Das wollen wir auch

Olaf Matthes im Gespräch mit Jan von Hagen

Auf dem Pressefest

„Profite pflegen keine Menschen“, Diskussionsrunde zum Thema „Tarifvertrag Entlastung“. Samstag, 15.30 Uhr im Zelt der DKP Rheinland-Pfalz/Saarland. Diskussion mit Michael Quetting (ver.di Saar/Trier), Jan von Hagen (ver.di NRW) und Meike Saerbeck (Krankenpflegerin aus Hamburg).

DKP-Branchentreffen Gesundheit, Erfahrungsaustausch von Beschäftigten im Gesundheitswesen

Sonntag, 10 Uhr bei der DKP Ruhr-Westfalen.

Jan von Hagen, bei ver.di NRW zuständig für Krankenhäuser, hat den Streik an den Unikliniken begleitet und war Mitglied der Kommission, die mit den Klinikvorständen den Vertrag ausgehandelt hat, der nicht Tarifvertrag heißen darf.

UZ: Werden die Kolleginnen und Kollegen an den Unikliniken Düsseldorf und Essen jetzt entlastet?

Jan von Hagen: Wir haben mit dem Vertrag – wenn die Streikenden ihn annehmen – einen Einstieg in die Entlastung geschafft. Aber man darf nicht vergessen: Seit Einführung der Fallpauschalen – der DRGs – ist das Personal in den Krankenhäusern so stark runtergefahren worden, dass selbst 180 zusätzliche Stellen über anderthalb Jahre nicht zu direkter Entlastung führen. Wir haben Systeme für die Personalbemessung ausgehandelt – das ist ein Weg, der in 18 Monaten zu einer deutlichen Verbesserung führen kann.

UZ: Beim Fest der Streikenden am Freitag vergangener Woche war die Rede von „Katerstimmung“ und davon, dass der Vertrag kein Grund zum Jubeln sei. Warum können die Kollegen, die viele Wochen gestreikt haben, sich nicht über die Einigung freuen?

Jan von Hagen: Weil die Differenz zwischen ihren berechtigten Forderungen und dem, was wir gegen die Vorstände durchsetzen konnten, zu groß ist. Und es gibt ein großes Misstrauen darin, was der Vorstand in der Umsetzung aus dem Vertrag machen könnte. Die Kollegen haben die Erfahrung der letzten zehn Jahre, in denen der Vorstand immer wieder Entlastung versprochen und nie umgesetzt hat.

UZ: Wie groß sind die Hintertüren, die der Vertrag den Vorständen lässt?

Jan von Hagen: Verglichen mit allen anderen Regelungen, auch mit dem Tarif der Charité, haben wir die Hintertüren am weitesten zugemacht. Zum Beispiel gibt es klare Verfahren dafür, wann der Arbeitgeber die Leistung reduzieren muss, wenn nicht genug Personal da ist.

Aber vor allem haben wir eine Belegschaft, die zwölf Wochen gestreikt hat, die den Vertrag genau kennt und jetzt für die Durchsetzung kämpfen wird. In dem Vertrag ist geregelt, dass die Kollegen eine Mitteilung kriegen, was ihre Soll-Besetzung ist und wie sie ansteigt durch den Personalaufbau – das heißt, sie können selbst im Team überwachen, ob die zugesagte Soll-Besetzung eingehalten wird und selbst dafür Druck machen. Wenn für den Frühdienst vier Pflegekräfte vereinbart sind, und dann sind nur drei da, geht es darum, dass jedes Team sagt: Hinter diesen Vertrag lassen wir uns nicht zurückwerfen.

UZ: Wie wirkt sich dieser Kampf auf die bundesweite Bewegung für Entlastung aus?

Jan von Hagen: Er hat gezeigt, dass es möglich ist, die Arbeitgeber auch zu weitergehenden Zugeständnissen zu zwingen. Und er hat gezeigt: Die heilige Grenze der Kapitalseite – die unternehmerische Freiheit, die Entscheidung: Wo gehen Personal und Ressourcen hin? – dass es möglich ist, diese Grenze zu knacken. Denn der Arbeitgeber kann nicht selbst entscheiden, wo die 40 zugesicherten Kräfte außerhalb der Pflege eingestellt werden – er muss sich mit dem Personalrat einigen und im Zweifel mit ver.di verhandeln.

Bis nächste Woche stimmen die Kollegen der Uniklinik Saar darüber ab, ob sie streiken werden. Nach der Charité gibt es nun mit Düsseldorf und Essen zwei neue Leuchttürme im Kampf für Entlastung, da werden andere Belegschaften sagen: Das wollen wir auch.

UZ: Was können Gewerkschafter für künftige Kämpfe von den Streikenden an den Unikliniken lernen?

Jan von Hagen: Wir können Kämpfe dann langfristig und mit massiver wirtschaftlicher Wirkung führen, wenn es die Belegschaften sind, die die Kämpfe gestalten, selbst konkret die Forderungen formulieren und auch mit Fragen und Konflikten selbst und solidarisch umgehen, wenn die Kämpfe nicht von der Gewerkschaft für die Belegschaft übernommen werden.

ver.di hat sich auf die Fahnen geschrieben, dass es stärkere und selbsttragene betriebliche Strukturen geben soll und das Ganze weniger von hauptamtlichen Sekretären abhängen darf. Diese kulturelle Veränderung äußert sich in theoretischen Diskussion, sie ist aber auch in den aktuellen Kämpfen erlebbar. Insofern haben die Streikenden der beiden Unikliniken nicht nur Arbeitgeber und Politik bewegt, sondern auch ver.di einen Weg gezeigt, wie man wieder in offensive Kämpfe einsteigen kann und nicht in Verteidigungskämpfen verharren muss.


Aus dem Schlichtungsergebnis für die Unikliniken in Essen und Düsseldorf

An beiden Unikliniken werden jeweils 180 Vollkraftstellen zusätzlich geschaffen, aufgeteilt in 140 Vollkraftstellen für die Pflege am Bett und im Funktionsdienst (etwa OP) sowie 40 Vollkraftstellen in anderen Bereichen (etwa Krankentransport). Davon werden 50 Stellen noch im Jahr 2018, weitere 65 Stellen zum 30. Juni 2019 sowie weitere 65 Stellen zum 31. Oktober 2019 geschaffen.

Die Kliniken führen zudem verpflichtend 30 Personalbedarfsermittlungsverfahren für alle Pflegeorganisationsbereiche ein, mit denen Regelbesetzungen für jede Schicht bestimmt werden. Bei absehbarer drohender Unterschreitung der Soll- bzw. Regelbesetzungen müssen die Kliniken Springer einsetzen oder weniger Patienten neu aufnehmen.

Kann bei kurzfristigem Personalausfall innerhalb von drei aufeinanderfolgenden Schichten oder drei Schichtarten an drei aufeinanderfolgenden Tagen kein Ersatz bereitgestellt werden, sind Patientenverlegungen, Abbestellungen von Patienten bzw. Bettenschließungen bzw. weniger OPs zu veranlassen. Für die Ausbildung gilt: Auszubildende werden im Dienstplan zusätzlich geplant und sind nicht auf die Regelbesetzung der Pflegefachkräfte anzurechnen, und für alle Auszubildenden ist eine direkte Zusammenarbeit unter Aufsicht einer Fachkraft des angestrebten Ausbildungsberufes sicherzustellen.

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"Das wollen wir auch", UZ vom 7. September 2018



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