Die US-Regierung will mit den Memoiren des Whistleblowers Edward Snowden große Kasse machen

Datendiebe langen zu

Von Rüdiger Göbel

Edward Snowden

Permanent Record: Meine Geschichte

Verlag S. Fischer

432 Seiten, 22 Euro.

Edward Snowden ist mit seinen Enthüllungen über die ungeheuren Massenüberwachungsprogramme des US-Geheimdienstes NSA und seines britischen Pendants GCHQ im Jahr 2013 nicht nur der bekannteste und bedeutendste Whistleblower unserer Zeit. Mit seiner gerade erschienen Autobiographie „Permanent Record. Meine Geschichte“ ist er über Nacht jetzt auch zum Bestsellerautor avanciert. Das persönlich gehaltene und durchweg hochpolitische Buch ist am 18. September erschienen. In zahlreichen großen Medien sind zum Verkaufsstart ausführliche Interviews mit Edward Snowden erschienen, die sich zwischenzeitlich so spannend lesen wie das Buch selbst, etwa wenn das Team beim „Deutschlandfunk“ feststellt, dass sich in das Videogespräch mit dem Autoren eine dritte, unbekannte Stelle eingehackt hat. Oder wenn Edward Snowden gegenüber den Kollegen des „Spiegel“ trocken bemerkt: „Sollte ich jemals aus dem Fenster fallen, dann seien Sie sicher: Ich wurde geschubst.“

Kräftig Werbung für das Buch hat ausgerechnet die US-Regierung gemacht – sie beansprucht die Einnahmen ihres früheren Geheimdienstmitarbeiters aus dessen Memoiren für sich. Das Justizministerium hat eine entsprechende Zivilklage bei einem US-Bundesgericht gegen Snowden, der seit sechs Jahren im Exil in Russland lebt und sich um ein Folgeasyl in einem Land der EU bemüht, eingereicht. Zurück in die USA kann er nicht, dort gilt er wie der Wikileaks-Gründer Julian Assange als Staatsfeind. Nach seinen weltweit für Aufsehen sorgenden Enthüllungen über die Abhör- und Datendurchleuchtungsprogramme von CIA, NSA und Co. soll ihm wegen Spionage der Prozess gemacht werden. Ihm droht – wie Julian Assange im Fall seiner Auslieferung an seine Häscher in den USA – eine jahrzehntelange Haft, wenn nicht gar die Todesstrafe.

Die Klage des US-Justizministerium ist so dreist wie existenzgefährdend. Snowden habe mit seinem Buch als ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter gegen seine einst bei den US-Geheimdiensten unterzeichneten Vertraulichkeitsvereinbarungen verstoßen, heißt es zur Begründung. Auch sei er verpflichtet gewesen, sein Buch seinen früheren Arbeitgebern CIA und NSA vor der Veröffentlichung zur Überprüfung – und gegebenenfalls Schwärzung – vorzulegen. Das Justizministerium erklärt weiterhin, mit seiner Klage die Verbreitung des Buches nicht stoppen zu wollen. Die Datendiebe wollen vielmehr selbst Kasse machen. Alle für Snowden bestimmten Einnahmen aus dem Buch sollen an das Ministerium selbst fließen. Kommt es damit durch, finanzieren die Leser von „Permanent Record“ ausgerechnet die US-Regierung von US-Präsident Donald Trump. Weiterer Spin in der irren Geschichte: Mit Hilfe ihrer globalen Überwachungsprogramme können die US-Dienste leicht feststellen, wer das Buch ihres prominenten Kritikers gekauft hat, so das Buch bei einem Online-Anbieter bestellt oder im Laden mit Karte bezahlt wurde. Über Lesegeräte kann verfolgt werden, wer wie lange und wie viel gelesen hat … Das soll und darf freilich niemanden von der aufklärerischen Lektüre abhalten.

Edward Snowden beschreibt seine Geschichte. Seinen Werdegang und seine Beweggründe dafür, die unglaublichen Überwachungspraktiken der US-Geheimdienste zu enthüllen. Es liest sich wie ein Agententhriller, wie aus dem staatstreuen IT-Systemingenieur mit „Top Secret“-Freigabe ein Whistleblower wird, der das Imperium bloßstellt, wie er die Tausenden Seiten Geheimmaterial mit Hilfe eines Zauberwürfels aus dem „Tunnel“ geschmuggelt hat, einer ehemaligen kilometerlangen unterirdischen Röhre aus Stahlbeton unter einem Ananasfeld auf der Hawai-Insel Oahu, die zu einer NSA-Einrichtung umgebaut worden war – und natürlich, wie er sich mit dem publizistischen Sprengstoff nach Hongkong absetzte und mit den Journalisten Glenn Greenwald und Ewen MacAskill Geschichte schrieb.

Edward Snowdens Enthüllungen waren mutig und der Whistleblower ist in den vergangenen Jahren zurecht vielfach geehrt worden, unter anderem mit dem Alternativen Nobelpreis, den Ridenhour Prize for Truth-Telling und der Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte. Mit der Veröffentlichung der globalen Abhörprogramme hat Edward Snowden sein ganzes bisheriges Leben aufgegeben, seine Familie wie die Frau, die er liebte. Letztere ist schließlich zu ihm ins russische Exil gekommen und hat ihn geheiratet. Ihre endlosen Geheimdienstbefragungen nach Snowdens Enthüllungen und die medialen Verleumdungskampagnen, wonach sie wahlweise eine Stripperin oder Hure war, werden in dem Buch durch Auszüge aus damaligen Tagebucheintragungen dokumentiert.

Edward Snowden selbst weist so eloquent wie entschieden die Vorwürfe zurück, er arbeite für die russischen Dienste. In das Russland-Bashing selbst stimmt er nicht ein. Auf die „Spiegel“-Frage, ob der Westen recht habe, wenn er Russland regelmäßig zu einem der größten Schurken der digitalen Sphäre erkläre, sagte Snowden: „Russland ist für sehr viele verurteilenswerte Aktivitäten in der Welt verantwortlich. Hat es Wahlen manipuliert? Ziemlich sicher. Aber haben die USA Wahlen manipuliert? Natürlich. Das tun sie seit Jahrzehnten. Jedes Land, das größer ist als Island, wird versuchen, in entscheidende Wahlen einzugreifen, und alle werden das immer leugnen, weil Geheimdienste das so machen.“

Edward Snowden

Permanent Record: Meine Geschichte

Verlag S. Fischer

432 Seiten, 22 Euro.

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"Datendiebe langen zu", UZ vom 4. Oktober 2019



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