Demokratisierung der Demokratie

Markus Bernhardt im Gespräch mit Kerstin Köditz

UZ: Sachsen kommt seit Monaten nicht aus den Negativschlagzeilen und hat den Bayern den „Spitzenplatz“ als reaktionärstes Bundesland faktisch abgelaufen. Sind die Sachsen tatsächlich rassistischer und gewalttätiger als der Rest der Bevölkerung?

Kerstin Köditz ist Sprecherin für antifaschistische Politik der sächsischen Linksfraktion und Mitglied des Parteivorstandes der Linken

Kerstin Köditz ist Sprecherin für antifaschistische Politik der sächsischen Linksfraktion und Mitglied des Parteivorstandes der Linken

Kerstin Köditz: Ich darf Sie korrigieren: Es ist keineswegs so, dass Sachsen seit Monaten negative Schlagzeilen abliefert. Das geht bereits seit vielen, vielen Jahren so. Die Geschichte Sachsens seit der „Wende“ ist geprägt durch Ereignisse, die man nur als skandalös bezeichnen kann. Ostern 1991 wurde der schwarze Vertragsarbeiter Jorge Gomondai in Dresden von Neonazis ermordet. Der Trauerzug für ihn wurde von bewaffneten Neonazis bedroht und angegriffen. Für einige Täter gab es milde Haftstrafen. Im September 1991 begann die inzwischen endlose Geschichte rassistischer Pogrome mit den Ausschreitungen in Hoyerswerda. Die NPD hatte seit den neunziger Jahren in Sachsen ihren stärksten Landesverband, 2004 zog sie nach 32 Jahren erstmals wieder in einen Landtag ein, 2009 gelang ihr mit dem Wiedereinzug ein Novum in ihrer Geschichte. Eine solche starke Präsenz faschistischer Kräfte und Ideologie in einem Bundesland verändert natürlich das politische Klima entsprechend.

Hinzu kommt eine CDU, deren „Lichtgestalt“ Kurt Biedenkopf noch 2000 erklärte, die Sachsen seien „immun“ gegen Rechtsextremismus. Die in ihren Reihen Landtagsabgeordnete wie Alexander Krauß hat, der mehrfach durch rassistische Äußerungen auffiel und zur Belohnung nun zum Bundestag antreten darf. Die sich inhaltlich so entwickelt hat, dass die CSU inzwischen fast wie ihre liberale Schwesterpartei erscheint. Die den Staat wie ihren Besitz behandelt.

All das hat über die Jahre dazu geführt, dass sich ein Meinungsklima gebildet hat, das der zivilisiertere Teil des Landes die sächsischen Zustände nur mit Grausen betrachtet. Und doch: nein, Sachsen ist nicht rassistischer und gewalttätiger als die Menschen im Rest der Republik. Das zeigen die diversen Einstellungserhebungen, das zeigen die jüngsten Wahlergebnisse.

UZ: Wie erklären Sie sich dann, dass rassistische Netzwerke wie etwa Pegida auf derart hohe Zustimmung stoßen?

Kerstin Köditz: Einerseits damit, dass in Sachsen die Hemmschwelle für rassistische Äußerungen und Verhaltensweisen durch diese Entwicklung geringer ist als anderswo. Andererseits dadurch, dass hier der zivilgesellschaftliche Widerstand deutlich geringer ist. Und nicht zuletzt dadurch, dass die CDU in Sachsen gegenüber dieser rassistischen Bewegung eine Umarmungsstrategie für angemessen gehalten hat. Man begegnete Pegida und Co. nach dem Motto: Ihr habt ja recht, aber…

UZ: Fernab von Pegida treiben auch die „Identitäre Bewegung“ und sogenannte „Reichsbürger“ in Sachsen ihr Unwesen. Wofür stehen diese Zusammenschlüsse? Wie groß ist ihr politischer Einfluss in Sachsen?

Kerstin Köditz: Bei den Identitären ist er herzlich gering. Noch. Es handelt sich um nicht mehr als einige Dutzend Aktivisten. Die Zahl ist allerdings nicht entscheidend. Sie verfügen über eine ausgearbeitete Ideologie, über eine durchdachte Strategie. Das hält sie im Gespräch und das macht sie bei ihrer Zielgruppe attraktiv. Ihre Verbindungen zur AfD sind bereits jetzt vielfältig. Wir haben als Linke seit Jahren auf diese gefährliche Tendenz hingewiesen und gewarnt, erst jetzt hat die Staatsregierung erste Schritte unternommen.

