Lieber Georg, natürlich hast du im Ergebnis recht damit, wenn du die Stimmung im Land zur Rentenfrage als gleichgültig einschätzt. Ich habe auch kein Patentrezept, wie die um sich greifende Lethargie in eine kollektive Aufbruchstimmung gewendet werden kann. Aber einen Punkt will ich ansprechen, der mich schier verrückt und kribbelig macht: wieso sprichst auch du von einem „demografischen Problem“? Gemeint ist ja, dass die Menschen heute älter werden: Aber ist es ein Problem, dass die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung seit über 100 Jahren für höhere Einkommen kämpft, die eine bessere Ernährung gewährleistet haben? Oder für bessere Arbeitsbedingungen als Abwehr von vorzeitigem körperlichem Verschleiß kämpft? Oder für Arbeitszeitverkürzung, die die Zeit für Erholung ausdehnt und Arbeit für alle gewährleistet? Oder für mehr und qualifiziertere Bildung, die auch Kindern aus der Arbeiterklasse ein Studium ermöglichte, das auch dazu beitrug, die medizinische Versorgung der Arbeiterklasse zu verbessern? Oder die Begrenzung der Lebensarbeitszeit auf ein erträgliches Maß begrenzt hat mit dem Ziel, sie entsprechend dem gesellschaftlichen – von uns erarbeiteten! – Reichtum weiter zu senken? Übrigens ebenso wie die Arbeitszeit!
Das waren die Ziele – die Liste ist grob unvollständig –, aber dafür haben Generationen vor uns geknüppelt und den Buckel krumm gemacht. Es ist ihr Geschenk an uns, dass wir älter werden dürfen als sie. Das Problem ist – um in der Reihenfolge zu bleiben – dass unsere Einkommen individuell und gesellschaftlich gekürzt werden (Arbeitslosigkeit/Prekariat etc), dass sich die Bedingungen in den Betrieben bis an die Grenzen des Erträglichen verschärfen, dass die Gesetze, die die Arbeitszeit begrenzen de facto außer Kraft gesetzt und die Menschen rund um die Uhr fürs Kapital erreichbar geworden sind, von den Millionen Überstunden gar nicht zu sprechen, dass Bildung nicht nur teuer geworden, sondern für Arbeiterkinder auch schwerer zu erlangen ist, dass medizinische Versorgung zur Ware verkommen ist und dass die Lebensarbeitszeit, wenn es so weitergeht, deckungsgleich mit der Lebenszeit sein wird. (…)