Frankreich: Durchmarsch des „Front National“ verhindert, bürgerliche Rechte profitiert

Demokratischer Reflex

Von Georg Polikeit

Die zweite Runde der französischen Regionalwahlen am vergangenen Sonntag (13.12.) ist nicht ganz so schlimm ausgegangen, wie nach der ersten Runde befürchtet werden konnte. Der rechtsradikale „Front National“ (FN) kam in keiner der 13 Regionen an die Regierung. Aber ein Grund zur Beruhigung ist das nicht.

Es gab erfreulicherweise eine Art demokratischer Abwehrreflex, der die Erwartungen der Rechtsextremisten im letzten Augenblick durchkreuzte. Am deutlichsten wurde dies in dem außergewöhnlichen Anwachsen der Wahlbeteiligung, die im zweiten Wahlgang um rund 9 Prozent höher lag (58,5 Prozent gegenüber 39,9 Prozent im ersten Wahlgang einer Woche zuvor).

Zur besseren Mobilisierung beigetragen haben viele Aufrufe von Gewerkschaften, Schüler- und Studentenverbänden, von der Vereinigung der Elternvertretungen (FCPE) und vieler Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur. Die fünf größten Gewerkschaftsbünde (CGT, CFDT, CFTC, UNSA und FSU) hatten den FN öffentlich als „Gefahr für die Demokratie“ gekennzeichnet. Die CGT betonte, er spalte mit seinen rassistischen Parolen die arbeitende Bevölkerung in „Einheimische“ und „Eingewanderte“ und diene damit den Interessen des Kapitals. Er sei keineswegs eine Alternative zum herrschenden System, wie er glauben machen will, sondern nur die rechtsextreme Variante der neoliberalen Politik der bürgerlichen Rechtsparteien.

Dennoch bleibt, dass die Rechtsextremisten eine enorme Zunahme an Wählerstimmen aufzuweisen haben. Sie konnten gegenüber der ersten Runde noch einmal um 1,3 Prozent zunehmen und ihre Abgeordnetenzahl in den Regionalparlamenten verdreifachen. Mit 6,8 Millionen Stimmen erreichten sie den höchsten Stand in ihrer Geschichte.

Nutznießer der entstandenen Situation waren vor allem die bürgerlichen Rechtsparteien unter Führung der neuformierten Partei „Die Republikaner“. Sie konnten in 7 der 13 Regionen, also mehr als der Hälfte, die Mehrheit erobern. In zwei Regionen, in Nordostfrankreich (Nord-Pas-de-Calais-Picardie) und in Südostfrankreich (Provence-Alpes-Côte d’Azur) sind nur noch Rechtsextremisten und Rechte im Regionalparlament vertreten. Es gibt dort keine linke Opposition mehr im Parlament. Die Sozialisten hatten in beiden Regionen ihre Listen zugunsten der Rechtskandidaten zurückgezogen, um den drohenden Sieg des FN zu verhindern. In der Region Île-de-France errang die rechtskonservative Ex-Ministerin Pécresse die Mehrheit gegen den „sozialistischen“ Parlamentspräsidenten Bartolone offensichtlich nur mit Hilfe eines Teils der FN-Wähler, die keine Hemmungen hatte, eine „nützliche Stimmabgabe“ für die Rechtskonservative zu praktizieren, um damit den sich abzeichnenden Erfolg des Sozialisten Bartolone zu verhindern, der für den zweiten Wahlgang mit den Grünen und den Kommunisten (PCF) und anderen Teilen der Linksfront eine gemeinsame Liste gebildet hatte. Diese Region war die einzige, in der der FN im zweiten Wahlgang Stimmen verlor (etwa 4 Prozent).

Die Sozialisten verloren 6 Regionen und konnten nur noch in 5 ihre Mehrheit bewahren. Nur in der Bretagne schaffte es Verteidigungsminister Le Drian mit 51,4 Prozent aus eigener Kraft. In den übrigen vier Regionen konnten die Sozialisten die Spitzenposition nur dank gemeinsamer Listen mit Grünen und Linksfront verteidigen. Auch Grüne und Linksfront/PCF verfügen deshalb künftig nur noch in fünf Regionen über Abgeordnete – ein empfindlicher Verlust gegenüber bisher.

PCF-Nationalsekretär Pierre Laurent betonte in einer Erklärung zum Wahlausgang, dass mit diesen Regionalwahlen „eine neue politische Periode“ in Frankreich eröffnet worden sei. Die ungenügenden Wahlergebnisse von PCF und Linksfront müssten einer genauen Analyse und Diskussion unterzogen werden. Die Kommunisten seien aber entschlossen, den Kampf gegen Rechte und Rechtsextremisten und für die Entwicklung eines neuen fortschrittlichen Projekts der Linken in Frankreich fortzusetzen. Die Politik von Staatspräsident Hollande und Ministerpräsident Valls sei in hohem Maß für die entstandene Situation verantwortlich. Es müsse unverzüglich die Begegnung mit den Bürgerinnen und Bürgern gesucht werden, um mit ihnen in die Debatte und in die Aktion zu kommen, um „die Linke neu zu erfinden und einen neuen Pakt der Hoffnung für das Land zu entwickeln“.

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"Demokratischer Reflex", UZ vom 18. Dezember 2015



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