Auf die warten wir bei den Reichsbürgern noch immer vergeblich. Auch hier warnen wir seit Jahren. Auch hier wird seit Jahren immer wieder abgewiegelt, es handele sich nur zum kleinsten Teil um Organisierte, zu einem kleinen Teil um Rechtsextremisten. Dabei hat es allein in dem Verfahren gegen das so genannte „Deutsche Polizeihilfswerk“ über 200 Beschuldigte gegeben. Die Folgen eines solchen sträflichen Ignorierens haben wir jetzt bei den Todesschüssen in Bayern gesehen.

UZ: Betrachten Sie die neofaschistische NPD noch als Gefahr, oder ist deren Zustand – unter anderem aufgrund des Erstarkens der AfD – zunehmend desolat?

Kerstin Köditz: Die Beschreibung, diese Partei befinde sich in einem Lähmungszustand, wäre schmeichelhaft für die NPD. Es handelt sich um eine galoppierende Schwindsucht. Einzelne lokale Erfolge, wie die 25 Prozent für den ehemaligen Landesvorsitzenden bei der Bürgermeisterwahl in Jahnsdorf, können an diesem Urteil nichts ändern. Der Vorstand betätigt sich lediglich noch als Konkursverwalter in eigener Sache. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Akteure verschwunden sind. Sie orientieren sich lediglich zu anderen Gruppen um. Die Lage wird unübersichtlicher dadurch und somit brisanter.

UZ: Die AfD-Parteichefin Frauke Petry ist genauso wie Sie Mitglied des sächsischen Landtages. Wie nehmen Sie die Arbeit von Frau Petry im Parlament wahr?

Kerstin Köditz: Sie ist selten da, kümmert sich eher um die Bundespartei als um die Fraktion. Die eigentliche Arbeit machen der Parlamentarische Geschäftsführer Uwe Wurlitzer und Mitarbeiter im Hintergrund. Entsprechend gering und häufig zudem dilettantisch sieht die Arbeit der AfD aus. Also: Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.

UZ: Vielfach werden in Ihrer Partei Stimmen laut, ein soziales Offensivprogramm für Geflüchtete und Altbürgerinnen und -bürger an den Start zu bringen, um soziale Probleme zu beheben. Damit soll den Rechten die Basis entzogen werden. Ist das ein wirksames Mittel? Schließlich dürften sich überzeugte Rassisten davon doch trotzdem nicht beirren lassen?

Kerstin Köditz: Sozialpolitische Programme einzufordern, ist immer richtig und sollte für jede Partei eine Selbstverständlichkeit sein. Soziale Missstände gibt es in diesem unserem Land nun wahrlich mehr als genug. Und die absehbaren Entwicklungen, so zu einer zunehmenden Altersarmut, lassen ein Gegensteuern natürlich immer dringlicher werden. Das ist mit oder ohne rassistische Welle das erste Gebot.

Man sollte sich jedoch nicht einbilden, damit auch den Rassismus wirksam bekämpfen zu können. Wenn ich glaube, dass andere angeblich bevorzugt behandelt werden und ich ihnen die Schuld an meinem Elend zuweise, dann könnte ein so begründetes Programm auch zu dem Denken führen, dass erst der rassistische Protest dazu geführt hat, dass nunmehr auch an die Eingeborenen gedacht wird. Rassismus ist ein komplexes Phänomen mit einem Bündel von Ursachen. Richtige sozialpolitische Maßnahmen allein werden nicht zu einer Zurückdrängung führen. Ich warne da vor Illusionen.

UZ: Welche Strategien empfehlen Sie?

Kerstin Köditz: Insgesamt brauchen wir eine neue politische Kultur in Sachsen. Eine, die den Namen demokratisch auch endlich verdient. Politisches Handeln muss transparenter und nachvollziehbarer werden. Das fängt auf der kommunalen Ebene an. Wenn ein großer Teil der wichtigen Entscheidungen des Stadtrates in geschlossenen Sitzungen hinter geschlossenen Türen stattfindet, kann ich nicht ernsthaft annehmen, dass Bürgerinnen und Bürger an den Sinn ihres Engagements glauben. Wir brauchen mehr Mitwirkungsmöglichkeiten bereits im Vorfeld von Entscheidungen. Gerade bei uns in Sachsen müsste die Demokratisierung der Demokratie höchste Priorität haben. Das muss auf allen Ebenen geschehen. Wenn es gelingt, eine solche Bewegung zu schaffen, dann sind wir einen entscheidenden Schritt vorangekommen.

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"Demokratisierung der Demokratie", UZ vom 28. Oktober 2016



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