Die Exportnationen China und Deutschland fürchten den US-Protektionismus am meisten

Davos im Liebestaumel für Xi

Von Klaus Wagener

Davos feiert Xi Jinping. Auf dem Hochamt der „Globalisierungs“-Profiteure in den Schweizer Bergen wurde der Generalsekretät der mit fast 90 Millionen Mitgliedern weltweit mächtigsten kommunistischen Partei als „Anti-Trump“ (Handelsblatt), als „The new Davos man“ (Economist) gefeiert. Xi habe sich als „Glühender Verfechter des kapitalistischen Freihandels“ präsentiert, begeistert sich das Handelsblatt, während der US Präsident gegen den Freihandel poltere, andere Nationen beschimpfe und auf Twitter um sich schlage.

Diese neue Freihandels-„Achse“ Berlin-Peking mit Xi Jinping als „neuem Führer der freien Welt“ (Welt) gegen die Mächte der Finsternis, die Populisten und Protektionisten Donald Trump und Wladimir Putin hätte vor kurzem wohl kaum jemand für möglich gehalten. Mit der tatsächlichen Amtsübernahme der Regierung Trump hat das Potential einer substantiellen Veränderung der globalen politökonomischen Beziehungen erheblich zugenommen. Selbstredend sehr zum Unmut seiner derzeitigen Profiteure.

Xis Rede hat die Trump-Debatte auf den Kern des Problems konzentriert. Seine Haltung etwa zu Frauen oder Einwanderern, seine, um es wohlwollend zu formulieren, barocke Art mag irritieren, ist aber dort herzlich gleichgültig, wenn es um strategische Investments im mehrstelligen Milliardenbereich, um wichtige Rohstoff- und Arbeitskraftressourcen, um Macht und Geostrategie im Allgemeinen geht. Trump ist der Auffassung, die USA seien die großen Verlierer der „Globalisierung“ genannten neoliberalen Entfesselung des Finanzkapitals und der damit verbundenen Wanderbewegung eben dieses Finanzkapitals hin zu den globalen industriellen Sonderzonen mit den niedrigsten Löhnen, Steuern, Sozialkosten und Umweltstandards. Kurz, zu den Plätzen mit der höchsten Profitrate. Man ist geneigt, ein etwas modifiziertes Manifest zu zitieren: Die Globalisierung hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit sozialstaatlichen und menschenrechtspolitischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.

Verlierer der Hauptstraße

Dieser Prozess der neoliberal grenzenlosen Verteilung der Produktionsstätten kennt in der Tat Gewinner und Verlierer. In den USA sind es vor allem die „1 Prozent“, die Wall Street und die Konzerne mit zunehmend international strukturierten „Wertschöpfungsketten“, besser Ausbeutungsketten, wie beispielsweise Apple, Nike oder Wal­mart, die sich auf diese Weise hohe Anteile des global erzeugten Mehrwerts aneignen können und die nun mit ihren niedrigen Preisen stark deflationär insbesondere auf die inländische Lohnstruktur und somit auf die Kaufkraft wirken. Die Verlierer sind das „Main Street“ (Hauptstraße) genannte, normale urbane Leben, die lokalen und regionalen Produktionsstätten, der Mittelstand, die kleinen Geschäfte, eben der weit überwiegende Teil, die „99 Prozent“ der US-amerikanischen Gesellschaft, die der Billigkonkurrenz der asiatischen „Sweatshops“ unterlegen sind. Von der ehemals so stolzen industriellen Basis sind die rostig-verfallenden Industriegürtel der ehemals so stolzen industriellen Basis, als Symbole des Verfalls des „American Dream“ übrig geblieben.

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Nationalökonomisch betrachtet waren die Profiteure des globalen Goldrausches nach 1989 vor allem Länder wie die VR China und die Bundesrepublik Deutschland. Während China von der Bereitstellung der größten billigen industriellen Reservearmee profitierte, lieferte Deutschland, um im Bild zu bleiben, die Hacken und Schaufeln, das technische Equipment für die Schürfer und die Luxuskarossen für diejenigen, die in den neuen Zentren zu Geld gekommen waren.

