Über elf Polizisten, die einen Jugendlichen aus „Notwehr“ erschossen

Das war Mord

Anti-Repressions-Kolumne

Nach der Erschießung eines 16-jährigen Jugendlichen in der Dortmunder Nordstadt kehrt vorerst wieder Ruhe ein. Mouhamed Dramé war aus dem Senegal über Mali in die BRD geflohen und erst wenige Tage in Dortmund. Der unbegleitete minderjährige Geflüchtete hielt sich in einem Innenhof zwischen einer Jugendbetreuungseinrichtung und einer Kirche auf. Weil er ein großes Messer dabei hatte und es mutmaßlich gegen sich richtete, rief ein Betreuer die Polizei. Die rückte mit sage und schreibe elf Beamtinnen und Beamten an, einer „sicherte“ den Einsatz mit einer Maschinenpistole, wie es aktuell heißt. Als die Polizei auf ihn zu kam und Pfefferspray einsetzte, sei die Lage eskaliert. Auch die von der Polizei so hochgelobten Taser hätten dann versagt. Um einem tätlichen Angriff zuvorzukommen, fielen sechs Schüsse aus besagter Maschinenpistole, einer trifft Mouhameds Gesicht. So weit die Schilderung.

Rechte Scharfmacher und bürgerliche Beschwichtiger aus Politik und Medien eilten heran. Sie fordern, „keine Vorverurteilungen vorzunehmen“, schließlich „wisse man ja noch gar nichts“. Und nicht zu vergessen, der Junge hat ja ein Messer gehabt. Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) gibt sich gegenüber „T-Online“ geradezu staatsmännisch: „Wir dürfen andere noch nicht anklagen, weil wir nicht wissen, was passiert ist. Wir dürfen das Vertrauen nicht verlieren“, heißt es in seiner Ansprache während des Totengebets auf dem Gelände der Abu-Bekr-Moschee. Es klingt so weise und gesetzt, wenn „niemand vorverurteilt“ werden soll. Aber eigentlich ist es in diesem Fall nichts als dummes Geschwätz, mit oder ohne politisches Kalkül.

Es bleibt doch wohl festzuhalten, dass elf schwerbewaffnete Polizistinnen und Polizisten nicht in der Lage waren, ein Kind zu entwaffnen, ohne es zu töten. Wir wissen doch sehr wohl, was da passiert ist. Vielleicht keine Einzelheiten, aber diese Tatsache lässt sich nicht wegdiskutieren. Es ist auch bekannt, dass die Polizei in der Nordstadt im Ruf steht, ziemlich handgreiflich zu sein. Die von solchen Einsätzen betroffenen Menschen sind meistens Migrantinnen und Migranten, Geflüchtete, prekär Beschäftigte oder Obdachlose, also Menschen ohne Lobby und Geld. Was also soll Polizeibeamtinnen und -beamten schon groß passieren? Übergriffige oder gewalttätige Beamtinnen und Beamten anzuzeigen kann auch nicht geraten werden, die Gegenanzeige wegen wahlweise „Widerstand“ oder „Beamtenbeleidigung“ findet zu 99,9 Prozent stärkere Berücksichtigung bei Gericht und Staatsanwaltschaft.

Außer Mouhamed starben innerhalb von einer Woche übrigens noch drei weitere Personen bei Polizeieinsätzen. Durch Polizeikugeln ein Obdachloser in Frankfurt und ein Straßenmusiker im Zuge einer Zwangsräumung in Köln, nach Pfefferspray und Fixierung ein 39-Jähriger in Oer-Erkenschwick. Einigen fällt glücklicherweise auf, dass wir ein Polizeiproblem haben. Richtig, aber eigentlich haben wir ein Klassengesellschaftsproblem. Denn die Polizei ist keine neutrale Behörde, die einfach nur „das Recht“ durchsetzt. Nein, in diesem kapitalistischen Staat sichert sie eben diese Ordnung und den Besitzstand der Reichen und Mächtigen gegen jene, die nichts haben. Und sie ist belegbar durchsetzt mit rechten und menschenfeindlichen Einstellungen. Dagegen gilt es aufzustehen und sie damit nicht durchkommen zu lassen. Wir dürfen und wir müssen das Vertrauen verlieren. Die Demonstrierenden in der Nordstadt fassten es mit einem Wort zusammen: „Mörder!“

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"Das war Mord", UZ vom 19. August 2022



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