Die Aktie der ThyssenKrupp AG wird am 23. September im Dax durch die der MTU Aero Engines ersetzt. Es gibt wichtigere Ereignisse im Wirtschaftsgeschehen. Aber der Vorgang zeigt noch einmal deutlich den Niedergang der alten Stahlindustrie. Den Deutschen Aktienindex „Dax“ gibt es seit Juli 1988. Der Index besteht wie sein Vorbild „Dow Jones“ aus New York aus 30 deutschen Aktien, deren Kursverlauf an der Frankfurter Börse gemittelt und minütlich als wichtige Nachricht aller Welt mitgeteilt wird. Die Auswahl der 30 Aktien erfolgt nach ihrem Börsenwert. Im Dax befinden sich damit die 30 an den deutschen Börsen gehandelten wertvollsten Unternehmen. Thyssen (damals noch ohne Krupp) befand sich schon 1988 in diesem erlauchten Kreis. Der Abstieg aus dem Dax entspricht dem abnehmenden Unternehmenswert. Der wiederum ist eine Widerspiegelung der abnehmenden Gewinne – besser der Erwartung abnehmender Gewinne.
ThyssenKrupp macht einen Jahresumsatz von 43 Mrd. Euro. Die Zahl der Beschäftigten beträgt weltweit 155 000. Bei MTU Aero Engines sind es gerade mal 10 000 beschäftigte Personen, die einen Umsatz von 4,6 Mrd. Euro erzielen. Aber der Gewinn des Münchner Unternehmens ist um 0,5 bis 0,6 Mrd. Euro pro Jahr höher als bei ThyssenKrupp. Und die Tendenz geht aufwärts. Tradition hat auch MTU. Es geht auf das alte 1913 gegründete BMW-Flugmotorenwerk zurück, fertigte im 2. Weltkrieg – „leider“, wie es in der Eigendarstellung heißt, unter Ausbeutung polnischer Zwangsarbeiter – Flugzeugmotoren für den Endsieg und wurde erst 1955, als die Wiederaufrüstung Deutschlands begann, erneut auf dem Feld der Flugzeugmotoren tätig. Heute arbeitet die Firma mit, wie es ebenfalls heißt, „allen“ Flugzeugmotorenherstellern der Welt zusammen, für zivile und für militärische gleichermaßen. In der jüngeren Geschichte gehörte die Firma Daimler, wurde dann von der US-Heuschrecke KKR aufgekauft und 2015 an die Börse gebracht.
Die Geschichte von ThyssenKrupp kann hier nicht annähernd komplett gewürdigt werden. Das Unternehmen ist der Repräsentant der deutschen Stahlindustriellen, die wesentlich mitverantwortlich für beide Weltkriege waren. 1999 fusionierte Thyssen mit Krupp. Krupp hatte zuvor Hoesch geschluckt, ihrerseits das Ergebnis von Stahlfusionen. In ganz Europa verloren Stahlfirmen an relativer Bedeutung, während erst Japan und dann Südkorea Produktion und Export ausweiteten. Ein Inder namens Lakshmi Mittal kaufte in den nuller Jahren die größten Stahlproduzenten der USA, Britanniens und Frankreichs auf und ist heute der bei weitem größte Stahlproduzent. Der billige Einstandspreis bei der Übernahme und die Monopolstellung beim Bezug von Energie, Eisenerz und anderen Rohstoffen macht das Unternehmen offensichtlich profitabel. Deutsche Stahlproduzenten haben ihr Heil in der Diversifizierung gesucht. Mannesmann, früher auch Mitglied im Dax, wurde Telefongesellschaft und als solche von der britischen Vodafone zum Höchstpreis übernommen. Krupp und ganz besonders Thyssen expandierten in Werften (vor allem Kriegsschiffe) und in den Maschinenbau. Thyssen war besonders erfolgreich bei der Herstellung von Aufzügen und Rolltreppen. Die Stahlerzeugung und Erstverarbeitung wurde in die ThyssenKrupp Stahl AG ausgegliedert. Deren geplante Fusion mit dem indischen Mittal-Konkurrenten Tata wurde von der EU-Kommission untersagt.
Krupp und nach 1999 ThyssenKrupp wurde früher vom Großaktionär, der Krupp-Stiftung, dominiert, die unter dem Vorsitzenden Berthold Beitz eine zentrale Rolle im „rheinischen Kapitalismus“ Westdeutschlands eine führende Rolle spielte. Heute sind die schwedische Heuschrecke Cevian (mit 15 Prozent) und zwei US-Investoren mit jeweils etwa 5 Prozent an ThyssenKrupp beteiligt. Sie befürworten eine Zerschlagung des Konzerns. Der Verlust der Dax-Mitgliedschaft wird ThyssenKrupp vermutlich keine weiteren Nachteile bringen. Zwar werden Aktien, die dem Dax angehören, stärker gehandelt, weil Fondsgesellschaften wie zum Beispiel Blackrock, die ETF Exchange Traded Funds) anbieten, strikt den Index nachbilden und damit an der Börse im Dax geführte Aktien dann kaufen, wenn Anleger Dax-ETF kaufen. Dieser Effekt fällt für ThyssenKrupp nun weg. Der negative Effekt durch den Dax-Rauswurf dürfte aber in diesem Fall schon vorweggenommen sein. Dass Blackrock seine Beteiligung an ThyssenKrupp nun verringert hat, könnte sogar ein kleiner Vorteil sein. Die Zerschlagung bleibt freilich wahrscheinlich.