Nach fast 30 Jahren Globalisierung (und Krieg um die globalen Ressourcen und die geostrategische Vorherrschaft) ist das ökonomische Potential der „Einzigen Weltmacht“ von etwa der Hälfte der globalen Wirtschaftskraft nach 1945 auf heute etwa ein Fünftel geschrumpft. Die USA sind vom globalen Gläubigerland zum Land mit den höchsten Schulden und der höchsten Auslandsverschuldung abgestiegen.

China baut neue Seidenstraße

Mit der Großen Weltwirtschaftskrise 2007 ff. ist der wichtigste Motor der „Globalisierung“, der schuldenfinanzierte Konsum der USA, wegen Überschuldung ins Stocken geraten. Die Volksrepublik musste ihre exportgetriebene nachholende Industrialisierung auf eher binnenwirtschaftliche Impulse ausrichten. 2013 verkündete Xi Jinping den Plan eines gigantischen eurasischen Wirtschafts-, Handels- und Infrastrukturprojektes, einer „Neuen Seidenstraße“ zu Wasser und zu Lande, kurz „One belt one road“ (OBOR). OBOR ist für die Teilnahme von 60 Staaten projektiert und soll ein Volumen von 8 oder mehr Billionen US-Dollar umfassen. Es ist leicht erkennbar, dass OBOR in Washington alle Alarmglocken hat klingeln lassen. Nach Zahlen des Hongkonger Brokerhauses CLSA hat China allein 2015 etwa 1,6 Billionen Dollar in die Infrastruktur investiert. 2016 lagen die gesamten Bruttoanlageinvestitionen bei 8,7 Billionen Dollar bei einer Kreditvergabe von 1,83 Billionen Dollar. Dagegen wirken Trumps Pläne, 1 Billion Dollar in 10 Jahren in die Infrastruktur zu investieren, doch eher bescheiden.

Während die Billigproduktion in ärmere Länder weiterzieht, hat die Konsequenz der staatlich dirigierten industriellen Nachrüstung Chinas dazu geführt, dass das Land nun zum Konkurrenten der etablierten kapitalistischen Staaten, auch des Ausrüsters Bundesrepublik, geworden ist, ja diese in vielen Bereichen weit überflügelt hat. Im alten Kampf um Technologieführerschaft hat nun auch die Volksrepublik den Hut in den Ring geworfen.

Die deutsche Führung hat versucht mit einer Strategie der Arbeitskraftverbilligung, des Substanzverzehrs bei Infrastruktur und Bildung, der Ausverkaufsstrategie der Austerität ihr Terrain zu halten und auszubauen. Und sie hat diese Strategie auch Europa und der Eurozone aufgezwungen. Mit katastrophalen Folgen.

Mit Donald Trump ist nun jemand ins Amt gekommen, der die sozioökonomischen und geostrategischen Folgen dieses Prozesses aus der Perspektive der nationalen US-Bourgeoisie nicht nur benennt, sondern auch den Willen erkennen lässt, die Spielregeln zu ändern. Die Formel „Freihandel oder Protektionismus“ ist dabei eine Scheinalternative. Es geht immer um die Durchsetzung der günstigsten Konditionen für die Profitinteressen der jeweils herrschenden Kapitalfraktionen. Real ist es immer eine Mischung von beidem. Auch jetzt hindert der Kampfruf „Freihandel“ die imperialistischen Mächte natürlich nicht daran, hart protektionistisch zu agieren, wenn bestimmte Profitinteressen durch ausländische Konkurrenten bedroht werden. Trump ist angetreten, die Profitinteressen der „Main Street“ stärker zur Geltung zu bringen. Gelingt es ihm, sich damit im republikanisch dominierten Kongress durchzusetzen, könnte es für die exportfokussierte Wirtschaft wie China, aber mehr noch für die hart merkantilistisch, auf eine aggressive Exportausweitung und minimierten Binnenkonsum getrimmte Wirtschaft in Deutsch-Europa fatale Konsequenzen haben. Da wird der Jubel für Xi und das Einprügeln auf Trump wenig helfen. Wenn beide Wirtschaftsgroßmächte, sowohl China als auch die USA, sich stärker auf die Binnenentwicklung und technologische Führerschaft konzentrieren, dürfte sich das Austeritätskonzept des deutschen Imperialismus als ein strategischer europapolitischer Fehler allerersten Ranges herausstellen.

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"Davos im Liebestaumel für Xi", UZ vom 27. Januar 2017



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