Der rote Mars: Geschichte, Utopien, Projekte, Widersprüche

Das weiß niemand …

Von Nina Hager

Begriffserklärungen

*autotrophe, chemotrophe und/oder chemolithotrophe Mikroorganismen:

Autotrophe Organismen benötigen zu ihrer Ernährung keine organische Substanz, sondern vermögen selbst aus anorganischen Stoffen organische aufzubauen …,

Chemotrophe gewinnen die nötige Energie für ihren Stoffwechsel aus chemischen Reaktionen von Stoffen, die sie aus der Umgebung aufnehmen

Chemolithotrophe leben von der Oxidation anorganischer Substrate

Aphel ist der Punkt auf der Umlaufbahn eines Planeten oder Kometen um die Sonne, an dem er am weitesten von der Sonne entfernt ist.

Perihel ist der Punkt auf der Umlaufbahn eines Planeten oder Kometen um die Sonne, an dem er der Sonne am nächsten ist.

Terraforming. Umformung von anderen Planeten in bewohnbare erdähnliche Himmelskörper mittels zukünftiger Techniken.

Das, was hier folgt, ist keine Weihnachtsgeschichte. Die Marsprojekte sind es auch nicht: Mit jedem Überflug, mit jeder Landung erfahren wir mehr über unseren Nachbarplaneten – und damit mehr über uns selbst, über die Entstehung und Entwicklung unseres Sonnensystems. Kein anderer Planet in unserem Sonnensystem hat die Phantasie der Menschen über viele Jahrhunderte bis zum heutigen Tag so beschäftigt. Sonden und Rover haben seit 1960 viele neue Daten zur Erde gesandt. 1964 übermittelte eine NASA-Sonde erste Fotos von einem nahen Vorbeiflug …

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( public domain)

Im Kapitel seines Buches „Unser Kosmos“ (Droemer-Knauer 1980) über den Mars schrieb der Astronom Carl Sagan: „Vor vielen Jahren soll ein berühmter Zeitungsverleger einem namhaften Astronomen telegrafiert haben: ERBITTEN UMGEHEN RP-TELEGRAMM 500 WORTE OB LEBEN AUF DEM MARS. Pflichtschuldig kabelte der Astronom zurück: WEISS NIEMAND, WEISS NIEMAND, WEISS NIEMAND … zweihundertundfünfzig mal“ (S. 118). Sagan nannte dieses Kapitel, in dem er die bisherige Geschichte der Erforschung unseres Nachbarplaneten beschrieb und auch – sehr kritisch – Ideen für ein „Terraforming“* (Erklärung s. Kasten) des Mars analysierte, „Blues für einen roten Planeten“.

Die NASA-Marsrover „Curiosity“ und „Opportunity“ („Opportunity“ ist bereits seit 2004 auf dem Planeten, „Curiosity“ seit 2012) suchen seit Anfang 2014 nach Anzeichen für Leben auf dem Mars. Gemeint sind vor allem autotrophe, chemotrophe und/oder chemolithotrophe Mikroorganismen* (s. Kasten). Gesucht wird nach Wasser und Wasser-Reservoirs sowie nach Fossilien und ihren organischen Resten. Noch würde auch heute die Antwort auf die Frage, ob es Leben auf dem Mars gibt lauten „WEISS NIEMAND“, aber auch schon sehr bestimmt: „Höheres Leben gibt es auf keinen Fall.“

Wir werden auf dem Mars also weder die Prinzessin aus „John Carter“ noch die Militärs aus dem „Krieg der Welten“ von H. G. Wells antreffen oder die schrägen Komiker aus „Mars-Attacks“, leider aber auch nicht Tweel aus der „Mars-Odyssee“ von Stanley G. Weinbaum oder die Goldäugigen aus Bradburys „Die Marschroniken“. Wenn einmal Schiffe über den Marssand fahren, dann werden sie von Menschen gebaut sein …

Fakten

Unser Nachbar Mars ist neben der Venus der uns nächste Planet. Der Mars ist wohl der einzige Planet in unserem Sonnensystem, zu dem es in den kommenden Jahrzehnten zudem bemannte Expeditionen geben könnte, möglicherweise sogar erste Stationen auf der Oberfläche. Dafür gibt es Gründe.

