Größte Gefahr für Grund- und Freiheitsrechte geht von etablierter Politik und den Behörden aus

Dauerangriffe auf Verfassung

Von Markus Bernhardt

Grundrechte-Report 2017 – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland.

Herausgeber: Till Müller-Heidelberg, Elke Steven, Marei Pelzer, Martin Heiming, Cara Röhner, Rolf Gössner, Julia Heesen und Arthur Helwich.

Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, Juni 2017, 224 Seiten, 10.99 Euro

Am Verfassungstag, dem 23. Mai, haben acht deutsche Bürger- und Menschenrechtsorganisationen den neuen Grundrechte-Report vorgestellt. Der Bericht listet in 41 Beiträgen verschiedener Autorinnen und Autoren die Defizite in der Anerkennung und Durchsetzung einzelner Grundrechte in der Bundesrepublik auf. Zu den Themen des diesjährigen Grundrechte-Reports zählen die zahlreichen „Verschlimmbesserungen“ in der Anerkennung bzw. Abweisung von Geflüchteten, die der Gesetzgeber nach dem kurzen „Sommer der Migration“ in Gang setzte, ebenso wie diskriminierende Praktiken aufgrund des Geschlechts, der Herkunft oder anderer Merkmale. Einen breiten Raum nehmen auch die zahlreichen neuen gesetzlichen Beschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, des Post- und Fernmeldegeheimnisses sowie rechtsstaatlicher Grundprinzipien ein, die immer häufiger mit der Notwendigkeit sicherheitspolitischer Maßnahmen und der Terrorbekämpfung begründet werden.

Der diesjährige Grundrechte-Report wurde am Dienstag von dem Journalisten und Leiter des TV-Magazins Monitor, Georg Restle, vorgestellt. Er appellierte angesichts der negativen Bilanz des Reports daran, die Werteordnung unserer Verfassung nicht aus dem Blick zu verlieren. „In einer Zeit, in der Sicherheit über allem steht, gerät die Freiheit in Gefahr. Wie selten zuvor in der Geschichte des Grundgesetzes stehen Grundrechte in diesem Land unter Druck. ‚In dubio pro libertate‘ wurde abgelöst durch ‚in dubio pro securitate‘: Im Zweifel für die Sicherheit“, kritisierte er.

Tatsächlich liefert auch der Grundrechte-Report 2017 eine erschreckende Chronik der Einschränkung von Bürger- und Menschenrechten. „Wir hoffen die gesellschaftliche Debatte ein wenig beeinflussen zu können. Dass wir den Sicherheitswahn der etablierten Politik nicht nachhaltig verändern, zeigt die gesetzgeberische Hektik im innen- und rechtspolitischen Bereich, mit der seit Dezember 2016 wieder ein Gesetz nach dem anderen verabschiedet wird. Dagegen wäre eine breite bürgerliche Bewegung notwendig, die den Protest auch auf die Straße trägt“, sagte Elke Steven, Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V. in Köln, anlässlich der Vorstellung des Grundrechte-Reports.

Ein besonderer Schwerpunkt des diesjährigen Berichtes sind zahlreiche Einschränkungen sozialer Grundrechte, etwa bei der lückenhaften Umsetzung des Mindestlohns, der Ungleichbehandlung durch die Erbschaftssteuerreform oder die Kostenvorbehalte im Bundesteilhabegesetz. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Redaktion den Gefangenen. So prangert Martin Singe etwa den Zynismus einer „aufgeschobenen Inkraftsetzung“ von § 190 ff Strafvollzugsgesetz an, das seit 1977 eine gesetzliche Rentenversicherung für Gefangene vorschreibt. Sie führt dazu, dass Gefangene zusätzlich zur menschenunwürdigen Bezahlung ihrer Arbeit weit unterhalb des Mindesteinkommens auch noch dadurch bestraft werden, dass ihr Verdienst nicht in die Rentenversicherung einfließt – also Altersarmut vorprogrammiert ist. „Die Begründungen für die Verweigerung dieser Sozialstandards sind so verschieden wie widersprüchlich und belegen vor allem eines: dass sich Bund und Länder wechselseitig aus der Verantwortung stehlen wollen“, konstatiert Singe.

Vanessa Hellmann berichtet von der verweigerten Substitutionstherapie für einen Langzeit-Drogenabhängigen im bayerischen Strafvollzug, die den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beschäftigte. Auf eine weitere Entrechtung von Gefangenen macht Kirsten Drenkhahn aufmerksam: Sie geht der Frage nach, ob Gefangene eine Gewerkschaft gründen und betreiben dürfen.

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"Dauerangriffe auf Verfassung", UZ vom 26. Mai 2017



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