G7-Staaten ringen darum, den Krieg in der Ukraine weiter zu eskalieren – Gaststaaten fordern Verhandlungen

Defensivtreffen

G7 – schon das Etikett ist ein Schwindel. Vor der imposanten Kulisse des Wettersteingebirges tagten nicht die „sieben größten Wirtschaftsmächte“, sonst hätten China und Indien am Tisch sitzen müssen. Der auf Schloss Elmau vom 26. bis 28. Juni abgehaltene Gipfel der Länder, die sich für den Nabel der Welt halten, ist dieses Jahr ein „Kriegsgipfel“, so jedenfalls überschreibt die „Welt“ ihre gesamte Tagungsberichterstattung. In Elmau ging es vorrangig um Krisenbewältigung: Globale Rezession, erfolglose antirussische Sanktionen, die sich als desaströser Bumerang entpuppen, zusammenbrechende Lieferketten und das vergebliche Warten auf militärische Erfolge der mit milliardenschweren Hilfspaketen und Waffenlieferungen hochgepäppelten Ukraine. Die G7 als wirtschaftlicher Arm der NATO müsse „registrieren, dass die Marktwirtschaft – der Kapitalismus – nicht so ein verlässlicher Freund ist wie gedacht“, meint der „Spiegel“ und beklagt zugleich die grassierende Kriegsmüdigkeit als Hemmschuh für die „Universalität der eigenen Werte“. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz klingt wenig enthusiastisch: „Elmau liegt in den Bergen, Berge versetzen werden wir dort sicher nicht“, defätistisch der Ex-Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger: „Es ist ein Defensivtreffen …“

Vom Treffen auf Schloss Elmau, 1916 erbaut, Fronterholungsheim für die Wehrmacht zwischen 1941 und 1945, anschließend US-Militärlazarett, seit 2005 Luxushotel mit dem Markenkern „Hideaway & Retreat“ (Rückzugsort), sollte ein Signal des Zusammenhalts der „starken Wirtschaftsdemokratien“ ausgehen. Geredet wurde viel, verabschiedet wenig, Konkretes schon gar nicht. Die kulinarischen Zusammenkünfte mit dem Flair einer „modern interpretierten bayerischen Regionalküche und den Aromen Asiens in fünf Degustationsgängen“, begleitet von erlesenen Tropfen wie einem „Château Latour, Premier Cru Classe 2005“ (Flasche zu 1.599 Euro), erleichterten es den Teilnehmern, ganz entspannt über globale Armut und weltweit 150 Millionen hungernde Kinder zu fabulieren, ohne letztlich auch nur eine konkrete Hilfsmaßnahme zu verabschieden.

Für die Ruhe des Gipfels im Tal zwischen Mittenwald und Garmisch-Partenkirchen sorgte das Heerlager von 18.000 Polizisten und hunderten Geheimdienstlern. Zigtausend zugeschweißte Kanaldeckel auf 120 Kilometer „Protokollstrecke“ zwischen Flughafen München und Elmau; Straßen, Plätze, Berghütten gesperrt, ein 16 Kilometer langer Drahtzaun quer durch den Bergwald, das Skistadion in Garmisch umfunktioniert zu einem mit NATO-Draht gesicherten „Justizzentrum“ inklusive Haftcontainern. Die Kosten des Kriegsgipfels saldieren sich auf circa 180 Millionen Euro. Großbritanniens Premier Boris Johnson, der französische Präsident Emmanuel Macron sowie die Ministerpräsidenten Kanadas, Italiens und Japans schwebten von München aus mit den natoblauen Helikoptern der Bundespolizei ein. Für den Schulterschluss der europäischen Statthalter der USA sorgten EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Alle genossen das bewährte bajuwarische Begrüßungsritual, bestehend aus jubelnden Trachtlern, lederbehosten Gebirgsschützen und weiß-blauem Defiliermarsch.

Noch vor dem sonntäglichen Frühstück mit Scholz twitterte US-Präsident Biden, jetzt sei ein Importverbot für russisches Gold fällig. Ein programmierter Flop: In der russischen Zentralbank lagern aktuell 2.300 Tonnen Gold, kein Land der Welt hat im letzten Jahrzehnt mehr Edelmetall angekauft als Russland. Der Rekordanteil von 23 Prozent Gold an der Währungsreserve führte angesichts des nach dem 24. Februar stark gestiegenen Goldpreises zu einem noch immer anhaltenden Höhenflug des Rubels. Sollte Russland Gold verkaufen wollen, haben China und Indien bereits die Abnahme hoher Mengen in Aussicht gestellt.