Die Erde verlor endgültig ihre besondere

Stellung als Mittelpunkt der Welt.

Das war eine Revolution im Denken und

erschütterte zutiefst die alten starren

Glaubenssätze der katholischen Kirche

– und letztlich auch mehr.

Zunächst einmal: Auf dem Merkur, dem sonnennächsten Planeten mit Oberflächentemperaturen auf der sonnenzugewandten Seite von bis zu 430 °C, könnte niemand mit den heute bekannten technisch-technologischen Mitteln längere Zeit „im Freien“ arbeiten. Von der Venus wissen wir, dass sie zwar fast so groß ist wie die Erde, aber eine Atmosphäre hat, deren Zusammensetzung für einen Oberflächendruck von 92 bar sorgt. Dies kommt dem Druck in gut 910 m Meerestiefe auf der Erde gleich. Die Atmosphäre ist für das uns bekannte Leben hochgiftig, ihre Dichte ist an der Oberfläche im Mittel etwa 50-mal so groß wie auf der Erde. Allerdings könnte es dort in der Atmosphäre Leben auf bakterieller Grundlage geben.

Der Mars hat einen Durchmesser, der etwa halb so groß ist wie der Erddurchmesser. Mars ist rund 1,5-mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde.

Man kann aber – anders als bei der Venus – die Mars-Oberfläche beobachten. Mars hat eine Atmosphäre, vereiste Pole, die bereits Giovanni Domenico Cassini im Jahr 1666 beschrieb. Wolken und Sandstürme ziehen über die Oberfläche. In den Tiefen werden begrenzte Wasservorkommen vermutet. Beobachtbare Oberflächenstrukturen deuten darauf hin, dass es hier einmal – zumindest in einigen Jahreszeiten – auch fließendes Wasser an der Oberfläche gab.

Die „Entdeckung“ der Planeten – bewohnbare Welten

Es gibt hervorragende Bücher über die Geschichte der Astronomie und die praktischen Folgen. Auf Sagan habe ich verwiesen, Dieter B. Herrmanns „Entdecker des Himmels“ (Urania-Verlag, Leipzig Jena Berlin 1978, 4. Auflage 1990) wäre ein weiterer Tipp.

Da wird – wie bei Sagan – auch die Frage beantwortet, wie im Laufe vieler Jahrtausende der Beobachtung – vom alten Babylon bis in das 16./17. Jahrhundert – die Erkenntnis wuchs, dass die Erde nur ein Planet unter vielen ist. Wenn es aber andere Planeten ihrer Struktur, ähnlicher Größe gibt, warum sollten die nicht bewohnt sein? Letzteres kann auch heute noch nicht beantwortet werden.

Bereits im alten Babylon konnte man vor vielen Jahrtausenden „Wandelsterne“ (Planeten) von anderen Himmelskörpern unterscheiden. Zu jenen Planeten unseres Sonnensystems, die man damals direkt bestimmen konnte, ohne schon irgendeine naturwissenschaftliche Erklärung geben zu können, gehörten Venus, Jupiter, Mars, Merkur und Saturn.

Genutzt wurden die mittels einfacher Beobachtungen gewonnenen Daten jedoch vorrangig als Herrschaftswissen, um den Aufstieg und Fall der Mächtigen zu beeinflussen. Völlig unklar war, was man denn da beobachtete. Eine wissenschaftliche Erklärung war noch nicht nicht möglich …

Die Ägypter nannten den Mars dann später wegen seiner am Sternenhimmel sichtbaren rötlichen Färbung den „roten Planeten“. Die griechischen Stoiker erstellten Jahrhunderte später bereits eine Liste der bekannten „Planeten“. Hier, wie zuvor in Babylon und im alten Ägypten, begann mühsam – mit den Beobachtungen, der Sammlung und Systematisierung von Daten – Wissenschaft.

Schon in der griechischen Antike gab es zugleich Überlegungen über die Vielfalt der bewohnten Welten – eine Idee, die in Europa erst viele Jahrhunderte später wieder aufgegriffen wurde. Die Griechen benannten den vierten Planeten unseres Sonnensystems nach ihrem Kriegsgott „Ares“, bei den Römern hieß der „Mars“. „Mars“ war bei den Römern aber nicht nur Kriegsgott, sondern zugleich auch der Gott der Landwirtschaft.

