Zum Jahrestag der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen versammelte sich wieder die Politprominenz. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahm an der zentralen Gedenkveranstaltung in Bad Neuenahr-Ahrweiler teil und ließ sich medienwirksam mit den Flut-
opfern fotografieren. Zusammen mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unter anderem ein Weinlokal in Altenahr und eine Schreinerei in Dernau. Es sollte zeigen, wie hervorragend der Wiederaufbau klappt.
In der Nacht zum 14. Juli 2021 zerstörte das folgenschwerste Hochwasser in der Geschichte der Bundesrepublik seit der Hamburger Sturmflut 1962 ganze Landstriche in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sowie im benachbarten Belgien. Mehr als 180 Menschen starben in den Fluten. Allein für die Gebiete in Rheinland-Pfalz schätzt man, dass mindestens 17.000 Personen geschädigt und 3.000 Gebäude beschädigt wurden, davon mindestens 467 komplett zerstört. Dutzende Kilometer an Straßen und Gleisen müssen erneuert werden. Schon allein die 1.600 bei der Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer angemeldeten Betriebe im Ahrtal erlitten geschätzte Sachschäden von insgesamt 560 Millionen Euro.
Anders als die Fotos der Politprominenz zeigen möchten ist viel schiefgelaufen nach der Flut. Die Wahlkämpfer Olaf Scholz und Armin Laschet versprachen am 3. August 2021, zwei Wochen nach der Jahrhundertflut, im besonders schwer getroffenen Stolberg bei Aachen schnelle und unbürokratische Hilfe. Der Streit zwischen den Institutionen, wer diese schnelle und unbürokratische Hilfe bezahlen solle, brach schneller aus als im Katastrophengebiet die beschädigten Häuser in sich zusammengebrochen waren. Von den 12,3 Milliarden Euro, die dem Land NRW für den Wiederaufbau zu Verfügung stehen, sind aktuell gerade mal 1,6 Milliarden Euro für Privatleute, Unternehmen, Landwirtschaft und Städte bewilligt und befänden sich „in der Auszahlung“, sagte NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) – davon 483,4 Millionen Euro an Privathaushalte. In Rheinland-Pfalz seien 9.158 von 9.787 Anträge bearbeitet und bewilligt, heißt es in einer Broschüre der Landesregierung zum Wiederaufbau. Das entspreche einer Summe von 538,4 Millionen Euro an Fördergeldern. In der gleichen Broschüre wird jedoch ein Gesamtschaden für Rheinland-Pfalz von über 18 Milliarden Euro geschätzt.
Die Verbraucherzentrale NRW teilte in einer Pressemitteilung mit, dass viele von der Flutkatastrophe betroffene Menschen „frustriert und enttäuscht“ seien. Es fehle an Handwerkern, Baumaterialien und Gutachtern. Die Bau- und Materialkosten – gerade bei Dämmstoffen – stiegen immer weiter und selbst bewilligte Gelder seien nicht immer schnell verfügbar. Viele Anträge müssen zudem mehrmals eingereicht werden und sind daher bis heute nicht mal in die Zählung aufgenommen. Gerade wenn die Eigentumsverhältnisse komplizierter sind, wie zum Beispiel bei einer Erbengemeinschaft, müssen viele bürokratische Hürden erst erklommen werden.
Auch das Heer an freiwilligen Helfern, die teils bis heute ehrenamtlich beim Wiederaufbau helfen, ist kein Ruhmesblatt bundesdeutschen Krisenmanagements, sondern zeigt auf, in welchem Zustand der Katastrophenschutz ist. Kürzungen und Sparrunden machten es notwendig, dass neben Technischem Hilfswerk und verschiedenen zivilen Ersthelfern die Bundeswehr mit schwerem Gerät anrücken musste. Trotzdem oder gerade deswegen dauerte es mehrere Wochen, manchmal sogar Monate, bis die Wasserversorgung so weit hergestellt war, dass die Flutopfer das Wasser zum Duschen nicht erst abkochen mussten.