Sonderbares zum Krieg gegen Syrien – Zu Heft 2/2018 der Marxistischen Blätter

Demokratie oder Klassenherrschaft

Von Lucas Zeise

demokratie oder klassenherrschaft - Demokratie oder Klassenherrschaft - Demokratie, Politisches Buch - Theorie & Geschichte

Beilage

Dieser Ausgabe der Marxistischen Blätter liegt als Beilage eine Anthologie von Hermann Klenner mit dem Titel „Demokratie – Kleine Marx/Engels-Anthologie“ bei.

Ist die Gesellschaft, in der wir leben, eine Demokratie oder ist sie eine Klassengesellschaft? Herrschaft einer Klasse oder Herrschaft des (ganzen) Volkes – ein drittes gibt es nicht. So weit, ganz vereinfacht, die grundlegende Analyse. Im Alltag taugt der Begriff Demokratie nur als Forderung oder Parole, also „Demokratie!“ mit Ausrufezeichen geschrieben. Es gibt mehr oder weniger demokratische Zustände. Ernst genommen ist die Forderung nach ganzer Demokratie revolutionär, weil sie darauf zielt, die Klassenherrschaft des Kapitals zu beenden. Wir sehen die Notwendigkeit einer großen Demokratiedebatte, schreibt Lothar Geisler im Editorial der neuen Ausgabe der Marxistischen Blätter, das im Schwerpunkt der „Demokratie in Theorie, Praxis und Zukunft“ gewidmet ist.

Im Heft beschäftigen sich Ekkehard Lieberam, Leipzig, und Beate Landefeld, Essen, mit den Fragen von Klassenherrschaft und bürgerlicher Demokratie. Lieberam schildert im Geschichtsrückblick, warum sich die „parlamentarische Demokratie“ als geeignete Form der Herrschaftsausübung und Steuerung der Gesellschaft erwiesen hat: „Stabilität, Beweglichkeit und Integrationskraft“. Er analysiert treffend, dass die „demokratischen“ Institutionen derzeit dem „Klassenkonflikt kaum noch Ausdruck geben“, und macht die „politische Schwäche der Arbeiterklasse“ dafür verantwortlich. Landefeld zeichnet nach, warum Lenin den Kampf um Demokratie als unverzichtbaren „Teil der Vorbereitung der sozialistischen Revolution“ verstanden hat.

Das Thema wird eingeleitet von einem Essay Herbert Grafs, Berlin, das „Demokratie – von der Idee zur Agonie“ überschrieben ist und, wie einleitend vermerkt wird, ein etwas gekürztes Vorwort zum ähnlich betitelten Buch des Autors darstellt. Graf beginnt mit der Arbeiterklasse, endet aber nach einem Streifzug durch Markt und Gier, Vertrauen und Angst, Dominanz des Kapitals, Big Data und künstlicher Intelligenz mit dem Appell, „dem gesunden Menschenverstand und der Herzensgüte muss Raum bleiben“. Graf sei Ökonom und Staatsrechtler, heißt es zum Autor, und mehr als zwanzig Jahre Berater Walter Ulbrichts gewesen. Man mag es kaum glauben.

Rolf Gössner, Bremen, schildert in seinem Beitrag, wie der Kampf gegen den Terror zur Umwandlung des Staates in einen „präventiven Sicherheitsstaat“ genutzt wird. Dass Letzterer, wie Gössner schreibt „demokratisch nur noch schwer zu kontrollieren“ sei, scheint mir die Untertreibung des Jahrzehnts. Werner Seppmann, Nizza, trägt zum Thema einige Bemerkungen „über die Auswirkungen von Computer und Internet auf das Alltagsleben“ bei. Einige davon sind erhellend. Die grundlegende These Seppmanns nach „einer umfassenden Bestandsaufnahme“, „dass der Computer eine elektronische Maschine zur Organisation der selbstdestruktiven Vergesellschaftungsformen eines späten Kapitalismus“ sei, ist eher trivial. Jörg Becker beschäftigt sich mit der Public-Relations-Branche. Er konstatiert, dass Public Relations (PR), früher eine Randerscheinung, heute von Umfang und Wirkung der klassischen Presse, also den Journalisten, weit überlegen sind. Hochinteressant ist Beckers Liste der weltgrößten PR-Konzerne und eine Übersicht über ihre Aktivitäten. Leider geht Becker zu schnell zum Skandalthema, PR in der Politik, und, noch skandalöser, PR bei der Propagierung von Kriegen über. Der Skandal beginnt bereits dann, wenn die Wahrnehmung der Gesellschaft von den wirtschaftlich Mächtigen für Geld hergestellt wird.