Erst mit der Erfindung des Fernrohrs – mehr als 1 500 Jahre später –, also einer wissenschaftlich-technischen Innovation in einer Zeit, in der noch viel mehr in Bewegung geriet, wurden so manche Überlegungen der klassischen Astronomie, die bereits im alten Babylon entstanden war, bestätigt: „Auch der Mars war kein Licht irgendwelcher Ahnen am Himmel, kein Zeichen der Götter oder des Krieges, sondern nur ein Planet, der wie die Erde und ihr Mond, wie Merkur, Venus usw. unsere Sonne umkreiste.“ (R. Gilsenbach. Der ewige Sindbad, Berlin 1975, S. 290)

Mit den Entdeckungen und Schlussfolgerungen von Nicolaus Copernicus („Über die Umdrehungen der Himmelskörper“, 1543) und Giordano Bruno (der wegen seiner Überzeugung im Februar des Jahres 1600 auf dem Scheiterhaufen sterben musste), entstand eine neue Situation. Bis dahin hatte die Frage, ob es Leben auf anderen Planeten geben könne, keine Substanz, war reine Spekulation. Die Erde wurde mit den neuen Entdeckungen zu einem Planeten unter vielen anderen. Und Giordano Bruno hatte erklärte: Es gibt eine Vielfalt bewohnter bzw. belebter Welten.

Nur wenige Jahre später machte Galileo Galilei seine astronomischen Entdeckungen. Johannes Kepler erkannte die Gesetze, nach denen sich die Planeten bewegen. Er konnte dabei die Beobachtungen des dänischen Astronomen Tycho Brahe nutzen, der beobachtet hatte, dass der Mars am Aphel* 250 Millionen Kilometer, am Perihel* knapp 210 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ist und sich die Planeten somit nicht in einer exakt kreisförmigen Bahn um die Sonne bewegen.

Die Erde verlor endgültig ihre besondere Stellung als Mittelpunkt der Welt. Das war eine Revolution im Denken und erschütterte zutiefst die alten starren Glaubenssätze der katholischen Kirche – und letztlich auch mehr: Bruno konnte man noch als Ketzer verbrennen, Galileo Galilei einschüchtern – die Entwicklung war aber nicht mehr aufhaltbar …

Im 17. und 18. Jahrhundert gewann die Überzeugung, auf fremden Sternen gebe es Leben, immer mehr Anhänger, zumindest unter den naturwissenschaftlich geschulten Denkern.

Der niederländische Astronom, Mathematiker und Physiker Christian Huygens schrieb um 1690: „Wer diese unsere Erde mit Kopernikus für einen um die Sonne kreisenden und von ihr erleuchteten Planeten hält. kann sich zuweilen der Vorstellung nicht erwehren … auch die anderen Planeten möchten ihr eigenes Gewand, ihre Ausstattung und Bewohner haben wie die Erde …“

Wir wissen längst, dass sich die damaligen Himmelsstürmer irrten. Die Suche nach bewohnten Welten geht weiter. Außerhalb unseres Sonnensystems.

Bald aber kam es damals auch zu neuen Entdeckungen im Hinblick auf den Mars:

– 1636: Der italienische Anwalt und Astronom Francesco Fontana fertigt die erste Zeichnung vom Mars an.

– 1666: Der Italiener Giovanni Domenico Cassini berechnet die Rotationsgeschwindigkeit des Mars

– 1704/1719: Giacomo Maraldi entdeckt die Nordpolkappe auf dem Mars.

– 1784: William Herschel stellt fest, es gibt Jahreszeiten auf dem Mars, der Mars besitzt eine Atmosphäre.

– 1830: Die beiden deutschen Astronomen Wilhelm Beer und Johann Heinrich Mädler erstellen die erste Marskarte.

– 1877: Der italienische Astronom Giovanni Schiaparelli entdeckt „Marskanäle“, feinste Linienstrukturen auf der Marsoberfläche, die auf Canyons und andere Geländestrukturen zurückzuführen sind. Die Entdeckung der „Kanäle“, die natürlich viele Erwartungen wecken und zu Spekulationen führen, erweist sich später als optische Täuschung.

