The Boss don‘t care
Kinderarbeit in den USA 1908–1917
Fotografien von Lewis W. Hine
Herausgegeben von Wilfried Kaute
Mit einem Vorwort von Jean Ziegler
ca. 240 Abbildungen
Köln: Emons Verlag 2018
320 Seiten, 39,95 Euro
„Jedes Kind hat das Recht auf Schutz gegen die ökonomische Ausbeutung. Es darf zu keiner Arbeit gezwungen werden, die körperliche und geistige Risiken mit sich bringt, die seine Schulbildung und Erziehung beeinträchtigt oder seiner Gesundheit, seiner physischen, geistigen, moralischen oder sozialen Entwicklung Schaden zufügt.“ So steht‘s im „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“, kurz UN-Kinderrechtskonvention. Diese legt wesentliche Standards zum Schutz der Kinder weltweit fest und stellt die Wichtigkeit von deren Wert und Wohlbefinden heraus. Das aber auch erst seit knapp 30 Jahren. Kinder sind gemäß des Übereinkommens alle Menschen, die jünger als 18 Jahre alt sind beziehungsweise noch nicht volljährig.
Damit sollte eigentlich klar sein, dass sich Kinderarbeit weitgehend erledigt hat. Tatsache ist aber, dass nach dem letztjährigen Bericht des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) über 15 Millionen Kinder unter 10 Jahren arbeiten, und das überwiegend unter harten und erzwungenen Bedingungen. So wird zum Beispiel Coltan, ein wichtiges und wertvolles Mineral, ohne das Mobiltelefone und andere Hochtechnologie nicht funktionieren, im Kongo zu einem Großteil von 10- bis 15-jährigen Kindern gefördert, weil nur die sich in den engen Schächten und Stollen bewegen können. Den gefährlichen Bedingungen zum Trotz haben die Minenbetreiber keine Mühe, immer neue Kinder anzuwerben. Die Hungerlöhne sind oft die einzige Hilfe gegen den Hungertod der Familien.
Die wichtigste Ursache für Kinderarbeit war und ist die Armut der Eltern. Die Kinderarbeit führt umgekehrt aber auch zu einem erhöhten Angebot an billigen Arbeitskräften und damit zu niedrigen Löhnen. Die Kinderarbeit ist also auch eine Ursache für die Elternarmut.
Kinderarbeit hat es wohl schon immer gegeben, aber erst mit der Industrialisierung ab dem 18. Jahrhundert nahm sie in Europa und den USA Ausmaße an, die die Gesundheit und Bildung großer Teile der Bevölkerung beeinträchtigten.
In den USA arbeiten Anfang des 20. Jahrhunderts fast zwei Millionen Kinder. Die Armee der Kinderarbeiter ist unterernährt und leidet unter Arbeitszeiten von oft zwölf Stunden am Tag und sechs Tagen in der Woche. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken sind gefährlich und die Unfallraten sind hoch. Krankheiten wie Tuberkulose und Bronchitis sind in den Bergwerken weit verbreitet. Der Schulbesuch ist nur eingeschränkt möglich oder fällt ganz aus. Der Verlust an Bildung fördert den Analphabetismus. Eine Veränderung individueller Lebensbedingungen aus eigener Kraft ist kaum möglich.
Ebenfalls Anfang des letzten Jahrhunderts wurde die Kinderarbeit als nationales Problem erkannt und ihr mit der Gründung des National Child Labor Committee (NCLC) im Jahr 1904 der Kampf angesagt. Ziel war es, die Wirksamkeit der bestehenden Arbeitsgesetze für Kinder, die es durchaus gab, durch Kontrollen zu erhöhen. Das Bewusstsein über den Missbrauch und die Nichtbeachtung der Gesetze sollte geschärft werden. Die Öffentlichkeit sollte aufgeklärt und auf gesetzgebende Organe Druck ausgeübt werden. Dafür schien die Fotografie ein geeignetes Mittel. Das Komitee engagierte Lewis W. Hine als Fotograf für seine Kampagnen.
Von 1908 bis 1917 dokumentierte er die Ausbeutung der Schwächsten der amerikanischen Gesellschaft. Rund 240 Aufnahmen sind in dem Bildband „The Boss don‘t care“ abgebildet – begleitet von Hines Notizen, die sich wie short stories lesen. Die Aufnahmen gelten heute als Meilensteine in der sozialdokumentarischen Fotografie. Auch hundert Jahre später haben sie nicht an Bedeutung verloren. Der Bildband, von Wilfried Kaute, selbst Fotograf, hervorragend editiert und mit einem Vorwort von Jean Ziegler versehen, ist ein Dokument über das Verbrechen der Kinderarbeit und der immer noch brennenden Aktualität des Themas.
Neun dieser Kinder von 8 Jahren aufwärts gehen an Schultagen halbtags zur Schule, öffnen vorher vier Stunden lang und nachher drei Stunden lang Austern, und samstags von vier Uhr morgens bis in den frühen Nachmittag hinein. Maggioni Canning Co.
Ort: Port Royal, South Carolina – Aufgenommen: Februar 1911
Die Carrying-in Boys (Junge, der das bearbeitete Glas zum Kühlofen bringt). Mitternacht in einer Glashütte in Indiana.
Ort: Indiana – Aufgenommen: August 1908
Eine kleine Spinnerin in den Mollahan Mills.
Ort: Newberry, South Carolina – Aufgenommen: Dezember 1908
Tiny, eine siebenjährige Austernöffnerin (Oyster Shucker), geht nicht zur Schule. Arbeitet hier fest. Seit einem Jahr dabei. Maggioni Canning Co.
Ort: Port Royal, South Carolina – Aufgenommen: Februar 1912 (?)
Alle Fotos und Bildtexte: Lewis W. Hine