehr als 10 Personen statt. Laut dem Informationsdienst „Blick nach Rechts“ gab es 146 rechte Aufmärsche, knapp die Hälfte davon im letzten Quartal 2015. In dem Zeitraum wurden bis zu sechs Veranstaltungen pro Woche registriert – Infostände nicht mitgezählt. 37 Rechtsrock-Konzerte konnten 2015 durchgeführt werden, das sind im Schnitt zehn mehr als in den Jahren davor. So gilt das „Live H8 III/Rock für Meinungsfreiheit“ (H8 = HH = Heil Hitler) im Mai 2015 im südthüringischen Hildburghausen mit 1 500 Besucherinnen und Besuchern als das bestbesuchte Neonazi-Festival im Freistaat in den vergangenen sechs Jahren.

Die Zahl der Sachbeschädigungen ist so hoch wie seit 10 Jahren nicht mehr. Allein 57 Anschläge auf Abgeordneten-Büros wurden registriert. Im Jahr 2014 wurden 24 vergleichbare Übergriffe aufgenommen. Die meisten Angriffe gab es nach den Daten des Landeskriminalamts (LKA) Thüringen auf Abgeordnetenbüros der Partei „Die Linke“. Allerdings gab es auch sieben Angriffe auf CDU-, fünf auf SPD- und zwei auf Grünen-Büros. Auch 2014 waren vor allem in Wahlkreisbüros der Partei „Die Linke“ Türen beschmiert oder Scheiben zerstört worden. Damals galten nach Angaben des Landeskriminalamtes 19 der insgesamt 24 Übergriffe dieser Partei. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow („Die Linke“) ist 2015 mehrfach bedroht worden. Erst Anfang Dezember war laut dpa in der Staatskanzlei ein an ihn gerichteter Brief entdeckt worden, der weißes Pulver enthielt.

Attacken auf Büros von Politikerinnen und Politikern der Partei „Die Linke“ gab es auch in anderen Bundesländern. U. a. Ende Dezember 2015 auf das der Landtagsabgeordneten und Vorsitzenden der Stadtratsfraktion der „Linken“ Chemnitz, Susanne Schaper. Seit ihrem Einzug in die Räume am 5. Mai 2015 gab es laut Schaper bereits mehrere Anschläge: Einige Male seien die Scheiben mit Parolen wie „linke Sau“ und „intrigante Sau“ beschriftet worden, Plakate mit ihrem Konterfei mit „Hitler-Bärtchen“ versehen, etc. Die meisten Vorfälle habe sie nicht angezeigt, erläuterte Schaper lokalen Medien gegenüber. Bei einem Schriftzug wie „linke Sau“ greife sie eben selbst zum Lösungsmittel und entferne ihn. Allerdings habe sie bereits Ende Juni und im August 2015 Anzeige wegen Vandalismus erstattet.

Dieser massive Anstieg an rechtsextremen Aktivitäten überfordert die antifaschistische Szene Thüringens kolossal. Laut „Netz gegen Nazis“, einer Zusammenstellung der Wochenzeitung Die Zeit, ist zivilgesellschaftliche Gegenwehr bei dieser Intensität an rechten Aktivitäten ein einziger Kraftakt. Zudem seien viele Engagierte auch damit beschäftigt, den Geflüchteten die Unterstützung bei der Integration zukommen zu lassen, zu der staatliche Stellen derzeit offensichtlich nicht in der Lage seien.

Einziger Lichtblick bleibt also die Ernennung des ehemaligen Generalsekretärs des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, zum Chef des Thüringer Verfassungsschutzes. Dieser betonte bei seiner Amtseinführung, die Behörde werde „hart daran arbeiten, um das in den letzten Jahren auf schreckliche Weise verwirkte Vertrauen wiederzuerlangen.“

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"Den Einstellungen folgen die Taten", UZ vom 15. Januar 2016



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