Franz Josef Degenhardt, ein politischer Künstler

Dass das nicht solche Geschichten bleiben

Von Andreas Grimm

Zur politischen Arbeit und Weiterbildung gehört auch die Auseinandersetzung mit dem politischen Lied. Mit dieser Überlegung hat die DKP Stuttgart am 30. 10. einen Franz-Josef Degenhardt-Abend veranstaltet, in dessen Mittelpunkt Interpretation und Diskussion standen. Er selbst hat 1967 die „Mischung aus rationalen und affektiven Momenten“ als „prädestiniert, intellektuelle Unzufriedenheit zu artikulieren“, markiert.

Franz Josef Degenhardt

Franz Josef Degenhardt

( Thomas Range)

Leider gehört es zum Repertoire der bürgerlichen Medien, Degenhardt auf sein vermeintlich harmloses „Schmuddelkinder“-Stück zu reduzieren. Dabei darf jedoch der Sozialdarwinismus als Bestandteil des bürgerlichen Selbstverständnisses nicht verkannt werden, der nicht etwa eine alte Erscheinung der verkrusteten Nachkriegsgesellschaft ist. Das Aufmarschieren „besorgter“ Bürger im Schulterschluss mit Nazis speist seine Salonfähigkeit aus eben dieser gefeierten Politik der Mitte.

Dazu gehört die Auseinandersetzung mit den Formen des Widerstands im Dritten Reich, die in der anerkannten Tunnelblicköffentlichkeit neoliberaler Provenienz verschwiegen werden. Das jährliche Hochjubeln der Stauffenberg-Gruppe, deren Widerstand erst stattfand, um nach verlorenem Krieg moralisch auf der richtigen Seite zu stehen, lässt den Jugendwiderstand der „Edelweißpiraten“ verschwinden. Der homosexuelle „Nevada Kid“ wird nach allen Lebensgefahren, die mit Widerstand gegen das NS-Regime verbunden sind, von der Nachkriegsjustiz gerichtet. Kaum erstaunlich, nachdem in den Roben der halbe Volksgerichtshof steckt. Entsprechend heißt es in dem Lied: „Für eine Zeitlang warst du Held, dann warst du wieder kriminell, zu warm dein Freund, zu kalt der Krieg.“

Der Widerstand bleibt notwendig gegen den ubiquitären Imperialismus in den Jahren des Vietnam-Kriegs. Bei der Diskussion dieses Stückes hat sich besonders die Wichtigkeit des Erfahrungshorizontes älterer Genossen gezeigt. Die Geschichte des Deserteurs „P. T. aus Arizona“, der es sich in einem Puff in Karlsruhe gutgehen lässt und „sich grinsend ein Stück Käse in den Mund“ steckt, wenn er im Radio hört, „wieviel GIs täglich fallen“, ist letztlich, was sich aus einer rein werkimmanenten Interpretation nicht erschlossen hätte, ein chiffrierter Ratschlag an potenzielle Deserteure, wohin sie sich wenden können, um der Vietnam-Hölle zu entgehen.

Auch der selbstkritische Blick auf die kommunistische Haltung kommt zum Tragen. Das Stück „Mit aufrechtem Gang und menschlichem Antlitz“ behandelt zwei verschiedene Vorstellungen des politischen Kampfes und es fällt schwer, dabei eindeutig Position zu beziehen. Ein Genosse nimmt im Klassenkampf alle Risiken auf sich bis hin zu erlittener physischer Gewalt, auch sinnbildlich auffassbar als Kampf mit offenem Visier in der Hochzeit der Berufsverbote Mitte der 70er Jahre. Sich nicht vor dem Klassengegner maskieren, den Entzug der Existenz riskieren und damit der Absicht des Radikalenerlasses nicht zu entsprechen ist der eine Weg „vorwärts und meistens geradeaus“. Der andere Genosse hingegen will sich nicht „deformieren“ lassen, den Sieg „mit krummen Rücken und gebrochenen Nasen“ feiern, und „betet“ lediglich die „Schriften der Klassiker“ zum Götzendienst für den „dritten Weg“, der hingegen nur im Kreis verläuft. In der Diskussion boten sich mehrere Interpretationsansätze an. Klassenkampf ohne Schaden zu nehmen, das Theoriendrechseln in der geschützten akademischen Hermetik. Dieser taktierende Weg kann schließlich zum „Wildledermantelmann“ führen, der sich wie ein „Aal […] am Berufsverbot knapp noch eben vorbeige-schlängelt“ hat. Der APO-Genosse auf den zwei Gleisen, „unter Polizeiknüppeln damals“, später sozial-liberal, dessen Lebensmittelpunkt nun „Zweierbeziehung“ und „das ganze Sozio-Psycho-Gelaber“ bilden, den aber „die Sprache noch immer verrät“.

Dieser Abend hat einmal mehr verdeutlicht, dass dem heutigen eskapistischen „Liedermaching“, ohne über eine Reflexion hinauszukommen, konkrete Bezüge zu heutigen Verhältnissen entgegenzusetzen wären. Statt affirmativer Systemkritik müssen über den Zugang der Musik in die menschliche Seele Ross und Reiter des Imperialismus wieder beim Namen genannt werden.

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"Dass das nicht solche Geschichten bleiben", UZ vom 16. November 2018



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