Monika Münch-Steinbuch zum Kampf gegen Corona

Dem Markt überlassen?

Gesundheitsminister Spahn verteilt Beruhigungspillen: „Das deutsche Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt. Ärzte und Pflegekräfte und alle, die im Gesundheitswesen tätig sind, bewältigen jedes Jahr Grippewellen, die das Gesundheitssystem zumindest vor vergleichbare Herausforderungen stellen.“

Laut Robert-Koch-Institut starben 25.000 Menschen bei der Grippewelle im 2017/18. Mit Stand vom 2. März waren in ganz Deutschland „nur“ 150 Menschen nachweislich mit Coronavirus Sars-CoV-2 infiziert. Warum also diese Panik?
Christian Dorsten, Leiter der Virologie an der Charité, Berlin, hält die Infektion von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland mit diesem Coronavirus für wahrscheinlich, Prof. Lipsitch, Harvard-Epidemiologe, spricht sogar von 40 bis 70 Prozent der Weltbevölkerung.

80 Prozent der Infektionen mit dem neuen Coronavirus verlaufen wie bei grippalem Infekt mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit und Magen-Darm-Beschwerden, 20 Prozent aber schwerwiegend und krankenhauspflichtig, 5 Prozent müssen sogar auf die Intensivstation wegen Beatmung, septischem Schock und anderem. Aber schon mit der jährlichen Grippewelle kommt unser Gesundheitswesen an seine Kapazitätsgrenzen. Auch das trifft vor allem alte und gesundheitlich angeschlagene Menschen. Bereits jetzt lassen sich die vorgeschriebenen Isolierungsmaßnahmen bei Influenza kaum umsetzen, weder personell noch räumlich. Wie soll das erst bei so einem hochinfektiösen Coronavirus gelingen?

17.000 Vollzeitpflegestellen sind derzeit unbesetzt, etwa 100.000 fehlen sowieso, ein Drittel der Intensivbetten musste im letzten Jahr vorübergehend gesperrt werden, ganze Krankenhäuser müssen wegen mangelnder Finanzierung über die Fallpauschalen schließen. „Wir haben schon seit Jahren ein unkontrolliertes Kliniksterben“, so Professor Thomas Busse von der Uni Frankfurt. „Aktuell versucht der Gesetzgeber lediglich, den Krankenhausmarkt über den Hebel der Finanzierung und insbesondere die Qualitätssicherung auszudünnen. … Dem Markt die Bereitstellung von Krankenhäusern zu überlassen, wird uns schließlich schrecklich auf die Füße fallen.“

Diese Zeit ist nun gekommen. Das Virus hat sich inzwischen in fast allen Bundesländern breit gemacht. Die Klinik- und Abteilungschließungen in diesem Land müssen sofort gestoppt beziehungsweise rückgängig gemacht werden. Wenn private Klinikbetreiber dabei nicht mitmachen, wäre die Enteignungsdrohung wegen Gemeinwohlgefährdung nach Artikel 14 angezeigt und nicht nur die Drohung. Großzügige Angebote an die 100.000 Aussteigerinnen und Aussteiger aus dem Pflegeberuf zur Rückkehr in die Krankenhäuser, umfassende Produktionsaufträge für Schutz­ausrüstung und Medikamente – von all dem war bis jetzt nichts zu hören und zu lesen.

Wenn’s aber doch nicht so schlimm wird, haben wir das der Konsequenz und Umsicht Chinas zu verdanken: Der WHO wurde der Virusausbruch umgehend gemeldet. China schaffte es, zusätzliche 1.000-Betten-Krankenhäuser in kürzester Zeit aus dem Boden zu stampfen, angesichts zunächst fehlender Impf- und unzureichender Therapiemöglichkeiten wurden ganze Millionenstädte in Quarantäne versetzt und trotzdem versorgt. Der Wildtierhandel – offenbar Ausgangspunkt des Virus – wurde landesweit verboten. Die Produktion von Virustatika, Remdesivir und Favipivavir, ursprünglich gegen Ebola eingesetzt, wurde mit Hochdruck organisiert ohne Rücksicht auf US-Patentrechte und Drohungen im Handelsstreit mit den USA.

Allerdings gibt es auch Gewinner der Ausbreitung des Virus: die Pharmaindustrie.

Finanzmarktwelt vom 25. Februar: „Ein Impfstoff gegen das hochansteckende Coronavirus verspricht ein potentielles Milliardengeschäft zu werden. Schnellere Umsätze versprechen Mittel, die die Virenvermehrung bei bereits infizierten Patienten hemmen.“

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"Dem Markt überlassen?", UZ vom 6. März 2020



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