Psychotherapeuten boykottieren die Telematik-Infrastruktur

Daten für alle

Von Claudia Reimer

Ab 1.1.2019 müssen nach dem „e-health“-Gesetz alle Daten von Psychotherapeuten zwingend an die Krankenkassen gehen. Jetzt wehren sich Psychotherapeuten vom Arbeitskreis Psychotherapie Schwalm-Eder dagegen und haben einen Aufruf, den man unterschreiben kann, veröffentlicht. Sie sehen die Sicherheit für Patienten und Therapeut mit dem neuen Telematik-Verfahren nicht mehr gewährleistet. Den Aufruf kann man auf news.dkp.de herunterladen und unterschreiben.

Ab dem 1. Januar 2019 sollen alle Arztpraxen ans Netz der Krankenkassen angeschlossen werden. Die Technik hierfür heißt Telematik-Infrastruktur (TI), die durch „super sichere Maßnahmen“ nur befugten Personen das Lesen der doch sehr intimen Daten erlauben soll. Notärzte hätten dann sofort alle Hintergrund-Daten parat. So die Befürworter.

Das e-health-Gesetz fordert die Umstellung auf die elektronische Übermittlung von Befunden, Diagnosen, Therapieempfehlungen, Behandlungsberichten und Unterlagen in Genehmigungsverfahren unter den Leistungserbringern und den Krankenkassen. Laut SGB V, § 67 soll die papiergebundene Kommunikation zur Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit ersetzt werden.

Das bedeutet, dass alle Akteure im Gesundheitswesen alles lesen können von den Kollegen. Wer noch? Die Arzthelferinnen, die Reha-Kliniken, die IT-Fachleute? Sehr wahrscheinlich, geht es im Arbeitsalltag gar nicht anders. Auch noch das Versorgungswerk oder der MDK? Hätte Sinn.

Ob man seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden möchte, wird man dann nicht mehr gefragt. Wer alles die Diagnosen und Berichte liest ist unkontrollierbar. Und jedes System ist hackbar und keine Praxis kann sich wirklich effektiv vor einem Einbruch schützen.

Was nützt es dem Notarzt, wenn er weiß, dass sein Herzinfarktpatient auch unter Panikattacken leidet? Könnte für den Patienten kritisch werden, wenn sein Notarzt nach gründlichem Lesen der Krankenakte meint, es wäre alles „nur psychisch“. Spaß beiseite, psychologische Daten gehören nicht ins Netz. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Daten in der Cloud landen. Die App für den Arbeitgeber ist ein Horrorszenario, aber eins, mit dem wir rechnen müssen. Wer je die Diagnose „rezidivierende Depression“ bekommen hat, wird dann wahrscheinlich gar nicht mehr fest eingestellt. Er gilt als nicht belastbar. Noch schlimmer sieht es bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen aus. „Medizindaten sind auf der ganzen Welt zunehmend ein Geschäftsfeld“, schreiben die Ärzte auf „stopp die e- health card“, dem Kernstück der TI. Nur hat die e- card inzwischen jeder im Portemonnaie.

Ärzte müssen derzeit einmal im Quartal der Kassenärztlichen Vereinigung unsere Daten für unsere Abrechnung übermitteln. Darin stehen die Diagnosen und die Behandlungstermine. Das können wir nicht mehr verhindern. Wir können nur unseren PatientInnen, die noch auf den ersten Arbeitsmarkt wollen, eine leichte Diagnose geben. Aber: mit dem Boykott der TI aktualisieren wir nicht mehr stündlich, fragen weiterhin unsere PatientInnen, ob wir ihren Hausarzt unterrichten dürfen, Überlegen vor der Quartalsabrechnung noch einmal die Diagnose und schreiben nicht irgendwelche Befunde, Verlängerungsgutachten etc. ins Netz. Darüber hinaus sind die Daten für Arbeitgeber weniger wert, je unvollständiger sie sind.

Der Arbeitskreis Psychotherapie Schwalm-Eder will seine PatientInnen nicht dieser Gefährdung aussetzen. Und uns wollen wir nicht möglichen Regressforderungen aussetzen, wenn unsere Daten sonstwo auftauchen. Das e-health-Gesetz ist eine Soll-Bestimmung, keine Muss-Bestimmung. Damit sind wir in der Verantwortung.

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"Daten für alle", UZ vom 13. April 2018



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