Robert Griffiths ist Generalsekretär der KP Britanniens. Der Beitrag wurde von der Redaktion übersetzt.
Das Referendum vom 23. Juni kann zu einer Niederlage für die herrschende Klasse, die von ihr beauftragten Politiker und ihre imperialistischen Verbündeten in der EU, in den USA, dem IWF und der NATO gemacht werden. Dagegen versucht die Pro-EU-Rechte nun, unmittelbar nach der Abstimmung, einen zweifachen Anschlag auf die Demokratie. Der eine richtet sich gegen den erklärten Willen der Wähler, die EU zu verlassen, der zweite gegen die demokratische Wahl Jeremy Corbyns zum Parteiführer der Labour Party. In Reaktion darauf muss die Linke jetzt die demokratischen Prinzipien verteidigen und das Referendumsergebnis in eine möglichst umfassende Niederlage für die Achse, bestehend aus EU, IWF und NATO, verwandeln.
Die Abstimmung gegen die EU-Mitgliedschaft entsprang in erster Linie der Wut der arbeitenden Klasse und ihrer frustrierenden Erfahrung, dass die Regierung, die politischen Parteien und ihre Politiker sie in Sachen Arbeitsplätze, Bildung, Wohnraum, Öffentliche Dienstleistungen, Lebensstandard und allgemeine Lebensqualität nicht vertreten. Darüber hinaus machten sich die Menschen Sorgen um die Souveränität des Landes, um den Erhalt der Selbstbestimmung, sowie die realen oder auch die bloß befürchteten Folgen massenhafter Einwanderung.
Jedenfalls hat das Volk gesprochen, und der Volkssouverän verlangt nun, dass das Parlament in London diese Entscheidung akzeptiert und in die Realität umsetzt.
Die herrschende Klasse hat jedoch zur Verteidigung ihrer Interessen begonnen, die Entscheidung vom 23. Juni zu revidieren. So wird versucht, den Status quo bis zum Oktober beizubehalten, Austrittsverhandlungen zu verzögern, Gründe für ein neues Referendum zu finden und aufzubauen, und die Idee in die Welt zu setzen, dass die parlamentarische Pro-EU-Mehrheit die Volksabstimmung als nur beratend werten und sodann ignorieren soll.
Der Cameron-Osborne-Regierung können die Verhandlungen über das Ausscheiden Britanniens aus der EU keinesfalls überlassen werden. Diese Regierung sollte zusammen mit dem Premierminister zurücktreten. Auch keinem anderen konzernfreundlichen, imperialistisch und neoliberal gesonnenen Tory-Parlamentarier ist zuzutrauen, dass er dem politischen Druck aus dem Finanzplatz London und den Großunternehmen widersteht. Vielmehr würde das darauf hinauslaufen, dass der Austritt des Landes aus der EU vereitelt oder zu Bedingungen ausgehandelt wird, die die Marktfreiheiten des Monopolkapitals bestätigen, das Volk aber mit noch mehr Austeritätspolitik bestrafen. Gäbe es eine Beteiligung der Labour Party an einer so geführten Koalitionsregierung, wäre auch das nur eine Form der Kollaboration mit dem Monopolkapital und der herrschenden Klasse.
Die einzig stimmige demokratische Lösung sind jetzt Neuwahlen, damit die Wähler entscheiden können, wer sie bei den Austrittsverhandlungen vertreten soll.
Der Putschversuch gegen Jeremy Corbyn soll die Wahl einer Labour-Regierung verhindern, die von einem Sozialisten geführt wird, der bis heute jeden EU-Vertrag abgelehnt hat, der auf die Etablierung der antidemokratischen, imperialistischen und militaristischen „Vereinigten Staaten von Europa“ abzielt. Die jetzt in den Putsch gegen Corbyn verwickelten Labour-Abgeordneten haben für die Demokratie im Land und der Partei nichts übrig. Sie haben den Kontakt mit den arbeitenden Menschen verloren und lassen zu, dass die Wähler aus der Arbeiterklasse weiter in Richtung der UKIP abwandern. Ihr Versuch, die Verantwortung dafür auf Jeremy Corbyn abzuwälzen, sind im höchsten Grade scheinheilig. Alle Demokraten und Sozialisten in der Labour Party und der ihr angeschlossenen Gewerkschaften müssen sich dagegen zur Wehr setzen. Sie sollten sich geschlossen hinter Corbyns Forderung stellen, den Artikel 50 des EU-Vertrages sofort anzuwenden und den Zeitplan für den Austritt Britanniens aus der EU in Gang zu setzen. Corbyn ist der einzige Parteichef, dem die Aufgabe übertragen werden kann, diesen Austritt im Interesse der arbeitenden Menschen durchzuführen.
Sind wir erst einmal draußen, muss die Unterwerfung des Landes unter den freien Markt des Kapitals ein Ende haben. Bis zu den Wahlen würde ein Aufschwung der Arbeitskämpfe und der politischen Aktionen gegen die Politik der Tories, gegen ihre Sparpolitik, ihre Privatisierungen, die nukleare Aufrüstung und die imperialistischen Kriege den Sieg einer von Links geführten Labour-Party ermöglichen. Damit kann der „Brexit“ in einen „Lexit“ verwandelt werden, also einen Ausgang aus der EU nach links.
Damit würde auch eine linke Antwort möglich auf jene, die nun nach einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum in Schottland rufen. Unter der Annahme, dass Schottland damit in der EU verbleiben kann, wäre ein solches Referendum gleichbedeutend mit der Rückkehr zu neoliberaler Wirtschaftspolitik, zur Austeritäts- und Privatisierungspolitik.
In jedem Fall muss dem Fremdenhass und dem Rassismus, die von beiden Seiten der „Brexit“-Abstimmung geschürt worden sind, Einhalt geboten werden. Die Entscheidung für den Austritt darf nicht zum Vorwand für weitere Einschränkungen gegen Immigranten von außerhalb Europas genommen werden. Der Plan, Steuererleichterungen und Sozialleistungen den Immigranten vorzuenthalten, muss fallengelassen werden. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, die Gewerkschaften und Regierung untersagt, gleiche Arbeitsbedingungen durchzusetzen, muss ersetzt werden durch Gesetze, die allen Arbeitern die gleiche Behandlung garantieren, egal woher sie kommen. Es muss eine antirassistische Einwanderungspolitik propagiert und gefördert werden, anstatt die Menschen abzuschrecken mit abstrakten, anarchistisch geprägten, und in Wirklichkeit liberalistischen Forderungen nach Aufhebung der Grenzen.
Kommunistische und Arbeiterparteien aus Portugal, Tschechien, Irland, Dänemark, Deutschland, Belgien und dem früheren Jugoslawien, sowie kämpfende Gewerkschafter in Frankreich haben unsere Austrittsentscheidung begrüßt. Diese Entscheidung wird linke, fortschrittliche Kräfte überall in Europa dazu ermuntern, über Wege nachzudenken, wie die Kooperation und Solidarität zwischen den Völkern und Nationen Europas auf anderer Grundlage herzustellen ist als über die antidemokratische, imperialistische EU der großen Konzerne.