Die Bundeskanzlerin ist mit ihrer Haltung zu den Flüchtlingen auf ein unterschiedliches Echo gestoßen. Sie heißt diese Willkommen und einen Aufnahmestopp soll es nicht geben. Deutschland sei ein „tolles Land, ich mag mein Land, Millionen mögen Deutschland“, sagte sie bei Anne Will im Ersten Fernsehprogramm. Sie wolle ein „Europa der offenen Grenzen, der Wertegemeinschaft, die die Menschenwürde achtet“, nicht preisgeben. Das ist das Credo der Kanzlerin, die in diesen Tagen viel Zustimmung erhält, aber auch auf wachsenden Widerspruch stößt.
Besonders scharfer Widerspruch kommt aus Bayern, wo sich nach längerer Zeit der CSU-Vorsitzende mit seinen Äußerungen mal wieder in die öffentliche Diskussion brachte. „Der jetzige Zuzug überfordert uns, es sind zu viele, es fehlen Maß und Ziel“, sagte Seehofer in einem Interview, während zur gleichen Zeit rührende Szenen des Willkommens und der Hilfe auf dem Münchener Hauptbahnhof im Fernsehen gezeigt wurden. Gegenüber der „Welt am Sonntag“ forderte er „eine geordnete Entwicklung“. Dies habe nichts mit Rassismus zu tun. Nur über eine gesteuerte und begrenzte Zuwanderung könne Integration gelingen. Zugleich warnte er vor „Sicherheitsproblemen“ und stellte das Recht auf „Familiennachzug“ in Frage. Mit diesen und anderen Äußerungen und sogar Drohungen ging Bayerns Ministerpräsident auf Konfrontationskurs zur Bundeskanzlerin. Seehofer soll schon angedroht haben, in Bayern eingetroffene Flüchtlinge mit Bussen nach Berlin vor den Reichstag zu karren, um denen dort oben ein realistisches Bild über die Lage zu vermitteln. Inzwischen schrieb die FAZ über einen „schwarzen Schwesternkrieg“.
Doch es gibt nicht nur Streit zwischen den Schwesterparteien CSU und CDU. Auch wenn derzeit eine Mehrheit den Merkel-Kurs zu billigen scheint – oder zumindest schweigend zur Kenntnis nimmt –, nehmen die Wortmeldungen von Kritikern rasch zu. Da distanzierten sich kürzlich 34 CDU-Funktionäre aus acht Bundesländern in einem Schreiben an ihre Parteivorsitzende von deren Flüchtlingspolitik. „Die gegenwärtig praktizierte ‚Politik der offenen Grenzen’ entspricht weder dem europäischen oder deutschen Recht, noch steht sie im Einklang mit dem Programm der CDU“, heißt es in dem Schreiben. Ein großer Teil der CDU-Mitglieder und CDU-Wähler fühle sich von der gegenwärtigen Linie der CDU-geführten Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik nicht mehr vertreten. Hilfe für Flüchtlinge entspreche zwar der Programmatik der CDU und dem Gebot der christlichen Nächstenliebe, aber: „Die Aufnahmekapazitäten Deutschlands sind allerdings bis an die Grenzen angespannt und an manchen Orten bereits erschöpft“, wissen die Briefschreiber.
Ähnliche Ansichten werden in den meisten CDU-Landesverbänden geäußert. Auf einer CDU-Konferenz in Wuppertal äußerten Diskussionsredner ihre Sorgen über die hohen Flüchtlingszahlen, über den wegen offen geduldeter Grenzverletzungen gefährdeten „Rechtsstaat“. Wie könne man „unsere Kultur erhalten bei diesem Islam, der immer stärker wird?“, fragte eine Rednerin. Selbst von Ängsten vor „jungen männlichen Flüchtlingen“ wurde berichtet. Die Schließung der Grenzen fordert auch der langjährige ehemalige Bundestagsabgeordnete Uhl – „unverzüglich“ zu Österreich – und die Asylbewerber nach Österreich zurückzuschicken. Er empfiehlt weiter: Dann solle Österreich seinerseits die Flüchtlinge zurückweisen und so eine Kettenreaktion auslösen, bis die Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen stranden. Wahrscheinlich werden er und all die anderen zufrieden sein, dass nunmehr so genannte „Transitzonen“ eingerichtet werden sollen, mit denen die Zuströme reguliert werden sollen. Es ist bisher in den Unionsparteien keinerlei Kritik an den Stacheldrahtzäunen oder anderen Absperrungen, mit denen sich verschiedene Länder schützen, zu hören.
Kein Wunder, dass in der gegenwärtigen Situation auch die Pegida-Demonstrationen wieder aufflammen sowie reaktionäre, ausländerfeindliche und rassistische Stimmungen unübersehbar werden. 5 000 Pegida-Demonstranten waren es kürzlich in Erfurt, 8 000 in Dresden. Lutz Bachmann, einer ihrer Anführer, beschuldigte in Dresden ungestraft pauschal Asylbewerber, sich in Deutschland „respektlos und fordernd“ zu benehmen, indem sie „raubend, teilweise vergewaltigend, stehlend und prügelnd unsere Städte bereichern“.
Auch die AfD profitiert von der Flüchtlingsdebatte. Erstmals liegt sie in diesem Jahr, einer aktuellen Umfrage vom „stern“ und von RTL bei Forsa in Auftrag gegebenen Umfrage zu Folge, bei sieben Prozent. In Ostdeutschland käme sie gar auf zwölf Prozent, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. In der Kanzlerpräferenz verliert Angela Merkel im Vergleich zur Vorwoche zwei Prozentpunkte und liegt nun bei 47 Prozent. Dieser schwächste Wert für sie in diesem Jahr sei auch darauf zurückzuführen, dass sich nur noch 63 Prozent der CSU-Anhänger für sie aussprechen.
Angela Merkel will in den nächsten Wochen klarmachen: Mehr Abschiebungen, minimalste Leistungen für Ausreisepflichtige, klare Regeln für Flüchtlinge. So will sie die derzeitige Kritik aus den eigenen Reihen beschwichtigen. Am letzten Sonntagabend kam bei Günter Jauch der Journalist Hajo Schumacher zu Wort, der seine Doktorarbeit über Merkels Führungsstil geschrieben hat. Der meinte: Merkel habe ihre Kanzlerschaft jetzt mit der Flüchtlingsfrage verknüpft. „Sie kann gestärkt daraus hervor gehen, sie kann aber auch abgewählt werden“, glaubt er.