Eine erste Zwischenbilanz zu dem EU-G7-Preisdeckel auf russisches Öl: Es gibt den Deckel, aber niemand interessiert sich für ihn. Oder genauer: fast niemand. Vergangene Woche sorgte er für ein wenig Aufregung am Bosporus und an den Dardanellen. Durch die Meerengen müssen Schiffe hindurch, die im russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk Öl laden und es in andere Länder transportieren. Die Türkei, von der EU unter Druck gesetzt, dort unbedingt die Einhaltung des Preisdeckels zu kontrollieren – irgendwer muss das ja tun –, ließ sich nicht lumpen und überprüfte vorbeifahrende Tanker penibel. Dumm nur, dass sie dabei vor allem Tanker erwischte, die in Noworossijsk nicht russisches, sondern kasachisches Öl geladen hatten, das sie in westliche Staaten liefern sollten. Diese Tanker standen vergangene Woche vor den Meerengen Schlange, bis sie die äußerst gewissenhaften Kontrollen überstanden hatten. Leider hatten nicht alle Tanker die erforderlichen Papiere dabei. Washington tobte, beschwerte sich in Ankara: So habe man sich die Sache mit dem Preisdeckel nicht gedacht.
Woanders herrscht reges Desinteresse. Am 5. Dezember, dem Tag, an dem der Preisdeckel in Kraft trat, wurde am Hafen Kozmino nahe Wladiwostok russisches Öl routiniert für 79 US-Dollar pro Barrel verkauft – weit oberhalb des Deckels, der bei 60 US-Dollar liegt. Chinesische und indische Reeder ließen sich ohnehin nicht von den merkwürdigen westlichen Vorschriften irritieren; zu ihnen kam nun auch noch eine russische Schattenflotte von wohl rund hundert Tankern oder sogar mehr hinzu, die – von Moskau in kürzester Zeit aufgebaut – ohne Rückgriff auf westliche Dienstleistungen Erdöl transportierte. Details sind noch kaum bekannt; der Versuch, russische Erdölexporte vom Westen unabhängig zu machen, läuft zunächst aber offenbar rund.
Ob das so bleibt – wer weiß. Fallstricke gibt es durchaus. Die Tanker müssen wegen des EU-Embargos weitere Strecken als bisher zu neuen Abnehmern zurücklegen; das dauert länger, weshalb mit derselben Tankerzahl weniger Öl in derselben Zeit geliefert werden kann. Und wer weiß, ob die Türkei nicht irgendwann doch auch russische Tanker aufhält. Wirtschaftskriege sind oft ähnlich schwer zu kalkulieren wie Schießkriege. Bislang aber darf sich Moskau über einen Preisdeckel freuen, der nicht den geringsten Erfolg erzielt.