Im aktuellen Teil beschäftigt sich Andreas Wehr, Berlin, unter der Überschrift „Klarheit vor Sammlung“ mit den Vorschlägen Oskar Lafontaines und Sahra Wagenknechts zu einer linken Sammlungsbewegung. Wehr analysiert recht präzise einige Probleme der in zahlreiche Fraktionen zersplitterten „Linkspartei“. Dieses Modell „von linken Mosaik- bzw. Patchworkparteien“ gehe europaweit zu Ende, meint er. Es bedürfe dringend einer politischen Kraft, die sich dem Rechtstrend entgegenstemme. „Die Partei ‚Die Linke‘ ist diese Kraft aber nicht“, konstatiert Wehr. Wie und warum eine neue Organisation sich hinter von Wehr genannten Zielen versammeln sollte, bleibt völlig offen. Wer sich da vielleicht versammelt, ebenso. Der Aufsatz enthält auch keine Bemerkung darüber, ob die DKP Teil dieser Sammlungsbewegung sein soll. Oder nur ihre Mitglieder, so wie Kommunisten auch Mitglieder einer Gewerkschaft sind? All das bleibt rätselhaft. Es bleibt der Eindruck, dass die Sammlungsbewegung ein (zum Scheitern verurteilter) taktischer Zug einer kleinen Fraktion in der Linkspartei mit dem Ziel ist, mehr Anhänger und Wählerstimmen zu gewinnen.

Murat Çakir, Kassel, beschäftigt sich mit dem Angriff der Türkei auf das von kurdischen Kräften (YPG/YPJ) verwaltete Gebiet um Afrin im nordwestlichen Syrien. Bei aller berechtigten Empörung gegen diesen Angriff, der in der Tat ein „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ ist, wie Çakir schreibt, verwundert doch, wenn Syrien selbst, das seit 2011 Angriffsziel einer Koalition von Nato-Staaten und ihrer Verbündeten ist, als „Assad-Regime“ geschmäht wird. Afrin sei „nachweislich eines der wenigen befriedeten Gebiete Syriens“ lobt Çakir seine ihm genehme kleine Gruppierung im Kampf um Syrien. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Banden und kriminellen Söldnergruppen wie die „Freie Syrische Armee“, die jetzt in Afrin einmarschiert ist, bisher mit US-Truppen, Frankreich, Deutschland und einer Vielzahl dschihadistischer Gruppierungen ihren Kampf vornehmlich gegen den syrischen Staat und das „Assad-Regime“ gerichtet haben.

Çakir spricht davon, dass die kurdisch verwalteten Regionen in Nordsyrien mit der Vergesellschaftung natürlicher Ressourcen einen „nichtkapitalistischen Entwicklungsweg“ beschreiten, was angeblich vom „Assad-Regime“ nicht akzeptiert werden könne. Beides waren seit Jahrzehnten Elemente der Politik Syriens, was auch noch die Gegenwart des Landes (zum Beispiel die verbreiteten Genossenschaften) prägt. Syrien ist heute der letzte Staat in der Region, der eindeutig säkular ausgerichtet ist und der einen vom Imperialismus unabhängigen Kurs verfolgt. Anstatt mit diesem „Assad-Regime“ zu einer Verständigung über Selbstverwaltung zu kommen, hat sich die Kurdengruppe taktisch mit den USA verbündet und wurde nun – erwartungsgemäß – fallen gelassen. Die BRD ist faktisch Kriegspartei in Afrin, klagt Çakir und vergisst zu erwähnen, dass die BRD viel länger schon Kriegspartei gegen das ganze Syrien ist.

Die nächste Ausgabe der MBl sollte einen Artikel enthalten, der den imperialistischen Krieg gegen Syrien korrekt und umfassend beschreibt und dabei Çakirs Fehler korrigiert.

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"Demokratie oder Klassenherrschaft", UZ vom 29. März 2018



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