Räumung des Hambacher Forstes: Kommune muss klagen

„Demokratische Selbstverwaltung“

Kommunalpolitische Kolumne

400 Polizisten begleiteten die NRW-Polizeichefin Daniela Lesmeister (CDU), als sie am 27. August 2018 den Hambacher Forst betrat. Ihre „Ortsbegehung“ war Teil eines generalstabsmäßig vorbereiteten Manövers. Am Ende des Plans stand die gewaltsame Räumung des Waldes von Aktivistinnen und Aktivisten, die dort in Baumhäusern und Protestcamps lebten und das Waldstück vor der Rodung durch den Energiekonzern RWE schützten. Spätestens im Oktober sollten die Bäume fallen und so den Weg für die Kohlebagger des Tagebaus Hambach frei machen.

Allerdings durfte dieses Vorhaben nicht offen kommuniziert werden. Die Aktivistenszene im Hambacher Forst erfreute sich allen Diskreditierungsversuchen zum Trotz wachsender Sympathien. Zugleich mangelte es an einer Rechtsgrundlage für die schnelle Räumung. Die Verantwortlichen waren sich der damit verbundenen Probleme durchaus bewusst. Lesmeister unterzeichnete nach „WDR“-Recherchen ein Besprechungsprotokoll, das vor der „Gefahr, als Handlanger von RWE – auch in den Medien – dargestellt zu werden“, warnte. Also mühte sich die schwarz-gelbe Landesregierung um die Verdunkelung ihrer Absichten. Zu diesem Zweck wurde bereits im Juli 2018 ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um – wie es in der Auftragsbeschreibung hieß – „einen Weg aufzuzeichnen, wie mit Unterstützung der Polizei rechtzeitig vor Rodungsbeginn die Räumung durchgesetzt werden kann“.

090502 vincent - „Demokratische Selbstverwaltung“ - Hambacher Forst - Politik
Vincent Cziesla

Die beauftragte Anwaltskanzlei lieferte den gewünschten Vorwand: Brandschutzmängel beim Baumhausbau. Die seit dem Jahr 2013 vorhandenen Baumhäuser waren zuvor nie als bauliche Anlagen eingestuft worden. Folglich hatte es auch keine Verfahren wegen angeblicher Baumängel gegeben. Dennoch hielt die Landesregierung an der Begründung fest und provozierte damit den Widerstand der zuständigen Kommunen. Das geht aus zwei Schreiben hervor, die der SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Kämmerling in der letzten Woche öffentlich bekannt machte. Wie der „Kölner Stadtanzeiger“ berichtete, wehrte sich der Kerpener Bürgermeister Dieter Spürck (CDU) damals gegen das Vorhaben und schrieb: Das Ziel „des städtischen bauordnungsrechtlichen Einschreitens“, dürfe nicht sein, „Rodungsarbeiten für ein bergbautreibendes Unternehmen vorzubereiten“. Stattdessen schlug Spürck vor, ein Betretungsverbot durch den Landesbetrieb „Wald und Forst“ auszusprechen. Auch der Landkreis Düren äußerte in einer Mail an das NRW-Kommunalministerium seine „Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit eines bauaufsichtsbehördlichen Einschreitens“.

Die Landesregierung schlug diese Einwände in den Wind und wies die Kommunen an, entgegen ihrer Rechtsauffassung zu handeln. Nach Lesmeisters „Besichtigung“ wurden die Baumhäuser zu baulichen Anlagen erklärt und gravierende „Mängel“ festgestellt. Dazu gehörten fehlende Fensterbrüstungen und Rettungstreppen. Es folgte der teuerste Polizeieinsatz der Landesgeschichte. Die Räumung dauerte vom 13. September bis zum 8. Oktober und wurde von großen Protesten begleitet. Der Dokumentarfilmer und Journalist Steffen Meyn stürzte während der polizeilichen Maßnahmen von einer Hängebrücke und starb.

Im Jahr 2021 urteilte das Verwaltungsgericht Köln, dass die Räumung rechtswidrig war. Der angebliche Verstoß gegen die Brandschutzbestimmungen wurde vom Gericht als Vorwand erkannt. Nach dem Gerichtsurteil wies die Landesregierung die Kommunalaufsicht an, die Stadt Kerpen zu einem Berufungsverfahren zu zwingen. Zuvor hatte der Stadtrat beschlossen, das Urteil zu akzeptieren. Der demokratische Beschluss wurde ignoriert und Berufung eingelegt. Der Verwaltungsskandal um die Räumung des Forstes setzt sich damit weiter fort und zeigt, wie viel Wert die Regierenden auf die hochgelobte „demokratische Selbstverwaltung“ und die unbedingte „Rechtsstaatlichkeit“ legen, wenn es darum geht, Konzerninteressen durchzusetzen.

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"„Demokratische Selbstverwaltung“", UZ vom 4. März 2022



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