– 1877 entdeckt der US-Astronom Asaph Hall die beiden Marsmonde Phobos und Deimos.

Mittel zur Vorbereitung der Revolution …

Im 17. und Jahrhundert wurden nicht nur die Naturwissenschaftler begeistert von den neuen Entdeckungen. Auch Dichter und Schriftsteller fühlten sich „beflügelt“. Gilsenbach schrieb: „In allen Schilderungen von phantastischen Reisen zum Mond, zur Sonne oder zu anderen Planeten, die in dieser Zeit ersonnen worden sind, begegnen die Weltraumfahrer auf den fremden Himmelskörpern vernunftbegabten Wesen, die meist den Menschen sehr ähnlich sind, nur schöner, gütiger, weiser. 1686 veröffentlichte der französische Schriftsteller Bernard von Fontenelle sein Buch ‚Gespräche von mehr als einer Welt’. In diesem Werk begründete er mit naturwissenschaftlichen Argumenten seiner Zeit die Ansicht, dass jeder Planet des Sonnensystems bewohnt sei.“ (S. 290)

Im Jahre 1790 erschien gar – anonym – ein kleines Büchlein „Reise eines Erdbewohners in den Mars“. Eine rebellische Schrift. „Voller Spott und Zorn geißelte er die Tyrannei, die in den Marsstaaten Papaguan und Plumplatsko herrscht. Jeder, der das Büchlein las, wusste: Mit dem Mars war die Erde gemeint! Der Dichter klagte die Willkürherrschaft in den deutschen Fürstentümern und Kleinstaaten an. Seinen Luftschiffern gelang es, sich nach Momoly zu retten, in die freie Republik, die keine Pfaffen und keine adligen Offiziere kannte. In Momoly sind die Ziele, für die die französischen Revolutionäre kämpften, verwirklicht: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Und zwar für jeden! Denn in Momoly gibt es keine Standesunterschiede, weil das Privateigentum abgeschafft ist.“ (Gilsenbach, S. 326)

Das wenige, was über diese Schrift bekannt ist, erinnert an Babeuf und die „Verschwörung der Gleichen“ aus der Zeit der Französischen Revolution. Babeuf und die Seinen gehören sowohl zur Vorgeschichte und den Quellen des Marxismus wie zur Vorgeschichte der anarchistischen Bewegung. In Artikel 7 und 8 der Analyse der Lehre Babeufs durch Buonarroti heißt es beispielsweise: „In einer wahrhaften Gesellschaft darf es weder Reiche noch Arme geben … Die Reichen, die nicht auf ihren Überfluss zugunsten der Armen verzichten wollen, sind Feinde des Volkes.“

Und in Artikel 11: „Die Revolution ist nicht zu Ende, da die Reichen alle Güter an sich reißen und ausschließlich arbeiten, während die Armen wie wahre Sklaven arbeiten, im Elend schmachten und im Staat nichts gelten.“ (Vgl. Der Frühsozialismus, Stuttgart 1956, S. 6)

Der Dichter, der seinen Namen als „Erfinder“ des utopisch-kommunistischen Marsstaates nicht nennen konnte oder wollte, hieß Carl Ignaz Geiger. Er wurde nur 34 Jahre alt, starb 1793 an Schwindsucht.

Mehr als 100 Jahre später erschien Alexander Bogdanows „Der rote Planet“ (1909, Fortsetzung: „Der Ingenieur Manni“ – 1912) nach der Niederlage der russischen Revolution von 1905-1907, aber mit der Gewissheit, dass die Geschichte nicht zu Ende war, dass die bevorstehenden neuen sozialen Revolutionen zu einem gewaltigen Umbruch in den bestehenden Macht- und Eigentumsverhältnissen führen würden. Bogdanow fragt nach der Zukunft der russischen Revolution und den Folgen. Er schrieb über eine kommunistische Gesellschaft auf dem Mars und fragte damit nach möglichen Perspektiven. Natürlich ging es nicht um den Mars …

Bogdanow war Bolschewik, Kampfgefährte Lenins, von Lenin sehr geschätzt, wurde aber in „Materialismus und Empiriokritizismus“ von diesem auch sehr gescholten.

