Der Dezember ist traditionell der Monat der Haushaltsdebatten. Viel Geld dürfte es in den allermeisten Kommunen allerdings nicht zu verteilen geben. Einer aktuellen Befragung der Beratungsgesellschaft EY zufolge sind 70 Prozent der Städte und Gemeinden zur Erhöhung von Steuern und Gebühren gezwungen. Insbesondere die Wasserversorgung und die Müllabfuhr werden vielerorts teurer. Ein Viertel der befragten Kämmereien gab an, dass es zu Einschnitten bei den kommunalen Leistungen kommen werde. So weit, so schlecht, so bekannt.
Doch nicht alle Gemeinden nagen am Hungertuch. Wie im Kapitalismus üblich, hat jede Krise ihre Gewinner. Zu den größten Pandemiegewinnlern zählt in Deutschland zweifellos das Pharmaunternehmen BioNTech. Die Milliardengewinne des Impfstoffkonzerns bescheren auch einigen Kommunen Gewerbesteuereinnahmen in Rekordhöhe. Werfen wir einen Blick auf die BioNTech-Standorte. In Idar-Oberstein wird im Jahr 2021 mit einem Haushaltsüberschuss von 100 Millionen Euro gerechnet. Marburg erwartet Mehreinnahmen von etwa 370 Millionen Euro. Die Stadt Mainz schießt den Vogel ab: Der Überschuss für das laufende Jahr beträgt 1,09 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Ursprünglich hatte die Stadt mit einem Haushaltsdefizit von 36,7 Millionen Euro geplant.
Die Geschichte vom „Geldsegen“ („Frankfurter Allgemeine“) machte schnell die Runde. Selbst die sonst eher trockene Fachzeitschrift „Der Neue Kämmerer“ ließ sich mitreißen und titelte: „Das Wunder von Mainz“. Die Reaktionen zeugen vor allem von einer niedrigen Erwartungshaltung. Ein milliardenschwerer Konzern versteuert seine Gewinne im Inland? In Deutschland offenbar kein selbstverständlicher gesellschaftlicher Anspruch, sondern ein „Segen“ oder „Wunder“. Die quasireligiöse Verehrung dieses Vorgangs setzte sich auch in der Mainzer Stadtpolitik fort. Als wäre der heilige Geist der Pharmaindustrie in die Stadtoberen gefahren, wurde zusammen mit der frohen Botschaft gleich eine neue Agenda verkündet. Das Ziel von Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) und der grün-rot-gelben Ratsmehrheit: weitere Wundertaten provozieren und aus dem Geld noch mehr Geld machen. Deshalb soll nun auf 30 Hektar städtischer Flächen ein „Biotechnologie-Campus“ entstehen. Eine neue internationale Schule und ein kommunales Wirtschaftsförderunternehmen sind in Planung. „Schafft zwei, drei, viele Biontechs – oder wenigstens ein richtig großes“, scheint das Gebot der Stunde. Damit das auch gut klappt, wird der Gewerbesteuerhebesatz von 440 auf 310 Punkte gesenkt. Mainz entwickelt sich mit einem Schlag von einer hochverschuldeten Kommune zur Top-Steueroase unter den deutschen Großstädten.
Die Stadt verschenkt mit dieser Entscheidung knapp 350 Millionen Euro im Jahr 2022 an die örtlichen Unternehmen. Geld, das dem kommunalen Raum und der öffentlichen Hand verloren geht. Mitten in der Krise verschärft Mainz die Konkurrenz und versucht, im erbitterten Wettstreit um „Standortfaktoren“ die Oberhand zu behalten. Das Kapital verspricht segensreiche Investitionen, während sich die noch handlungsfähigen Kommunen gegenseitig totschlagen, um die niedrigsten Steuern, die schönsten Privatschulen und die größten Flächen feilzubieten. Die Stadt Mainz macht den Kniefall perfekt und verleiht den BioNTech-Gründern sogar die Ehrenbürgerschaft. Aber wofür eigentlich? Für den Impfstoff, der mit öffentlichen Subventionen entwickelt wurde und seitdem als privates „geistiges Eigentum“ gehütet wird? Für die geniale Geschäftsidee, in einer weltweiten Pandemie ein Monopol aufzubauen und die reichsten Länder der Welt bevorzugt zu beliefern? Oder vielleicht, ganz vielleicht doch für das milliardenschwere Stück vom Kuchen und die Hoffnung auf einen dauerhaften Platz an der Sonne? Besser, wir spekulieren nicht.