Der zweite Gipfeltag wurde durch die obligatorische Videoschalte zum Präsidentenpalast in Kiew eingeleitet. Kurz bevor das gewohnte olivgrüne T-Shirt von Wolodymyr Selenski erschien, legten die Anzugträger zum Zeichen ihrer gewollten Hemdsärmligkeit Sakkos und Krawatten ab. Wie immer schallte der Ruf nach mehr schweren Waffen durch den Äther, stieß diesmal aber auf eher gelangweilte Gesichter. Scholz beiläufig: Man werde die „notwendigen Entscheidungen treffen“. Nach dem Mittagessen stießen die Vertreter der „diesjährigen Partnerländer“ zum Gipfel: Senegal, Südafrika, Indien, Indonesien und Argentinien. Von Sanktionen gegen Russland wollten alle nichts hören. Indien, ebenso wie Südafrika und demnächst auch Argentinien, sind gemeinsam mit Russland und China Mitglieder des Wirtschaftsbündnisses BRICS, das sich mehrfach gegen antirussische Sanktionen ausgesprochen hat. Indien profitiert von den seit März gestiegenen russischen Ölimporten und dem Weiterverkauf der Raffinerieprodukte nach Europa. Der senegalesische Präsident Macky Sall führt aktuell den Vorsitz in der Afrikanischen Union. Vor wenigen Wochen forderte er bei einem Besuch im russischen Sotschi die Aufhebung sämtlicher Sanktionen für russischen Weizen und Düngemittel. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa insistierte am 24. Mai gegenüber Scholz auf Verhandlungen statt Waffenlieferungen – „das ist der einzige Weg, den Südafrika sieht, um den Konflikt zu beenden“. Kein Interesse zeigten die Gäste am G7-Katzentisch auch am Konkurrenzprojekt der G7 zu dem von China vor fast einem Jahrzehnt auf den Weg gebrachten Projekt der „Neuen Seidenstraße“. Für die in Elmau aus dem Hut gezauberte Idee einer „Partnerschaft für Globale Infrastruktur“, die binnen fünf Jahren die G7-Länder 600 Milliarden US-Dollar kosten soll, gab es weder Plan noch Konzept. Auch das eine leicht zu durchschauende Luftnummer.

Was bleibt sonst vom Gipfel? Immerhin eine neue Russland-Sanktion, die Russland vom Import kriegswichtiger Technologie aus den USA abtrennen soll. Abgesehen davon, dass das Handelsvolumen zwischen den G7-Staaten und Russland aufgrund über 2.500 neuer Sanktionsmaßnahmen seit Ende Februar ohnehin schon nahe „0“ liegt, hat Joe Biden bei dieser Sanktionsidee ganz vergessen, dass der US-Senat und das Repräsentantenhaus Russland im April den Status eines Handelspartners komplett entzogen hat.


Proteste gegen G7-Gipfel in Garmisch und München

Das Bündnis „Stop G7 Elmau“ organisierte nahe des Tagungsortes Schloss ­Elmau eine Demonstration in Garmisch. Rund 2.000 Menschen nahmen trotz immenser Auflagen und martialischer Polizeipräsenz teil. Die Polizei und andere Sicherheitsbehörden eskortieren den Buskonvoi der Demonstrantinnen und Demonstranten aus München nach Garmisch (der Ortsteil Partenkirchen war für die Protestierenden gesperrt). Die Hetze, die Gipfelveranstalter und die bürgerliche Presse in den Wochen vor der Demonstration in Garmisch-Partenkirchen verbreiteten, fruchtete nicht bei der Bevölkerung. Diese nahm regen Anteil an der Demonstration, einige schlossen sich den Demonstrierenden an, zahlreiche Schaufenster waren mit Anti-G7-Parolen verziert. So hatten weder Polizei noch die in der Sperrzone stehende und mit Fahnen des Asow-Bataillons bewaffnete Gegenkundgebung freie Hand. Die Rede der SDAJ auf der Demonstration findet man unter kurzelinks.de/g7sdaj

Am Tag zuvor protestierten rund 8.000 Menschen gegen den G7-Gipfel in München. Dazu aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus Organisationen wie zum Beispiel die Naturfreunde, Greenpeace und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V.

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"Defensivtreffen", UZ vom 1. Juli 2022



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