Warum seine Vision im 20. Jahrhundert nicht verwirklicht werden konnte? Dazu wäre mehr als nur ein Beitrag nötig …

Eine künstlerische Impression der Besiedlung des Mars.

Eine künstlerische Impression der Besiedlung des Mars.

( NASA/public domain)

Der Mars war auch schon zuvor Gegenstand wissenschaftlicher Phantastik. Der Gymnasiallehrer für Mathematik und Physik Kurd Lasswitz veröffentlichte 1897 einen dicken Roman. „Auf zwei Welten“ lautete der Titel. Es ist interessant, wie sich die Rezeptionen in Ost und West unterschieden. Während in der DDR für diesen Roman geworben wurde: „Dieser … Roman schildert das Abenteuer des Aufeinandertreffens zweier Zivilisationen. Im ewigen Eis des irdischen Nordpols stößt eine Ballonexpedition auf die Bauten einer technisch hoch entwickelten außerirdischen Rasse: Marsianer haben, unbemerkt von allen Astronomen, eine bemannte Station an der abgelegensten Stelle der Erde errichtet. Ihre Absichten sind friedlich, und der sich anbahnende Kontakt verspricht für die Erde einen ungeheueren kulturellen und wissenschaftlichen Aufschwung, denn auf dem Mars sind alle sozialen und technischen Utopien der Menschheit längst Wirklichkeit geworden. Doch die politisch zerrissene Erde ist nicht bereit für ein solches Paradies“ (Covertext, Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1984), folgt man in dem aktuellen Bestseller zum Mars „Der Weg zum Mars. Aufbruch in eine neue Welt“ (Wilhelm Heyne Verlag, München 2015) leider nur einer eher Kalten-Kriegs-Rhetorik: „… Und plötzlich kommen an den edlen Absichten der Marsianer Zweifel auf. Sind diese vielleicht nur zur Erde gekommen, um sie zu erobern?“ (S. 279)

Das mit dem Blues muss man wohl endgültig streichen …

Aber wohl nicht etwa, weil im Jahr 2014 in den USA und in Deutschland der Roman „Der Marsianer“ von Andy Weir veröffentlicht wurde, der die Romantik ablöste, auf mögliche Katas­trophen aufmerksam machte und ein Film sofort folgte, sondern weil Profitgier auch hier die letzten Träume von einer anderen Welt, anderen möglichen Entwicklungen zerstören wird, wenn nicht …

Unser Nachbarplanet ist nämlich nicht nur das Ziel wissenschaftlicher Forschung, sondern zunehmend auch kommerzieller Interessen. Dazu muss man aber erst einmal dorthin kommen. Dauerhafte Stützpunkte sind nötig.

Es geht im Buch von Weir nicht um Spekulatives, um Konstruktionen, um einen „Superhelden“, sondern um eine durchaus mögliche Konfliktsituation, die in den nächsten 20, 30 Jahren eintreten könnte, wenn denn die ehrgeizigen Pläne umgesetzt werden, Menschen auf dem Mars landen.

Weirs Held bleibt nach einem Unfall auf einer dritten bemannten Marsmission mit wenigen Ressourcen auf dem Planeten allein zurück. Seine Kollegen habe gehandelt, wie es die Vorschriften verlangten und um das Überleben der anderen Missionsteilnehmer zu sichern. Unser Held überlebt, will leben, sucht und findet Möglichkeiten, kommt letztlich nach vielen Monaten wieder nach Hause …

Weirs Roman wird heute der Science-Fiction-Literatur zugeordnet, gilt aber mittlerweile selbst unter Fachleuten als sehr realistische Darstellung dessen, was Menschen nach ersten Landungen auf dem Mars passieren könnte. Das hat gewiss etwas damit zu tun, dass die Bedingungen auf dem Mars und die heutigen technisch-technologischen Möglichkeiten einer solchen Mission weitgehend „abgeklärt“ sind.

Warum aber gibt es Ähnliches nicht im Hinblick auf unseren Mond, auf dem ja immerhin schon einmal US-Astronauten gelandet sind?

