Mit kommunalen Aktiengesellschaften entmachten sich die Stadtparlamente selbst

Demokratie privatisiert

Kommunalpolitische Kolumne

Im Jahr 1989 wurde der schleswig-holsteinische Energieminister Günther Jansen (SPD) aus dem Aufsichtsrat der Hamburger Elektrizitätswerke AG (HEW) geworfen. Das Oberlandesgericht Hamburg befand, dass Jansen ein „gerichtsbekannter Atomkraftgegner“ sei, der sich als Aufsichtsratsmitglied in einer „unlösbaren Pflichtkollision“ befände. So bestehe die Gefahr, er könnte sich für „zentrale Anliegen des Gemeinwohls“ engagieren und dabei die Kapitalverwertungsinteressen der Aktiengesellschaft zurückstellen. Obwohl der Stadtstaat Hamburg zu diesem Zeitpunkt 71 Prozent der Aktien an der HEW hielt und der Kieler Landtag den Minister von Amts wegen in das Gremium entsandt hatte, musste Jansen gehen. Das Deckmäntelchen der „demokratischen Kontrolle“ über das Unternehmen fiel in dem Moment, als auch nur der leiseste Verdacht aufkam, dass ein Akteur den Profit schmälern könnte.

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Vincent Cziesla

Für Aktiengesellschaften gilt das Aktiengesetz. Dabei ist es unerheblich, ob sie in öffentlichem Eigentum sind oder nicht. Kommunen, die öffentliche Aufgaben in die Hand einer AG legen, geben demokratischen Einfluss auf. Dies gilt auch dann, wenn (Rats-)Mitglieder in den Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung entsandt werden. In Aktiengesellschaften handelt der Vorstand. Die Hauptversammlung ist dem Vorstand gegenüber nicht weisungsberechtigt. Auch der Aufsichtsrat kann höchstens zustimmungspflichtige Vorhaben blockieren. Dabei sind die Aufsichtsratsmitglieder den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens verpflichtet. Sie tagen im Geheimen und müssen die Verschwiegenheit wahren. Es ist rechtlich umstritten, ob sie Weisungen des Stadtrates überhaupt befolgen müssen. Zumeist werden jedoch gar keine Weisungen kommen, da der Rat in der Regel nicht weiß, worüber der Aufsichtsrat derzeit verhandelt.

Ein aktuelles Beispiel: Im Juni 2018 beschloss der Aufsichtsrat der Mönchengladbacher Stadtwerke „NEW“, in die Entwicklung eines Elektroautos mit dem schönen Namen „Sven“ einzusteigen. Die NEW AG kaufte 14 Prozent der Anteile an der Firma „Share2Drive“ und zahlte darüber hinaus 2,5 Millionen Euro an den Entwickler. Der Passus, dass diese Investition vom Rat genehmigt werden solle, wurde kurzerhand gestrichen. Auch eine Anzeige bei der Kommunalaufsicht erfolgte nicht. Nach Bekanntwerden des Deals stellten die Aufsichtsbehörden die Rechtswidrigkeit des Beschlusses fest. Doch die Anteile waren bereits gekauft. Im Endergebnis bleiben die NEW und ihre kommunalen Gesellschafter auf einem Verlust in Höhe von 1,7 Millionen Euro sitzen. Bis heute haben die Oppositionsfraktionen im Mönchengladbacher Stadtrat keine Akteneinsicht erhalten. Ungeklärt ist auch die Haftungsfrage: Nach Aussage der Stadt fand sich bisher keine Kanzlei, die bereit gewesen wäre, den Fall zu untersuchen.

Während in kommunalen GmbHs und Eigenbetrieben noch eine Reihe von Weisungs- und Informationsrechten für den Stadtrat bestehen, sind Aktiengesellschaften nahezu vollkommen „verselbstständigt“. Und das ist in vielen Fällen durchaus erwünscht. Denn die AGs sind häufig profitabel und erledigen im Stillen, womit sich Ratsmehrheit und Stadtverwaltung nicht im Detail befassen wollen. Dass dabei demokratische Einflussmöglichkeiten aufgegeben werden, stört den neoliberalen Traum vom marktorientierten „Stadtkonzern“ nicht. Inzwischen ist die Neugründung von kommunalen Aktiengesellschaften in vielen Bundesländern verboten oder sehr erschwert. Dennoch existieren sie weiter. Die Daseinsvorsorge gehört nicht ins Korsett des Aktiengesetzes! Sie ist keine „Dienstleistung“ wie jede andere auch. Strukturelle Privatisierungen sind nicht die Rettung in Zeiten knapper Kassen, sondern ein Schritt zur Aufhebung dessen, was es zu retten lohnen würde.

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"Demokratie privatisiert", UZ vom 7. August 2020



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