Zum demokratischen Israel

Demokratie und ­Massenmord

Bekanntlich ist Israel in der Sicht westlicher Analysten die einzige Demokratie im Nahen Osten. Die Abhaltung regelmäßiger Wahlen für diese Einschätzung als ausreichend anzusehen, ist für diese ein Akt der Selbstvergewisserung, hat man hierzulande doch auch nicht viel mehr zu bieten.

Es gab Zeiten, da war Kolumbien nahezu das einzige Land im lateinamerikanischen Teil von Südamerika, das Wahlen abhielt; das Land hieß damals „älteste Demokratie“ der Region. Dort wechselten sich nach Absprache Liberale und Konservative Partei ab 1957 alle vier Jahre in der Regierungsverantwortung ab. Die Zahl der im seit 1948 geführten Krieg der Oligarchie gegen das eigene Volk ermordeten Menschen – zeitweise jährlich so viele wie in siebzehn Jahren Pinochet- oder sieben Jahren Videla-Diktatur – konnte dem nicht Abbruch tun. Zudem wurde in westlichen Medien unterschlagen, dass Kolumbien diesen Ruf der Money-Demokratie im Norden verdankte, da ausnahmslos alle nichtwählenden Regimes in der Nachbarschaft mit deren Hilfe oder Wohlwollen zustande gekommen waren.

Das ist bei den Israel benachbarten Staaten ähnlich, aber nicht in jedem Fall so. Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, Iran, Jemen und der Irak wurden in unterschiedlichen Epochen von westlich geförderten Clan- oder Alleinherrschern angeführt. Syrien auch; das geschah – als die Regel bestätigender Ausnahmefall – jedoch unabhängig von US-Gnaden. Der multireligiöse und parlamentarisch orientierte, aber heute de facto von Hisbollah beherrschte Libanon ist ohnehin ein Sonderfall. Mit den Jahren sind den USA auch der Iran und Jemen von der Stange gegangen und der IS als Nach-Nachfolger der in der Endphase der UdSSR aufgebauten Mudschahedin hat in seiner gescheiterten Mission als völkermörderische Stoßtruppe gegen das unbotmäßige Syrien zurzeit ausgedient.

Also Demokratieverachtung allumher. Da leuchtet der israelische Demokratie-Stern umso heller. Ihm tun hierzulande Zehntausende Morde keinen Abbruch; im Gegensatz zum Fall Kolumbien sind es noch nicht einmal solche am eigenen Volk. Weiter fließen also die Waffen in die rechtsstaatlich organisierte Dezimierung der Palästinenser – den einen Geschäft, den anderen willkürlich interpretierte Staatsräson.

Seien wir ehrlich: Dass am Montag der gegen die Politik der rechtsextremen Regierung geführte Generalstreik als politisch motiviert verboten wurde, wäre hier genauso geschehen. Gern erweist sich die Demokratie an ihrer Negation.

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"Demokratie und ­Massenmord", UZ vom 6. September 2024



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