Mag sein, dass die Antwort sehr einfach ist: Der Mars bietet wahrscheinlich in naher Zukunft nicht nur völlig neue Möglichkeiten für die Forschung, sondern langfristig vor allem für die Profiterwartungen von Konzernen (Entwicklung von Antriebstechnik, Habitaten, den Hype einer neuen, „großen“ Eroberung und neuer „Anlagemöglichkeiten“, Zugriff auf mögliche Ressourcen). Das „Projekt Mars“ könnte man wahrscheinlich zudem besser „verkaufen“ als einen Steinhaufen, auf dem Siedlungen sich auf absehbare Zeit in den Untergrund „verziehen“ müssten. Der Mars bietet zudem mehr „Kribbeln“. Denn es gibt ja den Traum, man könne den Mars – trotz wahrscheinlich fehlender großer Wasserreserven, trotz eines fehlenden Magnetfeldes – einmal so verändern (terraformen), dass er zu einer zweiten Erde wird …

Noch ist jedoch völlig unklar, was in den kommenden Jahrzehnten tatsächlich geschehen wird, was zuallererst umgesetzt werden kann. „Terraformer“ für den Mars wird es unter den heute Lebenden wohl kaum geben: Die NASA-Planungen bleiben unklar. Auch Russland und China halten sich im Zusammenhang mit Plänen für Marsmissionen „bedeckt“. Zu unsicher sind wohl die Möglichkeiten einer technischen Umsetzung und der Finanzierung.

Schon aber bereiten sich Menschen – so beispielsweise im Rahmen des privaten, angeblich nichtkommerziellen „Mars One“-Projekts – vor. 2026 soll „Mars One“ starten, die erste Vierer-Mannschaft 2027 landen (http://www.mars-one.com/) und das Projekt per Reality-TV vermarktet werden. Das wird eine Freude.

Weitere Kandidaten sollen folgen. Niemand wird aber zurückkehren können. Kritiker – so aus dem Massachusetts Institute of Technology – meinen, das Konzept sei völlig unausgereift, für eine dauerhafte Siedlung würden die heute bekannten technisch-technologischen Möglichkeiten vor allem zur Absicherung interner Stoffkreisläufe und damit der Versorgung der Siedlerinnen und Siedler noch nicht ausreichen …

Mars-Fans hoffen derzeit wohl mehr auf den US-Amerikaner Elon Musk, Gründer von Tesla und SpaceX. Bekannt wurde Musk zuerst durch seine Erfolge als Internetdienstanbieter, insbesondere mit dem Bezahldienst Pay­Pal. Der Milliardär träumt von einer Besiedlung des Mars und will auf dem Mars Atombomben über den Polen zünden, um den Treibhauseffekt des kalten Planeten anzukurbeln. Das klingt aber doch wohl eher nach Donald Trump als nach einem seriöseren Projekt …

Auch der Brite Richard Branson, Virgin-Chef und mehrfacher Milliardär, der mit Virgin Galactic Weltraumtourismus ermöglichen will und die kommerzielle Nutzung des Alls im Auge hat, sieht den Mars in Griffweite.

Für andere bleibt der Mars dagegen nur ein sehr fragwürdiges und zugleich einziges Ziel, das den Utopisten im 21. Jahrhundert überhaupt noch bleibt. Nur muss man fragen, was Mars-One oder andere Projekte überhaupt noch mit Visionen zu tun haben. So meinen einige Kulturwissenschaftler und Philosophen, in Wissenschaft, Literatur, Kunst und Politik gebe es im 21. Jahrhundert keine positiven Gesellschaftsutopien mehr. Der Literaturwissenschaftler Christian Sieg erklärte: „Wünsche werden allenfalls mit einer Besiedelung des fernen Mars verbunden … (https://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2014/okt/PM_Ringvorlesung_Zukunftsvisionen_zwischen_Apokalypse_und_Utopie.html).

Nur wenige Marxistinnen und Marxisten suchen heute noch nach Visionen. Verengung scheint angesagt. Träumen ist aber nötig, meinte einst auch Lenin. Gewiss wird es nicht der Mars sein, der uns oder Nachfolgende „beflügeln“ wird. Was die Existenz von Leben auf dem Mars betrifft, wird die Antwort noch längere Zeit lauten: „WEISS NIEMAND.“

Aber was da an Ideen zur Revolte entwickelt wurde und an Innovation, das sollten wir bewahren und auch künftig nutzen …

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"Das weiß niemand …", UZ vom 25. Dezember 2015



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