Fast sieben Jahre nach der polizeilichen Prügelorgie während des G20-Gipfels in Hamburg haben Polizei und Stadt zumindest in Teilen zugeben müssen, dass die entfesselte Gewalt in einem konkreten Fall „unverhältnismäßig“ war.
Wir erinnern uns: Im Juli 2017 hatten die Herrschenden der G20-Staaten ein riesiges Propaganda-Event in der Hansestadt abgehalten, um der Welt ihre Macht zu demonstrieren. Gekommen waren aber auch zehntausende Demonstrantinnen und Demonstranten, die aus den verschiedensten Gründen gegen die Politik der G20 auf die Straße gingen: gegen zunehmende Armut, Krieg, Umweltzerstörung, Diskriminierung, Repression und einiges mehr. Die Reaktion auf die internationale Protestbewegung waren umfassende Versammlungsverbote und massive Polizeigewalt, die für alle Menschen rund um den Globus sichtbar war. Nur unser heutiger Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), damals Regierender Bürgermeister von Hamburg, behauptete auch nach dem Gipfel noch, es habe keine Polizeigewalt gegeben. Vielleicht konnte er sich aber auch einfach nicht erinnern. Das kommt ja schon mal vor bei ihm und dann fragt irgendwann auch keine Behörde mehr nach.
Drei Mitglieder von Attac ließen sich jedoch nicht abspeisen und führten einen langjährigen Prozess. Denn sie waren ohne Vorwarnung von wild um sich schlagenden Polizisten angegriffen und verletzt worden, während eine Aktion zivilen Ungehorsams zur Blockade von Wegstrecken für die Staatsoberhäupter lief. Die Aktivistinnen und Aktivisten mussten im Krankenhaus behandelt werden. Eine der Klägerinnen trug eine vier Zentimeter große Platzwunde davon, die bis heute sichtbar ist.
Als das Gericht dann ein Jahr später anfing zu arbeiten, wollte die Polizei – wenig verwunderlich – keine Stellungnahme abgeben. Stattdessen sollten die polizeiinterne Ermittlungsstelle und die Staatsanwaltschaft tätig werden. Zugleich wurde das Verwaltungsgericht untätig, um die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten, bevor es Rechtswidrigkeit und mögliche Schadenersatzansprüche prüfen wollte. Wie so oft, wenn gegen Polizei oder rechte Schläger ermittelt werden soll, passierte dann ganz lange nix. Nach drei Jahren stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, weil sie die Täter auf den Videos nicht habe ermitteln können. Eine Öffentlichkeitsfahndung oder Razzien wie bei den Demonstrierenden hatte es aber nicht gegeben.
Auch das Verwaltungsgericht erwachte nicht aus dem Schlaf, bis Attac im August 2022 eine Untätigkeitsbeschwerde einlegte. Daraufhin schlug das Gericht einen Vergleich vor. Das Gericht äußerte „erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ der Gewaltanwendung ohne Vorwarnung. Es käme auf die Frage an, warum es der Polizei nicht möglich gewesen sei, die Demonstration auf friedlichem Wege aufzulösen, bevor sie losprügelte. Die Polizei hatte argumentiert, eine Androhung von Gewalt sei aufgrund der Dynamik der Situation nicht möglich gewesen, deshalb habe sie die Demo mit Gewalt „aufstoppen“ müssen. War die Überforderung der Polizei selbstverschuldet? Diese Frage zu klären, hätte ein riesiges Fass aufgemacht und da wäre es interessant geworden. Die Hamburger Polizei hätte ihre gesamte Einsatzplanung zum Gipfelevent offenlegen müssen. Das hätte aber sicher wieder Jahre gedauert.
Für so ein umfangreiches Verfahren seien in absehbarer Zeit allerdings keine Termine frei, soll der Richter den Betroffenen signalisiert haben. Schließlich nahmen die drei Geschädigten den Vergleich an. Völlig verständlich angesichts der jahrelangen Zermürbung, aber auch schade. Wer weiß, was da zumindest in Teilen noch ans Licht gekommen wäre. Es ist einerseits ein Erfolg, weil es ein Schuldeingeständnis von Stadt und Polizei darstellt, sich auf den Vergleich und die Schadenersatzzahlung einzulassen. Aber es ist auch ein Trostpflaster in Gesamthöhe von 1.600 Euro, während die Schläger und die politisch Verantwortlichen ein weiteres Mal durchkommen.
Unser Autor ist Bundessprecher der Roten Hilfe e. V.