Zu den Angriffen der DFG-VK Berlin auf breite Kreise der Friedensbewegung

Dem NATO-Kurs entgegenstellen!

Bernhard Trautvetter

Noch bevor am vergangenen Donnerstag Zehntausende für den Frieden auf die Straße gegangen sind, hatte die Deutsche Friedensgesellschaft Berlin (DFG-VK) die Friedensbewegung zum gespaltenen Spektrum erklärt. Die Friedensdemonstration am „Tag der Deutschen Einheit“ in Berlin hatte sie im Vorfeld als „Querfrontdemo“ bezeichnet. Auch wenn die Demonstration inzwischen erfolgreich verlaufen ist, bedürfen die Vorwürfe einer Überprüfung.

In ihrer Stellungnahme „Von der Friedensbewegung zur Weltuntergangssekte?“ brachte die DFG-VK Berlin – neben entwürdigenden Worten über Friedensaktive – die Kritik vor, dass der Aufruf zum 3. Oktober „Wörter wie ‚Russland‘, ‚Moskau‘ oder ‚Putin‘, die in der Ukraine die Kriegsursache und den Aggressor beschreiben“, nicht enthalten habe. Die DFG-VK Berlin reproduziert damit die Propaganda der NATO-Lobby, die eine Alleinschuld Russlands am Krieg in Osteuropa behauptet. Auf den ersten Blick spricht dafür, dass der Einmarsch in die Ukraine den seit 2014 entbrannten Krieg auf eine neue Eskalationsstufe gebracht hat. Dies geschah jedoch, nachdem die NATO Russlands Anliegen abgelehnt hatte, im Einklang mit dem europäischen Recht eine Friedensordnung in gemeinsamer – weil gegenseitiger – Sicherheit und mit einer neutralen Ukraine zu akzeptieren. Der ehemalige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte dazu im EU-Parlament am 7. September des vergangenen Jahres: Putin „wollte, dass wir das Versprechen unterschreiben, dass wir unsere militärische Infrastruktur (…) bei allen Verbündeten, die der NATO seit 1997 beigetreten sind, entfernen (…) wir sollten die NATO aus diesem Teil unseres Bündnisses entfernen und eine Art B-Mitgliedschaft (…) einführen. Das lehnten wir ab. Also zog er in den Krieg, um die NATO (…) in der Nähe seiner Grenzen zu verhindern.“

Die NATO-Führung wusste, welche Vereinbarungen sie damit brach. Betroffen war unter anderem der von drei NATO-Atommächten mit ausgehandelte Vertrag über den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Dem hätte die sowjetische Führung sicher nie zugestimmt, wenn sich die Vertragspartner nicht dazu verpflichtet hätten, „die Sicherheitsinteressen eines jeden (!) zu berücksichtigen“. Die Verletzung der Sicherheitsinteressen Russlands durch die NATO-Ost-Expansion war und ist die Zerstörung der europäischen Friedensordnung – und nicht die Reaktion Russlands darauf. Die DFG-VK Berlin übergeht die Eskalationsschritte der NATO, wenn sie auch den westlich gestützten, verfassungswidrigen Staatsstreich in der Ukraine im Jahr 2014 unterschlägt und stattdessen von einem „recht besonnenen Auftreten der NATO-Staaten“ spricht.

Auch die von der NATO ausgehende nukleare Gefahr bewertet die DFG-VK Berlin auffällig gering. Die NATO behandele das Risiko „klar, deutlich und begrenzt“, ist da zu lesen. Die DFG-VK-Funktionäre scheinen die Nationale Sicherheitsstrategie der USA nicht zu kennen. In ihr erklären die Militärstrategen: „Die Vereinigten Staaten halten (…) an der Möglichkeit fest, präventiv zu handeln (…). Je größer die Bedrohung ist, desto größer ist das Risiko der Untätigkeit (…). Um solchen feindlichen Handlungen unserer Gegner zuvorzukommen oder sie zu verhindern, werden die Vereinigten Staaten, wenn nötig, präventiv handeln.“ Hier steht verklausuliert und doch klar ein als „Präventivschlag“ kommunizierter Erstschlag im Raum. Diese Sprache durchzieht das Papier wiederholt, wie hier: „Wir können nicht zulassen, dass unser Gegner den ersten Schlag ausführt.“ Vor dieser Strategie warnt die Friedensbewegung zu Recht.

Die DFG-VK Berlin rückt die Friedensbewegung außerdem noch in die Nähe der AfD. Wenn diese Partei allerdings gegen Waffenlieerungen an die Ukraine ist, dann, weil sie darin eine „Ausplünderung der Bundeswehr“ sieht. Derartige Argumente haben mit dem Pazifismus der Friedensbewegung nichts zu tun; auch hier lohnt es sich, die Argumente genau zu überprüfen.

Die Friedensbewegung hat die Verantwortung, sich dem NATO-Kurs entgegenzustellen. Die Gefahren sind aktuell mindestens so hoch einzustufen, wie sie es in den 1980er Jahren waren, als die Friedensbewegung ein breites Bündnis von der CSU (Mechtersheimer) bis ganz links einschloss und Millionen mobilisierte.

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"Dem NATO-Kurs entgegenstellen!", UZ vom 11. Oktober 2024



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