Kommunalpolitische Kolumne

Demokratiegetue

In manchem seien „ja die Beamten wie Kinder“, schrieb Franz Kafka in „Der Prozess“. „Oft können sie durch Harmlosigkeiten (…) derartig verletzt werden, dass sie selbst mit guten Freunden zu reden aufhören (…) und ihnen in allem möglichen entgegenarbeiten.“ Als politische Analyse taugt das Verdammnisurteil nicht. Ein paar Exemplare der „immer rachsüchtigen Beamtenschaft“ dürften sich jedoch in so mancher Behörde finden lassen. Dass Kommunalverwaltungen da keine Ausnahme machen, ahnte der baden-württembergische Städtetag anscheinend, als er vor einigen Jahren das Heft „Hinweise und Empfehlungen zur Bürgermitwirkung in der Kommunalpolitik“ herausgab. Darin werden nicht nur Rechtsfragen beantwortet und Medientipps gegeben. Es wird auch Erziehungsarbeit für empfindliche Entscheider geleistet. Bürgerbegehren, so heißt es dort, stoßen in den Rathäusern „bisweilen auf Vorbehalte“, weil sie als „Indikator für Unzufriedenheit“ oder als „kommunalpolitischer Unfall“ gelten. Das wiederum führe zu verhärteten Fronten. Stattdessen wird empfohlen, das Engagement der Menschen wertzuschätzen und Souveränität auszustrahlen.

140503 vincent - Demokratiegetue - Bürgerbegehren, bürgerliche Demokratie, Gesundheitspolitik, Krankenhausentscheid Essen - Politik
Vincent Cziesla

Das klingt so lange gut, bis für alle Formen von Bürgerbeteiligung klargestellt wird: „Die Behandlung von Beiträgen als wertvoll muss und kann nicht immer darin bestehen, sie bei einer Entscheidung zu berücksichtigen.“ Damit ist das Vorgehen beschrieben, das auch im Rest der Republik geübte Praxis ist. Ein Hauptzweck von Bürgerbeteiligung ist die Integration der Bevölkerung in längst ausdiskutierte Vorhaben. In Bürgerversammlungen und ähnlichen Formaten werden häufig nur noch Details besprochen. Kritik der Bürgerschaft wird von „souveränen“ Verwaltungsleuten „respektvoll“ aufgenommen, während die Ratsmitglieder Beifall klatschen. Bürgerbegehren und -entscheide, die grundsätzliche Veränderungen bewirken könnten, sind weniger gern gesehen. Das mussten auch die Menschen in Essen kürzlich erfahren. Dort wurde das Bürgerbegehren zur Gründung einer kommunalen Krankenhausgesellschaft kurzerhand für „unzulässig“ erklärt, nachdem sich über 18.000 Menschen mit ihrer Unterschrift dafür ausgesprochen hatten. Ähnlich erging es dem „Radentscheid“ in Bochum (knapp 17.000 Unterschriften), der ebenfalls als „unzulässig“ bewertet wurde. In Hagen kam es zu einem Bürgerentscheid über den Erhalt des Lennebades. Dieser ging negativ aus, obwohl knapp 70 Prozent der Abstimmenden (circa 12.000) für das Bad stimmten. Das Mindestbeteiligungsquorum wurde nicht erfüllt. Fachleute sprechen klangvoll von einem „unechten Scheitern“.

Die komplizierten und in allen Bundesländern unterschiedlichen Vorgaben bieten unzählige Schlupflöcher, um Formfehler zu finden und unangenehme Abstimmungen zu unterbinden. Stadtverwaltungen können notwendige Schritte blockieren, wie es in Essen geschah, als das Rathaus eine Kostenschätzung verweigerte. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Fakten zu schaffen, während noch Unterschriften gesammelt werden, oder gewonnene Bürger­entscheide einfach nicht umzusetzen, wie es derzeit in Berlin mit „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ passiert. Klagen fürchtet man in den Rathäusern eher nicht. Wenn Rat und Verwaltung gemeinsame Sache machen, ist die mit Rechtsämtern, Gutachtern und unermesslicher Geduld gesegnete Kommune den realistischen Klagemöglichkeiten der meisten Bürgerinitiativen haushoch überlegen. Doch der politische Erfolg bemisst sich nicht an den schmutzigen Tricks der Gegenseite, die bestenfalls Illusionen rauben. Bürgerbegehren können Wirkung entfalten, wenn auch oft nicht so, wie von den Initiatoren gedacht. In Essen wurde eine durchführbare Alternative zum Ausverkauf des Gesundheitssystems aufgezeigt und massenhaft unterstützt. Das macht Mut und daran ist trotz aller Frustration nicht zu rütteln.

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"Demokratiegetue", UZ vom 8. April 2022



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